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      Christa Ludwig

      Ein Bündel Wegerich

      Roman

      OKTAVEN

       Wo soll ich hin, wenn kalt der Nordsturm brüllt –? – Die scheuen Tiere aus der Landschaft wagen sich – Und ich – vor deine Tür, ein Bündel Wegerich.

      Else Lasker-Schüler, Die Verscheuchte

       Herzog von Wien, sehr lieber Dichter,

      … ich habe den Ring, den Joseph von Egypten trug, als er sich seinen Brüdern zu erkennen gab …, schreibt Else Lasker-Schüler im August 1909 an Karl Kraus. In Bagdad sagte mir mal eine Zauberin, ich hätte viele Tausendjahre als Mumie im Gewölbe gelegen und sei nicht mehr und nicht weniger als Joseph, der auf arabisch Jussuf heißt.

      Meint sie das ernst? Ihr ist völlig klar: Der Empfänger des Briefes weiß, dass sie nie in Bagdad war.

      Drei Jahre später zerbricht ihr schon lange instabiles Leben, als Herwarth Walden sie verlässt. Von nun an übernachtet sie in Hotels und lebt in den Berliner Künstlercafés. Und in Theben. In der Nacht meiner größten Not erhob ich mich zum Prinzen von Theben, also zu der ägyptischen Existenz von Joseph, Jakobs Lieblingssohn. (Gemeint ist das ägyptische Theben, nicht das griechische.) Sie unterschreibt Briefe mit Jussuf, Prinz von Theben, und entwirft ihr fiktives Land in Prosaschriften und Briefen. Freunde, denen sie schon seit Jahren Phantasienamen gibt, haben darin klangvolle Auftritte. Karl Kraus bekam nicht nur den Titel Herzog von Wien, sondern auch Dalai Lama.

      Verrückt?

      Man sollte bedenken, dass Manipulationen an der eigenen Biografie Mode waren, besonders Orient und Indianer waren beliebt. Dem Mann, der als Kara Ben Nemsi durch die Wüste und mit Blutsbruder Winnetou durch den Wilden Westen zog, hat man die erfundenen Identitäten eine Zeitlang abgenommen. Und Rilke z. B. legte sich adlige Vorfahren zu. Während er glaubwürdig mit seiner vornehmen Herkunft aufzutreten versuchte, übersteigert Lasker-Schüler die Eingriffe in ihren Lebenslauf so, dass die dichterische Absicht erkennbar ist: Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam, im Rheinland. Ich ging bis 11 Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich.

      Sie rettet sich in Spiel und Ironie, nicht in Fantasy. Ihre Prosaschriften bilden auf ihre eigene Weise Wirklichkeit ab. Erste Teile ihres Briefromans Malik (Briefwechsel mit Franz Marc) konnten 1917 nur unter Schwierigkeiten veröffentlicht werden, weil sie als Antikriegsroman gesehen wurden.

      Ein Bündel Wegerich ist ein Roman über zwei Jahre ihres Lebens in Jerusalem, basierend auf dem, was überliefert ist, dieses aber weiterdenkend. Sie ist nicht, wie so oft behauptet wird, einsam und verlassen im Exil gestorben. Alle Personen in diesem Buch haben damals in Jerusalem gelebt und sich, wie hier beschrieben, um sie bemüht. Die einzige erfundene Figur ist Tasso. Dieser Roman zeigt Lasker-Schüler im Alter, so, wie sie alterte, ja, sie alterte, aber ihre früheren Leben vergingen nicht, sie ist noch immer: Kind, siebzehn Jahre, junge Frau, Mutter … wie durchscheinende Diapositive sind hier ihre Lebensphasen übereinandergelegt, und je nach Lichteinfall wird mal das eine, mal das andere deutlicher sichtbar.

       Christa Ludwig

      Prolog auf dem Friedhof

       Jerusalem 1998

      Da bringen sie ihr schon wieder einen Grabstein!

      Ich folge unauffällig, aus sicherer Entfernung, der deutschen Delegation, die einen schwarzen Stein durch die vielen hellen auf dem Friedhof am Ölberg trägt. Ich kann sie nicht verlieren, ich weiß, wohin sie gehen.

      Warum lassen sie das nicht endlich? Die kriegen sie doch nicht unter die Erde. Nicht in ein ordentliches Grab. Sie hat ihr Geburtsdatum in allen Ausweisen gefälscht. Vielleicht hat sie uns mit ihrem Todestag genauso betrogen und sie lebt noch, eine Methusalem-alte Frau, die in Wahrheit ein junges Mädchen ist – oder ein junger Mann, das wechselte damals und es würde heute nicht anders sein.

      Zum dritten Mal nun ihr Name, gemeißelt in Stein! Der erste ist der schönste. Wir brachten ihn vor 53 Jahren. Ich war Mitte zwanzig, aber nicht mehr lange, bald danach war ich ein alter Mann. Der Grabstein, der erste, leicht rosa aus Galiläastein, sollte während der jordanischen Besatzung für eine Straße quer über den Friedhof verbaut werden. Aber er war ungeeignet, groß und sperrig, man fand ihn später am Straßenrand und brachte ihn zurück. Er trägt nun eine Tafel, auf der ihr Name zum zweiten Mal steht. Sie ist weiß, jüdisch, hebräisch. Sie fällt hier nicht auf. Und nun bringen sie einen deutschen Grabstein, schwarz, und es stehen deutsche Worte darauf.

      Wie hat sie das geschafft? Sie bringt einen deutschen Grabstein mit deutschen Worten auf den jüdischen Friedhof am Ölberg! Aber sie liegt nicht darunter. Sie wurde auch als Tote noch einmal vertrieben, wahrscheinlich liegt sie längst in einem Massengrab. Da ist sie immerhin nicht allein. Sie war nicht gern allein.

      Ich bleibe im Hintergrund, obwohl mich von den Deutschen, die da den schwarzen Stein bringen, niemand kennt. Meine Erinnerung an diese Frau ist nicht mit dem Meißel gehauen, sondern mit Tinte und Blei geschrieben. Ich weiß genau, wo die drei Kladden sind. Ich habe sie gehütet all die Jahre lang. Hätte ich sie veröffentlichen sollen? Unser gemeinsames Buch – ihr letztes und mein erstes?

      «Machen Sie ein Märchen daraus», hatte sie befohlen. «Oder was Lustiges. Auf keinen Fall was für die Literaturwissenschaft! Sie dürfen alles damit machen. Sie sind doch ein Dichter!»

      Während sie im Hadassah-Krankenhaus lag und starb, habe ich die drei Kladden aus ihrem Zimmer geholt. Ich habe sie nicht gestohlen, es war ein Auftrag. Ich habe Kommentare an die Ränder und zwischen ihre Zeilen geschrieben, ganze Seiten hinzugefügt, aber nichts an ihren Worten geändert. Ich begann damit bald nach ihrem Tod im Januar 1945, als man in Jerusalem noch trauern konnte um gerade mal 767 Juden, deren Schiff das Britische Mandat nicht landen ließ. Ich beendete diese Arbeit, als wir allmählich erfuhren, was in diesem Deutschland wirklich geschehen war. Die Katastrophe am Ende unseres gemeinsamen Buches begann – das Datum steht noch heute in der dritten Kladde – am 20. Januar 1942. Ich alterte so schnell, wie ich langsam begriff, was an diesem Tag in Berlin am Wannsee eingeleitet wurde. Danach habe ich nie wieder eine Zeile geschrieben.

      Ein dunkler Stein, schwarz und glänzend, sie tragen seine deutsche Schrift vorbei an hebräischen Buchstaben. Ich will ihn später anschauen, allein.

      Die Kladden werde ich nicht suchen müssen. Ob ich ihre Schrift noch lesen kann? Vielleicht besser als meine.

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