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      In deiner Kammer

      Geschichten

      Saga

      In deiner Kammer

      © 1903 Paul Keller

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711517352

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com - a part of Egmont, www.egmont.com

      Einleitung.

      In deiner Kammer.

      Du hast mich gerufen ... nun bin ich bei dir! Als du das Buch aufschlugst, kam ich zu dir. Ich bin in deiner Kammer.

      In deiner Kammer? Ja!

      Vielleicht schaust du auf seidene Decken, auf hohe Spiegel und kostbare Bilder und siehst mich fragend an.

      Ja, es ist doch eine Kammer!

      Deine Kammer!

      Jetzt — gerade in diesem Moment — fragst du nichts nach Sammetpolstern und goldenen Borden; jetzt — gerade in diesem Moment — willst du an all die tausend Personen und Dinge nicht denken, denen du sonst so nahestehst; jetzt — gerade in diesem Moment — willst du dich auch nicht allein mit dir selbst beschäftigen.

      Denn jetzt willst du lesen.

      Und ein Lesender ist immer in einer schlichten Kammer, in der nichts da ist als ein Paar Augen, eine Seele und ein Buch.

      Wer ich bin? O, das ist gleich! Auch, woher ich komme. Aber ehe ich zu dir kam, war ich auf einer weiten Reise. Da habe ich viel Menschen gesehen. Lachende und weinende, sehr viel gute Leute. Böse Menschen kenne ich fast gar nicht. Es begegnete mir manchmal einer, vor dem ich erschrak und meinte, er sei böse; aber wenn ich ihn genau betrachtete, war er nur ein Unglücklicher. Mit viel Schlechtem werde ich dich nicht erschrecken; du sollst dich in deiner Kammer nicht fürchten.

      Ich bin noch jung, deshalb erschüttert mich das Leiden der Menschen heftig. Aber ich kann auch über kleine Dinge glücklich lachen. Und ich habe mich bemüht, mir die Augen blank zu halten, dass ich gut zusehen kann.

      Was ich bei dir will? Eines nicht: ich will dich nicht belehren, ich will dir auch nicht raten. Wer weiss, ob du nicht klüger bist als ich, und dann wäre ich schlimm daran. Nein, ich will dir nur erzählen, was ich gehört und gesehen habe. Und wenn es wert für dich ist, wird deine Seele von selbst fortspinnen, wird zustimmen oder widersprechen, wird denken, wird ähnliche oder andere Bilder zeichnen mit deinen Menschen, deinen Fluren, deinem Himmel.

      Ob du mir etwas schuldig bist? O ja! Geld freilich nicht. Das, was du etwa bezahlt hast, war für das Papier. Und deine Freundschaft darf ich nicht verlangen. Das wäre zuviel für den kleinen Dienst. Wenn du mir schon einen Gefallen tun willst, so bitte ich dich: mich nicht zu lange bei dir zu behalten. Lass dir nicht alles auf einmal erzählen! Das strengt an, und dann — wenn ich fort bin — weisst du nicht, was ich dir eigentlich gesagt habe. Nein, wenn ich dir bei jedem Besuche eine Geschichte erzähle, das ist genug. Ich komme wieder, sobald du willst.

      Das bin ich. Und wer bist du? Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass ich es nicht gern wissen möchte. Aber ich kann es nicht wissen; ich erzähle dir ja mit geschlossenen Augen. Ich weiss nicht, wie es in deiner Kammer aussieht, weiss nicht, ob die Sonne hineinscheint oder eine goldene Ampel brennt oder ein kleines Talglicht neben dir auf die Diele tropft. Ich weiss nicht, ob du mit funkelnder Brille und kritisch gefurchter Stirn mir zuhörst oder ein schöner Schalk bist, der mir mit lachenden Augen gegenübersitzt. Aber sie ist ganz schön, diese Heimlichkeit. Und eines weiss ich doch von dir:

      Du bist ein Mensch, der Stunden hat, in denen er einsam sein will, ein Mensch, der ein Interesse hat, das über seinen Kreis und seine Umgebung hinüberreicht ins grosse Gebiet der Allgemeinheit, einer, der teilnehmen mag an fremden Schicksalen, einer, der eine stille Kammer hat, wo er für sich ist.

      Reich mir die Hand, wir wollen uns vertragen!

      Das alte Heim.

      O Gott, ... lag denn diese Strasse wirklich in derselben Stadt, in der er wohnte? Fast schien es ihm unbegreiflich.

      Er wusste wohl: vor Jahren hatte er in diesem Stadtteil gewohnt, war er täglich diese selbe Strasse entlang gegangen, viele Male. Es war ihm heute, als ob er in eine alte Heimat zurückkäme, aber es war ihm auch, als sei er unterdes in weiter Fremde gewesen, in einem Lande, fern überm Meer ... viele Jahre.

      Und doch hatte er immer in derselben Stadt gewohnt, die ganze Zeit. Nur in ein anderes Viertel war er gezogen, am anderen Ende der Grossstadt. Von seiner jetzigen Wohnung aus war dieser Stadtteil mit der elektrischen Strassenbahn in einer halben Stunde zu erreichen, und er war in ihm seit zehn Jahren nicht gewesen.

      Ja, er hatte ihn absichtlich gemieden. Manchmal war’s nahezu ein Kunststück gewesen; aber er hatte es doch fertig gebracht ...

      Was wollte er nur heute hier? Er wusste es nicht. Absichtslos, nur mit einem ganz leisen Schauern hatte er beim Spaziergang den Schritt über die Strombrücke gelenkt, die hierher führte.

      Nun ging er willenlos wie ein Träumender den wohlbekannten Weg entlang, immer seiner früheren Wohnung zu, ... ging nach Hause.

      Es hatte sich ja mancherlei hier geändert. Die elektrische Bahn durchsauste die Strasse, ein paar alte Häuser waren weggerissen, neue, aber durchaus nicht schönere Gebäude standen an ihrer Stelle, viele Firmenschilder waren geändert, und wo früher die kleine Buchhandlung war, handelte jetzt ein dickes Weib mit Filzschuhen und wollenen Strümpfen.

      Aber der Fleischer war noch da. Er stand hinter seiner Ladentafel, rund, rosig und sauber wie einst. Der einsame Mann trat in den Laden und verlangte für 25 Pfennig gewöhnliche Wurst. Der Fleischer bediente den Herrn in dem vornehmen Pelze mit seiner besten Höflichkeit und schaute ihn immer an und war wohl sehr verwundert. Aber er kannte ihn nicht und hatte doch vor Jahren täglich mit ihm geplaudert.

      Draussen schenkte der Herr die Wurst einem armseligen Gassenbüblein. Das wollte sie anfangs gar nicht nehmen, und als der Bursche schon das Papier in der Hand hielt, prüfte er erst den Inhalt mit vorsichtiger Miene. Aber dann roch er ein wenig daran und ass das Geschenk des unheimlich freigebigen Herrn auf, ob es vergiftet war oder nicht.

      Der Fremde ging weiter. Gewohnheitsmässig kehrte er beim Kaufmann ein und verlangte ein halbes Dutzend Zigarren, das Stück zu 6 Pfennigen. Während der Kaufmann den Beutel füllte, fiel dem Käufer ein, das Rauchen sei eigentlich ein teurer Luxus. Er konnte sich’s nun einmal nicht abgewöhnen. Er bezahlte 40 Pfennige und bekam 4 Pfennige zurück. Die würde er natürlich der alten Henselten schenken, die ja um dieselbe Zeit schon immer vor dem Zigarrenladen auf ihn lauerte. Nun, wer sich selbst einen kostspieligen Genuss gestattet, kann für andere auch etwas tun.

      Der Fremde lächelte. Wie weit verlor er sich doch! Gott wusste, wie lange die alte Henselten schon keinen Pfennig mehr brauchte.

      Aber als er aus dem Laden trat, ... war sie da. Er erschrak vor ihr, wie vor einem Gespenste. Sie aber hob den vermummten Kopf zu ihm empor, blinzelte ihn mit ihren trüben Äuglein an und sagte, indes ein unendlich glückliches Lächeln über ihr verrunzeltes Gesicht ging:

      „Herr Berthold ... hab’ ich doch recht gesehen ... hab’ ich doch recht gesehen ... Nein, so was ... und ich hab’ Sie so lange nicht ...“

      Ein Hustenanfall erstickte ihre Stimme. Das hinderte sie aber nicht, ihm ihre braune, magere Hand hinzuhalten. In die liess er mechanisch die 4 Pfennige gleiten, die er noch zwischen den Fingern hielt. Die Alte erholte sich, besah das Geld beim Laternenlicht

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