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      »Ja, ganz sicher. Schau mal genau hin.«

      Bibiane kam vorsichtig näher, hielt es aber für besser, hinter Philo zu bleiben. Vorsichtig lugte sie hinter seinem Rücken hervor. Jetzt erkannte sie, dass es tatsächlich altes Wurzelholz war. Die Grimasse und die Hörner sah sie trotzdem noch darin.

      »Du musst keine Angst haben«, beruhigte Philo sie. »Komm, jetzt schnappen wir uns die Liesel und machen uns endlich auf den Heimweg. Wir werden bestimmt schon erwartet.«

      Bibiane lachte erleichtert auf. »Aber gib zu, ein bisschen hast du dich auch gefürchtet«, stellte sie fest.

      »Na ja, nicht wirklich«, schwächte Philo ab. »Komm, wir sollten jetzt schnell die anderen Tiere holen und zum Hof laufen. Sonst setzt es noch was.«

      Er fing die Kuh ein und gab ihr mit seiner Geißel die Richtung zu verstehen, und gemeinsam liefen sie zurück zur Weide. Während des ganzen Weges schämte Bibiane sich abgrundtief, dass sie vor Philo in Tränen ausgebrochen war. Sie wollte vor ihren Freunden ganz sicher nicht als schwaches Mädchen dastehen. Doch Philo sagte nichts, sondern lächelte sie nur aufmunternd an.

      Als die beiden auf dem Weidestück ankamen, waren dort keine Tiere mehr zu sehen. Das Vieh wusste, wann es Zeit war, zum Hof zurückzukehren, und hatte sich ohne die Kinder auf den Weg gemacht. Blasius kam aus dem oberen Wald auf sie zugerannt.

      »Verflixt«, keuchte er. »Jetzt hat sich das ganze Vieh schon davongemacht, und wir kriegen erst recht Ärger.«

      Den Kindern blieb nichts anderes übrig, als mit der abtrünnigen Kuh zurückzulaufen. Zwei weitere Kühe und eine Ziege fingen sie auf dem Rückweg noch ein. Bibiane hoffte, dass ihr Vater noch beim Holzfällen war, denn sie hatte Angst vor seiner Wut, wenn er sah, dass die Herde ohne Hirten nach Hause gekommen war.

      Ihre Hoffnung erfüllte sich nicht. Als die drei den Königenhof erreichten, wurden sie von Martin an der Stalltür erwartet. Für alle drei Kinder setzte es Ohrfeigen, weil sie nicht richtig aufgepasst hatten.

      Einige Wochen nach ihrem Einzug saß Walburga am Morgen auf der Bank vor ihrem Haus. Das Öhmden, der zweite Schnitt im Jahr, war vorüber, und die Tritschlers hatten Glück gehabt, dass es nur wenig geregnet hatte und das Gras schnell getrocknet war. Der Heustock ihres neuen Hofes war voll bis zum Rand, sie würden gut über den Winter kommen. Auch heute schien die Sonne mild. Bald würde sie nicht mehr ins Tal reichen und der Schatten überhandnehmen.

      Walburga spürte eine altbekannte Übelkeit in sich aufsteigen. Seit einiger Zeit ging es morgens schon so, und die Bäuerin wusste nur allzu gut, was das bedeutete. Ihr Beten hatte nichts genützt, sie trug ihr elftes Kind unter dem Herzen. Walburga seufzte. Vierzig Jahre zählte sie bald. Ihre Haare waren grau, Falten zogen sich über ihr Gesicht. Wie sehr hatte sie gehofft, dass das nicht mehr passieren würde. Sie und Martin konnten Gott nur danken, dass sie zehn Kinder auf die Welt gebracht hatte, die alle gesund waren und von denen kein einziges gestorben war. Kaum ein anderer Hof in der Umgebung brachte es auf so viel Nachwuchs, und es gab kaum eine Familie, die nicht ein totes Kind zu beklagen hatte. Aber waren zehn nicht genug? Musste ihr Glück noch ein weiteres Mal herausgefordert werden? Walburga wünschte, sie könnte es ändern, und erschrak bei diesem Gedanken. Sie bekreuzigte sich und entschied, mit der Mitteilung an ihren Mann noch etwas zu warten. Sie musste sich erst selbst daran gewöhnen, dass sie schon wieder ein Kind bekam.

      Nach Weihnachten war Walburgas Bauch so groß wie nie zuvor in ihren anderen Schwangerschaften. Martin zog sie auf, dass sie wahrscheinlich schon im Januar niederkommen würde. Doch Walburga war sich sicher, dass dies nicht der Fall sein konnte. Sie ging zur Hebamme nach Neukirch. Der über eine Stunde dauernde Fußmarsch stramm bergauf durch den Schnee war beschwerlich, und Walburga war froh um den Stock, den sie mitgenommen hatte, um sich beim Laufen abzustützen. Sie hoffte inständig, dass die Hebamme überhaupt da war und nicht gerade unterwegs bei einer Geburt.

      Sie hatte Glück. Theodora, eine ältere Frau mit freundlichem Lächeln, öffnete die Tür ihres winzigen Hauses und ließ sie eintreten.

      »Guten Tag«, sagte Walburga, »ich bin vom Königenhof.«

      »Und bald kommst du nieder«, meinte Theodora fachkundig mit Blick auf ihren Bauch.

      »Nein, eben nicht«, erwiderte Walburga, »das kann überhaupt nicht sein. Es können höchstens fünf Monate sein.«

      »Dann komm rein.«

      Walburga war froh, in die Wärme zu gelangen. Ihre Füße waren durchgefroren. Ihre nassen Schuhe zog sie aus und schlüpfte in die Strohschuhe, die Theodora ihr hinstellte. Über einen schmalen Hausgang ging es linkerhand in eine kleine Stube, in der neben dem Kachelofen ein Bett stand.

      »Leg dich hin«, die Hebamme deutete auf das Bett, »ich werde dich abtasten.«

      Geschickt strichen ihre warmen Hände wenig später über Walburgas Bauch, die sich nach einer Weile entspannte. Theodora schwieg und arbeitete ruhig und gewissenhaft. Schließlich schaute sie auf.

      »Du kriegst Zwillinge.«

      »Zwillinge?« Walburga sah die Hebamme erschreckt an. »Bist du sicher?«

      »Ja, ganz sicher, ich kann beide spüren.« Sie lächelte. »Zwei Kinder sind etwas Besonderes. Du kannst stolz sein.«

      »Wie soll ich mich um zwei Säuglinge gleichzeitig kümmern können?«, fragte sich Walburga leicht verzweifelt. »Und um die anderen Kinder noch dazu?«

      »Wie viele hast du schon?«

      »Zehn.«

      »Dann wird es nicht so schlimm, du wirst sehen.« Theodora stand auf. »Du weißt, wie es geht. Deine großen Kinder werden dir helfen. Versuche, dich zu schonen, mach nur das Nötigste. Ich kann in einem Monat noch einmal nach dir schauen.« Die Hebamme sah Walburga direkt in die Augen. »Wenn du möchtest.«

      Walburga verstand und setzte sich auf. Sie griff nach ihrem Beutel und holte ein ordentliches Stück frisch geräucherten Speck hervor.

      »Ist das ausreichend?«

      Theodora griff zu. »Danke, das passt fürs Erste.«

      Leo und Julius kamen im April 1834 zur Welt. Theodora war an Walburgas Seite, die sich vor Schmerzen wand. Kaum war Leo auf der Welt, versagte ihr die Kraft, doch die Hebamme hieß sie durchzuhalten. Als es am frühen Nachmittag geschafft war, kümmerte sich Theodora um beide Säuglinge, wickelte sie in Decken und legte sie in Walburgas Arme. Dann holte sie Martin.

      »Schau, zwei Buben.« Walburga strahlte ihren Mann erschöpft an. »Beide kräftig und gesund.«

      Martin kam näher ans Bett und betrachtete eine Weile mit zufriedenem Gesichtsausdruck seine neugeborenen Söhne.

      »Sie ähneln sich wie ein Ei dem anderen«, stellte er fest. »Wie sollen wir sie je auseinanderhalten?«

      »Nein, so ähnlich sehen sie sich nun auch wieder nicht«, widersprach Walburga. »Ich kann die Unterschiede schon erkennen. Bald geht es dir auch so.« Die Königenbäuerin glühte vor Stolz. »Wie gesegnet wir mit Kindern sind, nicht wahr, Martin?«

      »Ja, um einen Hoferben brauchen wir uns wahrlich keine Sorgen zu machen.« Er legte seine Hand auf ihre Schultern. »Jetzt erhol dich. Die Magd kommt auch ohne dich in der Küche zurecht.«

      Martin war angesichts zweier weiterer Söhne in bester Stimmung. Nachdem er die Schlafkammer verlassen hatte, ging er direkt in den Bergschopf und kehrte mit einer Flasche Obstbrand in die Stube zurück.

      »Lorenz, hol die Nachbarn«, wies er seinen Ältesten an.

      Kurze Zeit später trafen die ersten Gratulanten im Königenhof ein. Der Gestellmacher Philipp Beha und der Löfflerjohann aus dem Königenhäusle setzten sich gerne und ließen sich einschenken. Der Bauer vom Kajetanshof kam dazu, sogar dem Knecht Wendelin wurde ein Platz am Tisch angeboten.

      »Zwei Söhne auf einmal«, rief Martin und hob das Glas, »das muss mir erst mal einer nachmachen.«

      »Gratulation.«

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