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warum hat man es weggenommen?" versetzte Oliver mit einem Seufzer.

      "Weil Herr Brownlow sagte, daß es dich zu beängstigen scheine und daher deiner Wiederherstellung hinderlich sein könnte", entgegnete die alte Dame.

      "Ach nein, es beängstigte mich gar nicht", sprach Oliver, "ich mochte es gern ansehen."

      "Nun, nun, liebes Kind, mache nur, daß du bald wieder gesund wirst", sagte die gute Frau. "Man wird es dann wieder aufhängen, das verspreche ich dir. Doch jetzt wollen wir von etwas anderm sprechen."

      Oliver hörte aufmerksam zu, als ihm Frau Bedwin von ihrem verstorbenen Manne und ihren wohlerzogenen Kindern erzählte. Sie plauderte munter drauflos, bis die Zeit zum Teetrinken herankam. Nachdem dieser eingenommen war, unterrichtete sie Oliver im Kartenspielen, was er ebenso schnell auffaßte, wie sie zu lehren imstande war. Dann vertieften sie sich angelegentlich in diese Beschäftigung, bis es für den Patienten Zeit war, ins Bett zu gehen.

      Die Tage der Genesung waren für Oliver Tage des Glückes. Jedermann war so lieb und gütig zu ihm, daß er im Himmel zu sein glaubte. Er hatte kaum wieder soviel Kräfte erlangt, um sich ankleiden zu können, als ihm Brownlow einen neuen Anzug anfertigen ließ. Da man Oliver sagte, er könne mit den alten Kleidern anfangen, was er wolle, so schenkte er sie einem Dienstmädchen, die sehr gut zu ihm gewesen war. Er riet ihr, die Lumpen an einen Juden zu verkaufen und dadurch zu etwas Geld zu kommen.

      Eines Abends, als Oliver plaudernd bei Frau Bedwin saß, ließ Herr Brownlow sagen, daß er.Oliver auf seinem Stüdierzimmer sprechen möchte.

      Frau Bedwin putzte ihn schnell schön heraus und führte ihn bis an die Tür des Studierzimmers. Oliver klopfte an, und als Herr Brownlow "Herein" rief, trat er in ein kleines, ganz mit Bilchern angefülltes Hintergemach, durch dessen Fenster man in einige schöne, kleine Gärten sah. Vor dem Fenster stand ein Tisch, an dem Herr Brownlow lesend saß. Bei Olivers Eintritt schob er das Buch von sich und hieß den Jungen, näherzukommen und sich zu setzen. Oliver gehorchte, nicht wenig verwundert, wo all die Leute herkommen sollten; eine derartige Menge von Büchern zu lesen. Bücher, die geschrieben schienen, um die Welt weiser zu machen. Eine Verwunderung, die tagtäglich erfahrenere Leute mit unserm Helden teilen.

      "Das ist ein ansehnlicher Haufen Bücher, nicht wahr, mein Junge?" fragte Herr BrownIow, als er die Neugierde gewahrte, mit der Oliver die vom Boden bis zur Decke reichenden Bücherschränke betrachtete.

      "Ach ja, ich habe noch nie so viele gesehen!"

      "Wenn du immer hübsch artig bleibst, so sollst du sie auch lesen. Das wird dir besser gefallen, als das bloße Anschauen des Einbandes – das heißt nicht immer. Es gibt nämlich auch Bücher, an denen die Außenseite das Beste ist."

      "Das sind gewiß diese schweren da", erwiderte Oliver, indem er auf einige dicke Quartanten mit reicher Vergoldung des Einbandes deutete.

      "Nicht immer", sagte der alte Herr lächelnd.

      "Möchtest du wohl gern ein Gelehrter werden und Bücher schreiben, wie?"

      "Ich würde es vorziehen, sie lieber zu lesen."

      "Wie? du willst kein Bücherschreiber werden?"

      Oliver sann eine Weile nach, dann sagte er, es dünkte Ihn weit besser, Buchhändler zu sein.

      Der alte Herr lachte herzlich und bemerkte, er hätte etwas sehr Gescheites gesagt. Oliver freute sich darüber, obgleich er nicht wußte, was das Gescheite war.

      "Nun", sagte der alte Herr wieder ernst, "hab keine Angst. Wir wollen keinen Schriftsteller aus dir machen, solange es noch ein ehrliches Handwerk oder Gewerbe zu erlernen gibt."

      "Ich danke Ihnen", entgegnete Oliver, und der alte Herr lachte von neuem, und zwar über den Ernst, mit dem unser Held diese Antwort vorbrachte. Er ließ auch noch einige Worte von einem merkwürdigen Instinkt fallen, auf die aber Oliver nicht besonders acht gab, da er sie nicht verstand.

      "Nun, mein Sohn", fuhr Herr Brownlow in einem ernsteren Tone fort, "du mußt jetzt wohl auf das merken, was ich dir zu sagen habe. Ich will ohne Rückhalt mit dir reden, denn ich glaube, du wirst mich so gut verstehen können, wie manche ältere Person!"

      "Ach, sagen Sie nur nicht, daß Sie mich fortschicken wollen. Weisen Sie mir nicht die Tür, daß ich wieder auf den Straßen herumwandern muß. Lassen Sie mich hier bleiben und Ihnen dienen. Erbarmen Sie sich über einen armen Jungen, bitte!"

      "Mein liebes Kind", sagte der alte Herr gerührt, "hab keine Furcht, ich werde dich nicht fortjagen, wenn du mir keinen Anlaß dazu gibst."

      "Nie werde ich das, niemals."

      "Ich hoffe es nicht und glaube auch nicht, daß du es je tun wirst", versetzte der alte Herr. "Ich habe mich zwar früher oft in denen getäuscht, welchen ich Wohltaten erweisen wollte. Dir will ich jedoch vertrauen, weil ich wärmeren Anteil an dir nehme, als ich mir selbst erklären kann. Diejenigen, welche ich am innigsten geliebt habe, schlummern längst in den Gräbern, aber obgleich das Glück und die Freude meines Lebens mit ihnen begraben sind, habe ich doch mein Herz zu keinem Sarge gemacht und meine schönsten Gefühle drin verschlossen."

      Der alte Herr sprach dies leise vor sich hin, mehr zu sich als zu Oliver, der kaum zu atmen wagte. Nach einer kleinen Weile fuhr er in heiterem Tone fort:

      "Genug, ich sage das nur, weil dein Herz jung ist und ich hoffe, daß du dich um so mehr vorsehen wirst mich zu betrüben, wenn du weißt, daß ich bereits großen Kummer und viele Leiden erduldet habe. Du sagst, du wärest eine Waise und ohne Verwandte in der Welt. Erkundigungen, die ich angestellt habe, bestätigen deine Angaben. Erzähle mir jetzt deine Geschichte – woher du kommst wer dich erzogen hat und wie du in die Gesellschaft geraten bist, in der ich dich gefunden habe. Sprich aber die Wahrheit. Wenn ich sehe, daß du kein Verbrechen begangen hast, wirst du an mir zeitlebens einen Freund und Beschützer haben."

      Olivers Schluchzen erstickte eine Weile seine Worte. Als er gerade anfangen wollte zu erzählen, kündigte das Dienstmädchen den Besuch des Herrn Grimwig an.

      "Kommt er herauf?" fragte Herr Brownlow das Mädchen.

      "Ja", versetzte das Mädchen. "Er fragte, ob es Keks im Hause gäbe, und als ich bejahte, sagte er, er wolle hier Tee trinken."

      Herr Brownlow lächelte und bemerkte zu Oliver, daß Grimwig ein alter Freund von ihm wäre, ein ungeschliffener Diamant.

      "Soll ich mich entfernen?" fragte Oliver.

      ."Nein, du kannst hierbleiben."

      In diesem Augenblick trat, auf einen starken Stock gestützt, ein starker, alter Herr ins Zimmer. Er war auf einem Bein etwas gelähmt und humpelte. Im ausgestreckten Arm hielt er seinem Freunde ein Stückchen Orangenschale entgegen und rief polternd:

      "Da, sehen Sie das? Ist es nicht zum Wahnsinnigwerden, daß ich in keines Menschen Hause vorsprechen kann, ohne.so was auf der Treppe zu finden. Durch eine Orangenschale bin ich lahm geworden, und eine Orangenschale wird noch mal mein Tod sein. Ich will meinen eigenen Kopf aufessen, wenn mich nicht eine 0rangenschale noch unter die Erde bringt. – Hallo! was ist das?" fügte er mit einem Blick auf Oliver hinzu und trat einige Schritte zurück.

      "Der junge Oliver Twist, von dem wir bereits gesprochen haben", versetzte Herr Brownlow.

      Oliver verbeugte sich.

      "Das ist also der Junge", begann Herr Grimwig.

      "Ja, das ist der Junge",. versetzte Herr Brownlow und nickte Oliver dabei zu.

      "Nun, wie geht's dir?" fragte Herr Grimwig.

      "Ich danke, viel besser", antwortete Oliver.

      Herr Brownlow schien zu befürchten, daß sein absonderlicher Freund irgend etwas Unangenehmes auf der Zunge hätte. Er trug daher Oliver auf, Frau Bedwin zu bestellen, daß sie den Tee bereithalten solle. Nachdem Oliver gegangen, fragte Herr Brownlow:

      "Ist es nicht ein hübscher Junge?"

      "Weiß nicht", erwiderte Grimwig mürrisch.

      "Wie,

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