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Eng mit der Übertragung politischer Herrschaftsbefugnisse in Verbindung steht die Legitimationsfunktion demokratischer Wahlen. Mittels Wahlen wird die Ausübung politischer Herrschaft zeitlich begrenzt legitimiert. Indem die Wählerschaft in freien und fairen Wahlen ihre Regierung bzw. ihre Repräsentantinnen und Repräsentanten bestätigt oder neu bestellt, kommt in Wahlen entweder ein Konsens (der im schwachen Sinne auch das Akzeptieren bzw. Dulden umfasst) oder ein Dissens bezüglich der Herrschenden und deren Politik zum Ausdruck. Die Legitimationsfunktion demokratischer Wahlen bezieht sich dabei vornehmlich auf die Inhaber der über Wahlen direkt oder indirekt vergebenen politischen Mandate. Eine demokratisch gewählte Regierung gilt, bei aller oft berechtigten Kritik an Politikstil und Politikinhalten, weithin als legitim ins Amt gebracht. Die Legitimationskraft umfasst aber, normativ betrachtet, auch die Opposition. Gerade in der vollen Anerkennung der Opposition liegt eine Besonderheit wirklich kompetitiver Wahlen. Nicht von ungefähr wird in Großbritannien die Opposition traditionell als „Her Majesty’s Most Loyal Opposition“ bezeichnet. Dabei legitimieren demokratische Wahlen nicht nur die Träger, sondern auch das Prinzip politischer Opposition – und zwar sowohl in abstracto als auch in seiner konkreten organisatorisch-rechtlichen Ausformung, die sich u. a. in der Gewährung politischer Rechte auch für die Opposition ausdrückt. In diesem Sinne können Wahlen auch die Legitimität der politischen Ordnung samt ihrer „Spielregeln“ bestärken oder infrage stellen, je nachdem, ob die mit demokratischen Wahlen verbundenen Verfahrensregeln akzeptiert oder abgelehnt werden. Sofern die Wahlen demokratisch sind, kommt in ihnen eben auch ein Verfahrenskonsens zum Ausdruck, der die Rechte der politischen Minderheit umfasst. Zudem können Wahlen die Legitimität der im Wahlakt umfassten politischen Gemeinschaft stärken.13 Beispielsweise haben die ersten allgemeinen und freien Wahlen in der Republik Südafrika im Jahr 1994, trotz aller Spannungen vor den Wahlen, vorübergehend zur nationalen Einheit in der Post-Apartheid-Ära beigetragen, selbst wenn es dort später nicht wirklich zur Herausbildung der angestrebten „Regenbogennation“ gekommen ist.

      Aus Sicht eines liberal-pluralistischen Demokratieverständnisses bestimmen die vier Funktionskomplexe maßgeblich den allgemeinen Funktionsgehalt demokratischer Wahlen. Dabei kommt den Wahlen in liberalen Demokratien bereits insofern große Bedeutung zu, als sie – ebenso wie Volksabstimmungen – eine Form der politischen Mitwirkung darstellen, welche grundsätzlich die gesamte Wählerschaft einbezieht. Auch ist die Durchführung demokratischer Wahlen bereits definitorisch mit weiteren politischen Mitwirkungswirkungs-möglichkeiten im engeren oder weiteren Umfeld der Wahlen verbunden: von Wahlkampfaktivitäten, Wahlkandidaturen und allgemein der aktiven Mitwirkung in Parteien und Wählerinitiativen bis hin zur Nutzung einschlägiger politischer Rechte wie Versammlungs-, Vereinigungs-, Meinungs- und Pressefreiheit. Ohne diese sind demokratische Wahlen gar nicht möglich. Daher hängt der demokratische Gehalt von Wahlen eng mit den demokratischen Wesenszügen von Politik und Gesellschaft in einem Land zusammen. Dies rückt auch die abfällige Rede von reinen „Wahldemokratien“ (electoral democracies) zurecht; denn sollen Wahlen wirklich demokratisch sein, benötigen sie immer auch ein demokratisches Umfeld.

      Obwohl also die Fundamentalkritik an der angeblichen Bedeutungslosigkeit von Wahlen überzogen ist und nicht danach fragt, wie die politische Ordnung ohne einen demokratischen Wahlwettbewerb aussehen würde (oder tatsächlich aussieht), gibt es vielfältige Einschränkungen des demokratischen Bedeutungsgehalts von Wahlen. Dazu zählen etwa: verkrustete, elitäre Herrschaftsstrukturen

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