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Worte jagen mir einen Schauder über den Rücken. Es ist so verrückt, dass ich mich an nichts von all dem erinnern kann. »Meinst du, er wollte uns überfallen?«

      Er verzieht das Gesicht. »Ich weiß nicht. Er wirkte eher so, als wäre er an dir interessiert.«

      »Okay, das ist gruselig.«

      »Es wird noch gruseliger«, verspricht er mir und trinkt von seinem Kaffee. »Auf unserer Flucht sind wir Thierry, Matthéo und Yanis begegnet. Falls du dich nicht erinnern kannst: die drei sind Freunde von mir.«

      Er schweigt einen Moment, und ich fasse mir unwillkürlich an die Stelle, an der meine Halskette hängen müsste. Ich frage mich, wo ich das Amulett verloren habe.

      »Sie haben uns aufgegabelt. Nur waren sie gerade auf dem Weg, um einen Wetteinsatz einzulösen.«

      »Ach ja?« Ich kann mich wirklich an nichts davon erinnern.

      Melvin schüttelt sich, als würde ihn die Erinnerung immer noch verfolgen. »Wir sind ins alte Gefängnis gefahren.«

      »Was?«, kreische ich beinahe. »Das Prison de Loos?«

      Er nickt, und ich spüre, wie mir alles Blut aus dem Gesicht weicht. Sind wir komplett übergeschnappt? Wir können doch nicht einfach in ein altes Gefängnis einbrechen, in dem es noch dazu spuken soll!

      »Du verarschst mich. Das kannst du unmöglich ernst meinen.«

      »Ich schwöre es dir.« Er hebt seine Hände, um mir zu zeigen, wie ernst er es meint. »Du warst nicht davon abzubringen, die drei zu begleiten. Und ich hatte das Gefühl, dass ich dich besser nicht mit ihnen allein lasse.«

      »Ich wollte nie und nimmer da rein!«, entgegne ich entrüstet und greife mir gedankenverloren an den Hals, um mit meiner Kette zu spielen. Doch sie ist nicht da. Ich würde niemals auf die Idee kommen, ein Gebäude zu aufzusuchen, in dem es spukt, wenn es nicht absolut notwendig wäre. Dafür bin ich viel zu abergläubisch.

      »Wahrscheinlich hast du deine Kette da verloren.«

      Argwöhnisch blinzle ich ihn an. »Woher weißt du von meiner Kette?«

      »Gestern hast du sie noch getragen«, erklärt er. »Und heute greifst du dir ständig an den Hals, als wolltest du mit dem Anhänger spielen. Aber sie ist nicht mehr da. Also hast du sie verloren.«

      »Hm«, mache ich unentschlossen. Wenn ich ihm diese haarsträubende Geschichte glaube, befindet sich das, was mich vor den bösen Einflüssen der Welt schützen soll, ausgerechnet in einem heimgesuchten Gefängnis. »Wie bekomme ich meine Kette jetzt wieder?«

      »Wie wichtig ist sie dir denn?«

      »Sehr wichtig«, erwidere ich ehrlich und denke daran, wie meine Mutter sie mir vor ein paar Jahren gegeben hat. Kurz darauf ist sie spurlos aus unserem Leben verschwunden und hat mir alles genommen, was jemals eine Bedeutung hatte. Allein mit Papa ist es einfach nicht mehr das Gleiche. »Sie ist die letzte Erinnerung, die ich an meine Mutter habe.«

      »So wichtig, um dafür noch einmal in ein Gefängnis einzubrechen?«

      Ich denke drüber nach und seufze. »Ich weiß nicht. Ich glaube an Geister.«

      Melvin mustert mich nachdenklich, bevor er den Blinker setzt und von der Straße abfährt, um die Richtung zu wechseln. »Wir haben den ganzen Tag Zeit, bis es dunkel wird. Was kann schon groß passieren?«

      Christiania, 1768

      Mikael

      ❤

      Als wir den Hof erreichen, hilft man uns vom Pferd. Freya steht unsicher da, während ich Anweisungen gebe, um mein Pferd versorgt zu wissen. Der Stallbursche führt Saga am Halfter weg, und ich schaue ihnen noch einen Moment hinterher. Seit der König in Christiania hofiert, wird Saga von den Stallburschen verwöhnt – diesen Luxus hatte sie in Kopenhagen nicht. Die alte Dame wird traurig sein, wenn wir zurück sind und sie nicht mehr jeden Tag einen Apfel geschenkt bekommt.

      Aber die Reise war anstrengend genug. Jetzt soll sie erst mal ein paar Tage Ruhe vor mir haben und sich von den jungen Männern verwöhnen lassen.

      Ich wende mich Freya zu. »Bereit?«

      »Nicht wirklich«, erwidert sie nervös, wehrt sich aber nicht, als ich ihr meinen Ellbogen anbiete, um sie zur Festung zu führen. Vom Myntgatekvartal führt uns der Weg vorbei an Provianthäusern und Magazinen durch den Festungsgarten. Viel gibt es hier im Januar nicht zu sehen, das letzte bisschen Grün verdecken die Überreste des Schnees.

      »Ich weiß noch, wie ich mir als kleiner Junge immer gewünscht habe, zum Hof zu gehören«, erzähle ich Freya, während wir die Kieswege entlanggehen. »Meine Mutter war Schneiderin in Kopenhagen. Sie hat die schönsten Kleider für Hofdamen genäht und die robustesten Hemden für Ehrenmänner.«

      Freya neigt den Kopf. »Wie kommt es, dass du jetzt dazu gehörst?«

      »Das Schicksal wollte es so«, erwidere ich knapp. Die Wahrheit will ich ihr nicht erzählen. Die Umstände, die mich schließlich hergeführt haben, könnten nicht schlimmer sein. Und so kommt es auch, dass mich die Rückkehr nicht mit Freude erfüllt, sondern mit einer Nervosität, die ich nicht ablegen kann.

      Was, wenn der König nicht zufrieden ist? Was, wenn ich nicht die Leistung erbracht habe, die er von mir erwartet?

      Wir überqueren einen Graben und stehen im Innenhof des Schlosses. Ich überlege fieberhaft, ob wir jetzt schon Gehör suchen oder uns erst um unser Äußeres kümmern sollten. Mein Blick fällt auf Amalie, die mit zwei anderen Hofdamen in einer Ecke steht und uns tuschelnd beobachtet.

      »Amalie!«, rufe ich und winke ihr. Sie kichert, bevor sie sich aus der Gruppe löst und auf uns zukommt. Vor uns angekommen, knickst sie. Ich erwidere ihre Begrüßung mit einer leichten Verbeugung.

      »Es ist schön, Euch zu sehen, Mikael.« Sie lächelt mich an und schaut argwöhnisch zu Freya. Der helle Pelz über ihrem dunkelroten Kleid ist so groß, dass sie fast darin verschwindet. »Wer ist das?«

      »Darf ich Euch Freya vorstellen?«, erwidere ich und wähle meine Worte vorsichtig. Amalie und ihre Klatschweiber verbreiten alles, was man ihnen in den Kopf setzt – so viel habe ich in der kurzen Zeit am Hof gelernt. Wann immer man möchte, dass etwas die Runde macht, erzählt man es einer der drei Frauen. Dennoch ist Amalie eine meiner wenigen Vertrauten am Hof. »Sie ist zu Besuch am Hof. Freya, das ist Amalie.«

      Freya knickst leicht, die Augen abgewandt. Ich komme nicht umhin, festzustellen, dass sie sich bei mir anders gibt. Selbstbewusster.

      »Freut mich sehr«, antwortet Amalie schließlich, und ich atme erleichtert aus. Wenn sie Freya in ihrer Runde akzeptieren, wird sie es am Hof um einiges leichter haben.

      »Ich möchte Freya gerne dem König vorstellen. Aber wir sind auf dem Weg hierher in einen Hinterhalt geraten, und ich will erst meine Wunde versorgen lassen.«

      Amalie macht große Augen, und mir wird erst zu spät bewusst, dass sie Freya für meine Verlobte halten könnte. Sie lässt ihren Blick an mir herabgleiten, und er bleibt an meinem zerrissenen Hemd hängen. »Wurdet Ihr angeschossen, Mikael?«

      »Wir wurden von Dieben überfallen. Freya hat mich zusammengeflickt«, erkläre ich ihr. Freya tritt unruhig von einem Fuß auf den anderen, und ich lege ihr meine Hand auf den Rücken, um zu signalisieren, dass sie Amalie vertrauen kann. »Könntet Ihr Euch um sie kümmern, bis ich zurück bin? Nach der anstrengenden Reise hat sie ein Bad und frische Kleidung mehr als verdient.«

      »Aber natürlich!« Amalie strahlt mich an, bevor sie Freya ihren Arm reicht. Behutsam lege ich Freyas Hand auf Amalies Arm und flüstere ihr ins Ohr: »Ich hol dich gleich wieder ab. Vertrau mir.«

      Sie nickt stumm und wendet sich Amalie zu.

       »Freya wird sich wie neugeboren fühlen, wenn Ihr sie wieder abholt«, verspricht diese begeistert.

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