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in die Praxis umgesetzt werden soll.

      Die Bibel ist nämlich nicht völlig »zeitlos« und situationsunabhängig zu verstehen. Gott ist ein Gott der Geschichte, der in konkrete Situationen hinein geredet hat und immer wieder redet. Die Aussagen der Bibel sind also nicht immer direkt und in allen Situationen gleichermaßen anwendbar, schon gar nicht ohne Auslegung.

      Die Verheißungen zum Beispiel wurden häufig in konkrete Situationen hinein gesprochen. Es wäre ein großer Fehler, alle Verheißungen der Bibel so zu verstehen, als wäre immer ich selbst gemeint. Als Gott zu Abraham und Sarah oder auch zu Zacharias und Elisabeth sagte: »Ihr werdet in eurem hohen Alter einen Sohn bekommen«, meinte er damit nicht, dass auch ich und meine Frau diese Verheißung in Anspruch nehmen sollten, oder? Sie galt nicht uns, sondern bestimmten Menschen damals.

      Als Jesus sagte: »Macht euch nicht im Voraus Sorgen, was ihr sagen sollt; sondern was euch in jener Stunde eingegeben wird, das sagt!« (Markus 13,11), meinte er damit nicht, dass sich Prediger nicht für ihren Dienst vorbereiten sollten. Es war ein Wort für die verfolgten Apostel, die vor Gericht gezerrt würden und sich gar nicht darauf vorbereiten können würden. Das ist uns zwar klar, aber viele Menschen meinen trotzdem: Wer der Bibel treu sein will, der muss glauben, dass ihr gesamter Inhalt direkt angewendet werden kann und muss – auf alle Menschen, in allen Situationen. So mancher meint, dass die Aussagen der Bibel nie und nimmer anlassbezogen oder situationsbedingt sind. Es ist aber so, zumindest in vielen Fällen. Dazu später mehr.

      Was für Verheißungen in der Bibel gilt, das gilt auch für Aufforderungen und Befehle. Als Jesus zu den Aposteln sagte: »Nehmt nichts mit auf den Weg, keinen Wanderstab und keine Vorratstasche, kein Brot, kein Geld und kein zweites Hemd« (Lukas 9,3), meinte er ganz konkret diese Apostel auf der ihnen bevorstehenden Missionsreise – und nicht alle Menschen in allen Zeiten, die irgendwelche Reisen unternehmen!

      Natürlich gibt es ebenso auch zeitlose und situationsübergreifende Verheißungen und Aufforderungen, die die Schrift uns direkt vermittelt. Wir sollten zum Beispiel nicht behaupten, wir seien nicht gemeint, wenn Jesus zu seinen Jüngern sagt: »Wenn ihr beten wollt und ihr habt einem anderen etwas vorzuwerfen, dann vergebt ihm, damit auch euer Vater im Himmel euch eure Verfehlungen vergibt« (Markus 11,25). Wir sollten nicht behaupten, wir seien nicht gemeint, wenn Paulus einer Gemeinde sagt: »Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder, und liebt einander, weil auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat« (Epheser 5,1/2). Und was Verheißungen angeht, so dürfen wir zwar die Verheißung für uns in Anspruch nehmen, als Gott zu Josua spricht: »Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht. Sei mutig und stark!« (Josua 1,5/6 a). Doch was Gott im Anschluss daran sagt, ist nicht für uns gemeint: »Denn du sollst diesem Volk das Land zum Besitz geben« (Josua 1,6 b). Damit hat Gott nicht uns gemeint. Da geht es um das damalige Israel und das damals ihm verheißene Land.

      Und genau das ist nun der Punkt, an dem wir in Schwierigkeiten kommen. Woher wissen wir, wann die Bibel uns direkt ansprechen will und wann wir nicht gemeint sind? Wie können wir herausfinden, ob wir die großen Verheißungen von damals ganz persönlich für uns in Anspruch nehmen dürfen oder ob sie nur für eine bestimmte Situation gemeint waren? Sagt Gott auch uns, wir sollen alles verkaufen und den Armen geben, oder hat Jesus das nur dem »reichen Jüngling« gesagt (Markus 10,21)? Ist das Gebet in unbekannten Sprachen eine Gabe für uns heute oder galt es nur den ersten Christen? Sollen Frauen bei uns Kopftücher tragen, oder hat Paulus das nur in die damalige kulturelle Situation hinein gesagt? Gelten die Einschränkungen für den Dienst von Frauen in der Gemeinde heute noch genauso?

      Der Ansatz: Alles ist wortwörtlich zu nehmen, wir sollten alle Verheißungen auch für uns in Anspruch nehmen, alle Gebote und Verbote so verstehen, als seien immer auch wir gemeint, und zwar unter allen Umständen – so gut er klingt und so gut wir es damit auch meinen, er hilft uns weniger, als wir uns wünschten. Denn dieser Ansatz kann einfach nicht konsequent durchgehalten werden und sobald wir ihn inkonsequent praktizieren, verschwindet auch der ersehnte Konsens in der Gemeinde (siehe auch Kapitel zehn). Viele Menschen behaupten, die Bibel sei grundsätzlich wörtlich zu nehmen. Ich kenne aber niemanden, der dieses Prinzip auch nur annähernd konsequent in die Praxis umsetzt. Jeder ist spätestens an dem Punkt inkonsequent, wo das Prinzip zu unmöglichen Schlussfolgerungen führen würde. Und das ist auch gut so, denn dieses Prinzip reicht nicht aus, um die Bibel richtig zu verstehen.

      Einfache Wege sind zwar verlockend, aber zum einen funktionieren sie letzten Endes doch nicht und vor allem ignorieren sie das Wesen der Bibel selbst – das Wesen der Bücher und Briefe, die in ganz konkrete Situationen hinein geschrieben wurden und dann auch an uns als Wegweisung fürs Leben weitergegeben wurden. Letztendlich scheinen die »einfacheren« Wege nur einfacher zu sein. Wenn wir in der Gemeinde einen Konsens suchen wollen, dann kommen wir nicht sehr weit, wenn jeder ziemlich willkürlich entscheidet, was er wörtlich nimmt. Ich will daher einige Überlegungen anbieten, die uns helfen könnten, die Bibel etwas differenzierter zu betrachten.

       Bibeltreue – vier Aspekte

      Wir wollen »bibeltreu« sein. Das kann jedoch nicht bedeuten, dass wir immer genau das täten, was im Text steht. Was heißt es aber dann, der Bibel zu vertrauen und sie zu befolgen?

      1. Wir setzen unser Vertrauen in Gottes Wort. Wenn kritische Wissenschaftler behaupten, besser als die biblischen Autoren zu wissen, was alles in der Geschichte geschah, dann sagen wir: »Nein.« Wissenschaftler ändern immer wieder ihre Theorien; das Wort Gottes bleibt bestehen.

      2. Wir suchen in der Bibel »den Weg, die Wahrheit und das Leben.« Und wir finden ihn darin tatsächlich, denn es ist Jesus selbst. Jesus sagte zu den Juden, die ihn ablehnten: »Ihr erforscht die Schriften, weil ihr meint, in ihnen das ewige Leben zu haben; gerade sie legen Zeugnis über mich ab. Und doch wollt ihr nicht zu mir kommen, um das Leben zu haben« (Johannes 5,39/40). Wir sind ein Volk des Buches, wenn wir nicht die Bibel selbst zu unserem Mittelpunkt machen, sondern den, den sie verkündigt: Jesus Christus. Wenn uns dieses Buch wichtiger wird als Jesus, sind wir nicht wirklich ein Volk des Buches, weil wir dann andere Prioritäten setzen als die Bibel selbst.

      3. Wir prüfen alle Behauptungen anhand der Bibel. Behauptet jemand, eine neue Erkenntnis zu haben, dann suchen wir in den Schriften, ob sie diese Erkenntnis unterstützen. Will jemand Traditionen in Frage stellen, dann sehen wir in die Bibel. Meint jemand, Gottes Reden gehört zu haben – beim Bibellesen, im Gebet oder durch ein prophetisches Wort –, dann nehmen wir die Bibel zur Hand und sehen nach, ob das Gehörte dem entspricht, was sie lehrt. Aber natürlich prüfen wir nicht nur die Behauptungen anderer anhand der Bibel, sondern auch unsere eigenen! Letztendlich sind wir am allerwenigsten ein Volk des Buches, wenn jeder in der Bibel nur Beweise für seine Überzeugungen sucht. Wenn die Bibel meine eigenen Meinungen nicht mehr in Frage stellen darf, dann habe ich sie bereits außer Kraft gesetzt.

      4. Uns ist wichtig, was der Bibel wichtig ist. Wir streiten uns schnell über Kleinigkeiten und ignorieren dabei oft die wichtigsten Dinge. Immer wieder kritisierte Jesus diejenigen, die zu gewissenhaft detaillierte Regeln befolgten, aber dann ignorierten, was Gott am wichtigsten war. Zur Zeit Jesu hieß das, zwar den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel zu bezahlen, aber das Wichtigste im Gesetz außer acht zu lassen – nämlich Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue (Matthäus 23,23). In unserer Zeit heißt es unter anderem, dass wir uns daran stören, wenn jemand eine Bibelstelle anders auslegt als wir, und dabei vergessen, dass die Einheit der Gemeinde viel wichtiger ist als die Durchsetzung von Standpunkten.

       Mit der Bibel umgehen – vier Ziele

      Wir wollen der Bibel Richtlinien fürs Leben entnehmen, das ist klar. Wie genau das funktioniert, ist leider weniger klar. Hier einige meiner eigenen Prioritäten für den Umgang mit der Bibel.

      1. Ich will Texte sprechen lassen, und sie nicht nur benutzen, um Gesamttheorien zu konstruieren. Ich bin davon überzeugt, dass Gottes Geist uns formt, wenn wir die Bibel

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