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ging.

      Das Luftschiff war eine schlanke Konstruktion von etwa fünfundzwanzig Metern. Unter einem zigarrenförmigen Auftriebskörper hing eine hölzerne Personengondel, an der links und rechts, an zwei Auslegern, leise schnurrende Elektromotoren befestigt waren. Geschwungene, mit Tierhäuten bespannte und mit farbigen Markierungen verzierte Ruderblätter vervollständigten das Bild dieses schnittigen Wolkengleiters. Das Fantastische an der Pachacútec war, dass sie absolut geräuschlos fliegen konnte, vorausgesetzt, der Wind blies nicht mit Orkanstärke und die Motoren funktionierten einwandfrei. Und genau da schien es gerade ein Problem zu geben.

      »Oskar, komm mal bitte zu mir rüber. Ich brauche deine Hilfe.«

      Humboldt schraubte an den Leitungen herum, die von den runden Wasserstofftanks auf dem Achterdeck zu den Motoren am Ende der hölzernen Ausleger verliefen. Er deutete auf die Petroleumlampe, die einen tranigen Lichtstrahl in die Gegend schickte. »Halt mal die Lampe. Am besten du drehst sie so, dass der Spiegel das Licht auf das Kabel hier wirft.«

      »Was ist mit dem Kabel?«

      »Der Kontakt scheint von der Säure korrodiert zu sein. Ich muss das Kupfer reinigen, damit der Motor wieder genügend Strom bekommt.« Humboldt nahm einen Schraubenschlüssel und löste die Schelle, mit der die Isolierung befestigt war. Als er die Isolierung gelöst hatte, sah Oskar die grüne Oxidationsschicht im Licht der Laterne schimmern. Humboldt gab ein Zeichen und die beiden Frauen zogen an den Schubhebeln. Die Motoren wurden leiser. Die Propeller rotierten langsamer und blieben mit einem stotternden Geräusch stehen.

      Schlagartig wurde es ruhig auf dem Luftschiff. Das Zischen der Ventile verebbte und der Boden unter ihren Füßen vibrierte nicht mehr. Oskar konnte hören, wie der Wind in der Takelage summte. Tief unter ihnen rauschte das Meer.

      Er richtete seinen Blick wieder auf das Kabel. Humboldt zog den Anschluss mit aller Kraft vom Sockel und fing an, ihn mithilfe einer übelriechenden Paste von dem grünlichen Schmutz zu befreien. Als das Kupfer wieder glänzte, steckte er das Kabel auf den Sockel, zog die Isolierung darüber und drehte die Halteklemme fest.

      »Dann wollen wir es mal versuchen. Kontakt!«

      Charlotte und Eliza schoben die Hebel wieder nach vorne und schalteten auf Vollgas. In den Tanks zischte und gluckerte es, dann gab es einen Knall. Die Propeller begannen immer schneller zu rotieren. Humboldt zog seine Handschuhe aus und lauschte zufrieden dem Schnurren der Motoren. Die Pachacútec gewann an Fahrt. Der Forscher eilte nach oben auf die Brücke, warf einen kurzen Blick auf die Messinstrumente und nickte dann.

      »Gut gemacht. Die Aggregate funktionieren einwandfrei. Wir haben wieder volle Leistung. Oskar, pack das Werkzeug zusammen und komm zu uns nach oben! Es gibt etwas zu besprechen.«

      Oskar beeilte sich, die Schraubenschlüssel, Klemmen und Zangen in das Lederfutteral einzuschlagen, wickelte alles zusammen und zog den Riemen fest. Dann legte er die Tasche zurück an ihren Platz und eilte die Stufen zur Brücke empor.

      »Ich weiß, dass ihr alle ein wenig enttäuscht seid, dass unser Ausflug nach Athen nur von kurzer Dauer war«, sagte der Forscher, »aber ich hatte meine Gründe. Einer davon war, dass wir verfolgt wurden.«

      »Was?« Oskar glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Normalerweise hatte er einen sechsten Sinn für Verfolger. Das hatte ihm in seiner Vergangenheit als Taschendieb schon oft die Haut gerettet. Doch diesmal war ihm nichts aufgefallen. »Wer hat uns verfolgt? Und warum?«

      »Auf beide Fragen weiß ich keine Antwort. Ich wollte euch nicht beunruhigen, darum habe ich nur mit Eliza darüber gesprochen.«

      Die Haushälterin sah die beiden Jugendlichen mit ihren haselnussbraunen Augen an. »Der Mann war gefährlich, so viel ist sicher. Irgendetwas Dunkles umgab ihn wie eine Gewitterwolke. Er besaß eine Aura, die ich nicht durchdringen konnte. Doch was immer ihn antrieb, es war etwas Böses.«

      »Am Abend unserer Ankunft war noch alles in Ordnung«, fuhr Humboldt fort, »doch schon am nächsten Tag bemerkte ich einen Mann, der uns von der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtete. Als wir die Kutsche in Richtung Polytechnikum nahmen, folgte er uns. Für eine Weile verlor ich ihn aus dem Blick, doch dann entdeckte ich ihn wieder. Er stand seitlich des Haupteingangs im Schatten einer Säule. Nicht eine Sekunde lang ließ er den Platz vor dem Polytechnikum aus den Augen. Doch sosehr ich mich auch bemühte, es gelang mir nicht, ihn näher unter die Lupe zu nehmen. Seine Position und die Art, wie er sich bewegte, deuteten darauf hin, dass er ein Profi ist. Daher die Sache mit dem übereilten Aufbruch. Es tut mir leid.«

      »Aber wir haben ihn doch abgehängt, oder?«, fragte Oskar. »Fliegen kann er ja schließlich nicht.«

      »Vermutlich. Trotzdem sollten wir wachsam sein. Mein Gefühl sagt mir, dass wir diesen Mann nicht zum letzten Mal gesehen haben.«

      »Was machen wir denn jetzt?«, fragte Charlotte. »Ich finde nicht, dass wir sehr viel weitergekommen sind.«

      »Ganz so düster würde ich es nicht sehen«, sagte der Forscher. »Wir haben eine Spur. Sie mag zwar klein sein, aber besser als gar nichts.«

      »Was meinst du, Onkel?«

      »Wir haben zwei Namen.« Humboldt reckte zwei Finger in die Luft. »Die Namen Tesla und Livanos. Was den zweiten betrifft, so habe ich keine Ahnung, ob er für unseren Auftrag irgendwie von Bedeutung ist, aber was den ersten betrifft, so weiß ich ziemlich genau, wo wir suchen müssen. Auf die Pachacútec müssen wir allerdings verzichten. Ein Luftschiff ist viel zu auffällig. Wir werden zurückfliegen und von Berlin aus den Zug nehmen. Je unauffälliger wir reisen, desto besser.«

      »Was ist denn nun unser Ziel?« Oskar hasste das Gefühl, als Einziger nicht zu wissen, worüber gesprochen wurde.

      »Frankreich«, erwiderte Humboldt. »Genauer gesagt Paris. Die größte Metropole des europäischen Kontinents.«

      12

      Dr. Christos Papastratos klappte den Ordner mit den Vorlesungsunterlagen für den morgigen Tag zu und streckte sich. Es war bereits kurz nach neun Uhr abends. Draußen war es bereits stockdunkel. Der Besuch des deutschen Forschers und seiner Begleiter hatte seinen Tagesablauf komplett auf den Kopf gestellt. Normalerweise war er spätestens um sieben mit seiner Arbeit fertig und ging dann ins Aeneas, einer kleinen Taverne um die Ecke, um dort einen Meeresfrüchteteller und einen halben Liter Retsina zu genießen. Dort fanden sich immer ein paar Leute aus der Fakultät, mit denen man plaudern und einen angenehmen Abend verbringen konnte. So konnte es bisweilen recht spät werden. Doch daheim wartete ja niemand auf ihn. Seit seine Frau vor zwei Jahren gestorben war, spürte er kein Verlangen, mehr Zeit als nötig zu Hause zu verbringen.

      Die Lampen seines Arbeitszimmers flackerten unbeständig im Wind, der durch die geöffneten Fenster hereindrang.

      Er blickte hinaus. Erstaunlich, wie frisch es wurde, wenn die Sonne untergegangen war.

      Er stand auf, schloss die Fensterläden und zog die Vorhänge zu. Das Gespräch mit dem Forscher hatte alte Erinnerungen geweckt. Erinnerungen an die Zeit, in der Livanos noch an dieser Universität studiert hatte. Wie jung sie beide damals noch gewesen waren! Jung und voller Ehrgeiz. Heute war Livanos tot und er selbst fühlte sich wie ein alter Mann.

      Er holte seine Jacke aus dem Schrank und wollte gerade das Licht löschen, als von nebenan ein Geräusch erklang. Verblüfft hob er die Brauen. »Gregorios, bist du das?«

      Keine Antwort. Wäre auch ungewöhnlich gewesen. Sein Assistent ging immer sehr pünktlich nach Hause. Blieb nur Atanasios. Der alte Nachtwächter hatte die Angewohnheit, regelmäßig Patrouillengänge zu machen. Nicht, dass er dabei wirklich nach Einbrechern forschte – er war ohnehin ziemlich schwerhörig – er vertrat sich nur einfach gerne die Beine.

      Papastratos nahm seine Tasche, drehte die Petroleumlampen herunter und öffnete die Tür.

      Der Mann, der draußen stand, war groß und hager und sah irgendwie bedrohlich aus. Unter dem tiefgezogenen Hut waren seine Augen nicht zu erkennen.

      »Wer sind Sie?«, entfuhr es dem Dekan.

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