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gründlich in uns getötet und ausgerottet werden soll, so muss Gott solches tun und wir müssen’s leiden.

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      Es kommt mir eben so vor (ja noch unvernünftiger), als wenn einer, der nach Rom reisen wollte, sich einbildete, er müsste vorher alle Reisebeschreibungen, nicht allein nach Rom, sondern durch alle vier Teile der Welt durchlesen und von dem allen ein ordentliches Konzept ins Gedächtnis fassen, dabei aber sich nimmer auf die Reise begäbe und sich inzwischen doch einbildete, er wäre sehr weit in seiner Reise gefördert, ob er wohl nach wie vor stille in seinem Hause sitzen bliebe.

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      Ach! ich fürchte, dass mancher Gott und sich selber so unbekannt ist, dass er wegen solcher Leichtsinnigkeit besser weiß, was hundert andere machen, als was in seinem eigenen Herzen vorgeht und von Gott darin gewirkt wird. Noch ein anderer Griff des Tausendkünstlers, um gute Gemüter in dem einzig Nötigen zu hindern und aufzuhalten, ist, wenn er sie in eine übermäßige Wirksamkeit, Forschen und Spekulieren der vorwitzigen Vernunft führt, da man dann oft auf allerhand unnötige Streitfragen in der Theorie, auf äußere Umstände und Nebendinge oder auf Subtilitäten der Vernunft, auf diese oder jene Meinungen gerät.

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      Was dir auf deiner Reise zur Ewigkeit nicht beförderlich sein kann, lass dir auch ja nicht hinderlich sein.

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      Dein stetiges Werk sei, bei dir selbst zu bleiben und mit dem Herrn im Verborgenen deines Geistes so zu wandeln, als wenn du nur mit ihm allein in der Welt wärest.

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      Lass es dir sein, als wenn du in der Gesellschaft eines guten und lieben Freundes durch ein fremdes Land und eine wüste Einöde reistest.

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      Auf solche Weise der Welt und dir immer absterben und so mit Gott im Verborgenen leben, das heißt Jesus nachfolgen, darin besteht der Kern und das Wesen des Christentums.

      Dies muss dein allein wichtiges, dein einziges und alltägliches Geschäft hier auf Erden sein, dies muss dein einziger Hauptzweck sein, den du bei allem stets im Auge haben und wozu du alles andere richten musst.

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      Alle seine Beschäftigung war nur, zu sein in dem, das seines Vaters ist (Lukas 2,49), ohne um fremde Dinge sich zu bekümmern, wozu er nicht in der Welt war.

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      Durch kein Mittel kann sich Gott des menschlichen Herzens besser bemächtigen als durch die Liebe, und durch kein Ding kann der Mensch Gott besser gefallen als durch die Liebe, denn sie ist des Gesetzes Erfüllung.

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      Er gewöhne sich daran, alles, was er tut, aus Liebe zu diesem Gott zu tun; alles, was ihm begegnet, in Liebe von diesem Gott anzunehmen; alles, was er zu leiden hat, in Liebe um dieses Gottes willen zu ertragen.

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      Liebe haben und Liebe fühlen, ist nicht allezeit beisammen.

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      Vorwort

      In einer Reihe „Klassiker der christlichen Spiritualität“ darf Gerhard Tersteegen nicht fehlen. Aber gerade weil wir ihn zu kennen glauben und er vor allem durch seine Lieder „Gott ist gegenwärtig“ und „Ich bete an die Macht der Liebe“ auch heute noch weithin bekannt ist, ist es reizvoll und lohnend, sich mit seinen kleinen Schriften, die er zu verschiedenen Anlässen verfasst hat, zu beschäftigen. Die Tiefe seiner Gedanken erschließt sich erst, wenn man diese kurzen Texte in ihrer schlichten Sprache langsam und am besten mehrmals liest. Ganz bewusst wurde Tersteegens Sprache deshalb auch weitgehend belassen und nur da, wo es uns heute unverständlich oder missverständlich schien, eingegriffen. Wir sind so gleichsam „gezwungen“, die Texte aufmerksam, nachdenkend zu lesen und kommen so der inhaltlichen Tiefe eher auf die Spur. Und mit jedem Lesen werden Ihnen die Texte wertvoller werden.

      Es ist in unserer lauten und hektischen Welt nicht einfach, still zu werden, damit auch das „leise Säuseln“ nicht überhört wird, in dem schon der Prophet Elia Gott wahrgenommen hat. Das große Anliegen Gerhard Tersteegens war es, selbst in der Gegenwart Gottes zu leben und andere zu einem solchen Leben einzuladen.

      Die in diesem Buch versammelten Texte spiegeln dieses Anliegen wider. Leitendes Motiv bei der Auswahl war die Aktualität der Gedanken für unsere Spiritualität heute. Es ging also nicht darum, das ganze inhaltliche Spektrum der Arbeiten Tersteegens abzubilden, sondern vielmehr das herauszugreifen, was uns besonders aktuell und inspirierend erschien für unser Leben und Glauben.

       Thomas Baumann

      I. Thomas Baumann: Gerhard Tersteegen

      1. Ein stilles Leben?

      Zur Biografie Gerhard Tersteegens

      Wie geht das zusammen: Ein Mystiker, der jede Ablenkung und Zerstreuung fürchtet, der die Einsamkeit und die Stille sucht, und der doch ständig in Kontakt mit Menschen steht, die etwa brieflich und persönlich seinen Rat suchen, die ihn zu Predigtdiensten anfragen, sodass er schließlich sogar seinen Beruf aufgeben muss, um den Anfragen auch nur einigermaßen nachkommen zu können? Als er in jungen Jahren selbst sehr arm war, hielt ihn das nicht ab, das Wenige, das er entbehren konnte, mit den Armen in der Umgebung zu teilen, die er abends, wenn ihn niemand sah, in ihren elenden Behausungen aufsuchte. Er eignete sich im Lauf der Zeit umfassende medizinische Kenntnisse an und wendete diese vor allem bei Kranken an, die sich keinen Arzt oder Apotheker leisten konnten. Schließlich waren seine Arzneien so gefragt, dass er für ihre Zubereitung eine Hilfe einstellen musste!

      Gerhard Tersteegen wurde am 25. November 1697 im niederrheinischen Moers geboren. Von 1703 bis 1713 besuchte er die 1582 im calvinistischen Geist von Graf Adolf von Moers gegründete Lateinschule. Die gründlichen Sprachkenntnisse, die er hier im Lateinischen, Griechischen, Hebräischen und Französischen erwirbt, werden ihm bei seinen zahlreichen Übersetzungsprojekten später gute Dienste leisten. Nach Abschluss der Schule ist an ein Studium aus Kostengründen nicht zu denken. Tersteegens Vater war schon 1703 gestorben, und so kommt Gerhard zu seinem Schwager, einem Kaufmann in Mülheim an der Ruhr, in die Lehre. Die vierjährige Lehrzeit war hart, zumal Tersteegen schnell klar geworden war, dass der Kaufmannsberuf, der viel Umgang mit Menschen bedeutet, nichts für ihn sein würde. Nach Beendigung der Lehrzeit wechselte er deshalb zur Leinenweberei, musste jedoch feststellen, dass er den Anforderungen dieses Berufs aufgrund seiner schwachen körperlichen Konstitution nicht gewachsen war. Er lernte das Bandweben und suchte als Bandwirker seinen bescheidenen Lebensunterhalt zu verdienen. Was darüber hinausging, bekamen die, die noch bedürftiger waren als er. Oft genug

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