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Im Fall des Skandals um die Darlington-Unterschiebung hat er mir genutzt, und ebenso in der Sache Answorth Castle. Eine verheiratete Frau greift nach ihrem Baby – eine unverheiratete nach ihrer Schmuckschatulle. Nun war mir klar, daß unsere heutige Dame nichts für sie Kostbareres im Haus hatte als das, was wir suchen. Sie würde also loslaufen, um es in Sicherheit zu bringen. Der Feueralarm war hervorragend gemacht. Der Rauch und das Geschrei reichten völlig aus, um auch Nerven aus Stahl zu erschüttern. Sie hat wunderbar reagiert. Die Photographie befindet sich in einer Höhlung hinter einer beweglichen Täfelung, gerade oberhalb des rechten Glockenzugs. Sie war im Nu da, und ich konnte einen Blick auf das Bild erhaschen, als sie es halb aus dem Versteck zog. Als ich dann rief, daß es ein falscher Alarm gewesen sei, hat sie es wieder zurückgesteckt, die Patrone angestarrt, dann ist sie aus dem Raum gestürzt, und seither habe ich sie nicht gesehen. Ich bin aufgestanden, habe mich entschuldigt und das Haus verlassen. Ich habe überlegt, ob ich nicht sofort versuchen sollte, das Bild in Sicherheit zu bringen; inzwischen war aber der Kutscher hereingekommen, und da er mich mißtrauisch beobachtet hat, schien es mir besser, zu warten. Ein wenig Übereiltheit kann alles ruinieren.«

      »Und nun?« fragte ich.

      »Unsere Aufgabe ist fast erledigt. Ich werde morgen mit dem König dort vorsprechen, mit Ihnen zusammen, wenn Sie mit uns kommen mögen. Man wird uns in den Wohnraum führen, wo wir auf die Lady warten können, aber es steht zu vermuten, daß sie, wenn sie kommt, weder uns noch die Photographie antrifft. Es könnte Seiner Majestät eine besondere Befriedigung sein, das Bild eigenhändig wiederzubeschaffen.«

      »Und wann wollen Sie dort vorsprechen?«

      »Um acht Uhr morgens. Sie wird noch nicht aufsein, wir werden also freies Spiel haben. Außerdem müssen wir schnell sein, denn diese Heirat könnte eine völlige Umstellung in ihrem Leben und ihren Gewohnheiten bedeuten. Ich muß unverzüglich dem König drahten.«

      Wir hatten die Baker Street erreicht und waren vor der Tür stehengeblieben. Er suchte in seinen Taschen nach dem Schlüssel, als ein Passant sagte:

      »Gute Nacht, Mister Sherlock Holmes.«

      Zu dieser Zeit waren mehrere Leute auf dem Gehweg, aber der Gruß schien von einem schmächtigen Jüngling in einem Ulster zu kommen, der an uns vorbeigeeilt war.

      »Die Stimme habe ich schon einmal gehört«, sagte Holmes; er starrte die undeutlich erhellte Straße hinab. »Also, ich wüßte gern, wer zum Teufel das gewesen sein mag.«

      Ich schlief diese Nacht in der Baker Street, und wir saßen bei unserem Toast und Kaffee, als der König von Böhmen ins Zimmer gestürmt kam.

      »Sie haben das Bild wirklich!« rief er; er packte Sherlock Holmes an beiden Schultern und starrte aufgeregt in sein Gesicht.

      »Noch nicht.«

      »Aber Sie sind hoffnungsvoll?«

      »Das bin ich.«

      »Dann kommen Sie; ich kann es kaum erwarten.«

      »Wir brauchen eine Droschke.«

      »Nein, mein Wagen wartet unten.«

      »Das vereinfacht die Sache.«

      Wir gingen hinab und machten uns abermals auf den Weg zu Briony Lodge.

      »Irene Adler ist verheiratet«, bemerkte Holmes.

      »Verheiratet! Seit wann?«

      »Seit gestern.«

      »Mit wem denn nur?«

      »Mit einem englischen Anwalt namens Norton.«

      »Sie kann ihn aber doch nicht lieben?«

      »Ich hoffe doch sehr, daß sie es tut.«

      »Und warum hoffen Sie?«

      »Weil das Majestät von aller Furcht vor künftiger Behelligung befreien würde. Wenn die Dame ihren Gatten liebt, liebt sie Majestät nicht. Wenn sie Majestät nicht liebt, gibt es keinen Grund, weshalb sie sich in die Pläne von Majestät einmischen sollte.«

      »Das stimmt. Und dennoch –! Nun gut! Ich wollte, sie wäre meines eigenen Standes gewesen! Welch eine Königin sie abgegeben hätte!« Er fiel in melancholisches Schweigen, das nicht gebrochen wurde, bis wir die Serpentine Avenue erreicht hatten.

      Die Tür von Briony Lodge war offen, und eine ältere Frau stand auf den Stufen. Sie betrachtete uns mit einem sardonischen Gesichtsausdruck, während wir aus dem Coupé stiegen.

      »Mr. Sherlock Holmes, nehme ich an?« sagte sie.

      »Ich bin Mr. Holmes«, antwortete mein Gefährte; er musterte sie fragend und fast erschrocken.

      »Aha! Meine Herrin hat mir gesagt, Sie würden wahrscheinlich vorbeikommen. Sie ist heute früh, zusammen mit Ihrem Gemahl, mit dem Zug 5 Uhr 15 ab Charing Cross zum Kontinent abgereist.«

      »Was!« Sherlock Holmes fuhr zurück, blaß von Schrecken und Überraschung. »Wollen Sie damit sagen, sie hat England verlassen?«

      »Und sie wird nie zurückkommen.«

      »Und die Papiere?« fragte der König heiser. »Alles ist verloren.«

      »Wir werden sehen.« Er drängte sich an der Dienerin vorbei und lief in den Wohnraum, gefolgt vom König und mir. Die Möbel standen überall durcheinander, mit leeren Borden und offenen Schubladen, als hätte die Dame sie vor ihrer Flucht in größter Eile geplündert. Holmes stürzte zum Klingelzug, riß eine kleine Klappe auf, steckte die Hand in die Höhlung und zog eine Photographie und einen Brief heraus. Die Photographie zeigte Irene Adler persönlich im Abendkleid, und der Brief trug die Aufschrift »An Sherlock Holmes, Esq. Liegenlassen, bis er abgeholt wird.« Mein Freund riß den Umschlag auf, und alle drei lasen wir den Brief gemeinsam. Er war mit der vergangenen Mitternacht datiert und lautete wie folgt:

      Mein lieber Mr. Sherlock Holmes,

      Sie haben es wirklich sehr gut angestellt. Sie haben mich vollständig überrumpelt. Bis nach dem Feueralarm hatte ich nicht den geringsten Verdacht. Als ich dann aber bemerkte, daß ich mich selbst verraten hatte, begann ich nachzudenken. Ich war bereits vor Monaten vor Ihnen gewarnt worden. Man hatte mir gesagt, daß der König, sollte er einen Agenten beauftragen, sicherlich Sie wählen würde. Und man gab mir Ihre Adresse. Trotz alledem brachten Sie mich dazu, Ihnen das zu offenbaren, was Sie wissen wollten. Selbst nachdem ich mißtrauisch geworden war, fiel es mir schwer, über so einen lieben, netten alten Geistlichen Schlechtes zu denken. Aber wie Sie wissen, habe ich selbst auch eine Schauspielausbildung genossen. Ein Männerkostüm ist mir nichts Neues. Ich mache mir oft die Freiheit zunutze, die es verleiht. Ich schickte den Kutscher John hinein, um auf Sie aufzupassen, lief nach oben, schlüpfte in meine Wanderkleider, wie ich sie nenne, und kam wieder hinab, gerade als Sie aus dem Haus gingen.

      Nun, dann bin ich Ihnen bis zu Ihrer Tür gefolgt, und so habe ich mich versichert, daß ich tatsächlich Objekt des Interesses des gefeierten Mr. Sherlock Holmes war. Danach habe ich Ihnen, reichlich unvorsichtig, eine gute Nacht gewünscht und mich zum Temple begeben, um meinen Gemahl aufzusuchen.

      Wir kamen beide zu dem Schluß, angesichts der Verfolgung durch einen so furchterregenden Gegner sei Flucht die beste Lösung; Sie werden also das Nest leer vorfinden, wenn Sie morgen vorbeikommen. Was die Photographie angeht, so mag Ihr Klient unbesorgt sein. Ein besserer Mann als er liebt mich, und ich liebe ihn. Der König mag tun, was ihm am besten scheint, ohne Anfechtung durch eine, die er grausam und ungerecht behandelt hat. Ich habe das Bild nur aufbewahrt, um mich zu schützen und eine Waffe zu behalten, die mich stets gegen alle Schritte absichern wird, die er in der Zukunft unternehmen könnte. Ich hinterlasse eine Photographie, die er vielleicht gern besäße; und ich verbleibe, lieber Mr. Sherlock Holmes, ganz die Ihre

      IRENE NORTON née ADLER

      »Welch eine Frau – oh, welch eine Frau!« rief der König von Böhmen, als wir alle dieses Schreiben gelesen hatten. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß sie schnell und entschlossen

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