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in sozialen Interaktionen, ihre Beeinträchtigung in Kommunikationsmustern sowie ein mehr oder weniger stark eingeschränktes, zuweilen stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten. Eine solch kategoriale Betrachtung autistischer Menschen ist aber insofern nicht unproblematisch, als sich autistische Menschen in der Realität natürlich erheblich voneinander unterscheiden. Autismus ist ein heterogenes, hoch individuelles Phänomen, bei dem sich – abgesehen von dem gesicherten Wissen um die genetische Verursachung des Syndroms – wenig verallgemeinern lässt. So gibt es nicht den einen autismusspezifischen Therapieansatz, eine immer wieder vorfindbare spezifische Symptomatik, den klassischen Entwicklungsweg eines autistischen Menschen, die typische Familienkonstellation oder ein vergleichbares Intelligenzprofil. All dies muss bei der Begegnung mit einem autistischen Menschen individuell erschlossen werden. Dies trifft auch zu, wenn ein autistisches Kind in die Schule kommt.

      Die Ausgangslage für die Beschulung autistischer Kinder ist in Deutschland sehr heterogen. Dies liegt zum einen daran, dass – anders als beispielsweise im angloamerikanischen Sprachraum – kein Angebot an Spezialschulen besteht. Autistische Kinder und Jugendliche besuchen in Deutschland die bestehenden Regel- und Förderschulen. Diese unterliegen aufgrund der föderalistischen Strukturen bundeslandspezifischen Rahmenbedingungen, die mit einem gewissen Spielraum in den verschiedenen Regierungsbezirken umgesetzt werden. Die Schulen selbst entwickeln auf dieser Basis für die einzelnen Unterrichtsfächer ihre didaktischen Konzepte, die dann wiederum von den Lehrpersonen in den Klassen individuell interpretiert und angewendet werden. Das universitär verankerte Lehramtsstudium in Deutschland sieht in den jeweiligen Curricula für die unterschiedlichen Förderschultypen keine Lehrveranstaltungen zum Thema Autismus verpflichtend vor. Dies bedeutet für die Schullaufbahn eines autistischen Kindes, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, immer wieder auf Lehrpersonen zu treffen, die über die Komplexität autistischer Spektrumsstörungen und die damit verbundenen individuellen Erfordernisse nicht informiert sind. Berücksichtigt man, dass die Institution Schule die einzige Institution ist, die autistische Kinder und Jugendliche durchlaufen müssen, dann werden unter den aktuellen Voraussetzungen jahrelang Chancen für eine kompetente professionelle Begleitung dieser Kinder und Jugendlichen vertan. Selbst wenn in einem Bundesland oder in einer Kommune die integrative Beschulung autistischer Kinder propagiert wird: Was nutzt dies, wenn Lehrpersonen oder Schulbegleitungen nicht angemessen über das Störungsbild informiert sind? Natürlich kann ein autistisches Kind mit etwas Glück auf eine Lehrperson treffen, die sich während ihres Studiums mit dem Thema Autismus beschäftigt hat und möglicherweise über Praxiserfahrungen mit betroffenen Kindern und ihren Familien verfügt. Dies aber ist nicht die Regel und rein zufällig bedingt. Wünschenswert wäre es, Informationen zu den Störungen des autistischen Spektrums in die Lehramtsstudiengänge verpflichtend aufzunehmen. Bereits bei nicht-autistischen Kindern kommt es hinsichtlich der schulischen Leistungen darauf an, ein ausgewogenes Maß zwischen einer Unter- und Überforderung zu finden, welches sich motivierend auf die Lernbereitschaft der Kinder auswirkt. Dies ist bei autistischen Kindern nicht anders. Anders als bei nicht-autistischen Kindern sind aber hier die besonderen störungsbedingten Probleme der Kinder sowie die resultierenden besonderen Anforderungen an die schulischen Rahmenbedingungen und die Lehrpersonen zusätzlich zu berücksichtigen.

      Nicole Schuster setzt sich in ihrem Buch mit diesem Themenspektrum intensiv auseinander. Die Besonderheit in der Herangehensweise besteht darin, dass die Autorin aufgrund ihrer eigenen Geschichte mit der Diagnose des Asperger-Syndroms in der Lage ist, dem Leser eine Binnenperspektive über das Erleben schulischer Situationen durch autistische Kinder zu eröffnen. Dieser neue Blickwinkel auf die Institution Schule ermöglicht praxisrelevante Einsichten für all jene, die sich für den Lebensweg autistischer Menschen interessieren. Es ist dem Buch zu wünschen, dass es nicht nur im schulischen Kontext eine breite Resonanz findet.

Prof. Dr. Rüdiger KißgenUniversität zu Köln Humanwissenschaftliche Fakultät Köln, im September 2009

      Vorwort zur 1. Auflage

      Das autistische Kind gibt es nicht. Jedes autistische Kind ist anders. Jedes autistische Kind ist eine neue Herausforderung für die Lehrkraft.

      Autismus ist als eine tiefgreifende Entwicklungsstörung definiert. Die komplexen Störungen des Zentralnervensystems, die der Behinderung zugrunde liegen, wirken sich auf kognitive, sprachliche, motorische, emotionale und interaktionale Funktionen aus und führen zu Veränderungen im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung. Symptomatisch steht bei den Betroffenen eine in der Schwere unterschiedlich stark ausgeprägte Beziehungs- und Kommunikationsstörung im Zentrum. Das Verhalten von Autisten besitzt häufig einen repetitiven Charakter.

      Bestimmte Merkmale autistischer Menschen finden sich auch in der normalen kindlichen Entwicklung wieder. Allerdings ist es so, dass die Verhaltensweisen bei nicht-autistischen Kindern meistens nur kurzzeitig auftreten und damit nur eine vorübergehende Entwicklungsstufe sind. Bei autistischen Kindern überdauern sie hingegen bis weit über den normalen Zeitpunkt hinaus. Ein Beispiel ist die Echolalie, das Nachsprechen von Wörtern oder Sätzen. Viele kleine Kinder durchlaufen diese Stufe beim Sprechenlernen. Autistische Kinder können hingegen teilweise noch als Neun- oder Zehnjährige durch echolalische Wiedergaben kommunizieren.

      Bei Kindern mit Autismus treten typische Entwicklungsschritte der kindlichen Reifung oft erst verzögert auf. Die innere Reife und das Verhalten stehen im Widerspruch zu dem tatsächlichen Alter des Kindes. Es entsteht ein dem Alter nicht angemessenes Verhaltensbild.

      In anderen Bereichen können autistische Kinder schon sehr viel weiter als die Gleichaltrigen sein, zum Beispiel wenn es um Faktenwissen oder um logisches Denken geht.

      Diese und viele andere Symptome des autistischen Kindes machen es für Lehrkräfte schwierig, sich auf die Kinder einzustellen. In der Schule werden Kinder mit Auffälligkeiten aus dem Autismus-Spektrum entsprechend häufig zu einem Problemfall. Die vielen Fragen und manchmal auch die Hilflosigkeit der Lehrer, die nicht wissen, ob ihre Bemühungen die Kinder überhaupt erreichen, ob sie ihnen gerecht werden oder ob die Schüler einer ganz anderen Förderung – vielleicht auch gar keiner? – bedürfen, erlebe ich oft bei meinen Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer. Mit diesem Buch möchte ich aus meiner Sicht Antworten geben – aus der Sicht einer jungen Frau, die ihren Autismus jetzt als weitgehend überwunden betrachtet, aber mit dieser Störung sowohl Schule als auch Studium durchlaufen musste.

      Meine Ratschläge sind keine allgemeingültigen Handlungsanweisungen und können auch nicht für die individuellen Probleme eines jeden Kindes gleich gut geeignet sein. Dennoch hoffe ich, den Lesern mit diesem Buch hilfreiche Einblicke in die Innenwelt von Schülern mit Autismus geben zu können.

Nicole Schuster Holzkirchen, im August 2009

      1 Über Tobias

      Autistische Menschen teilen bestimmte Gemeinsamkeiten. Das sind vor allem solche, die durch die medizinischen Diagnosekriterien bedingt sind. Daneben gibt es Unmengen an individuellen Unterschieden, die Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen zu einer heterogenen Gruppe machen. Oft überwiegen die Unterschiede sogar die Gemeinsamkeiten. Daher ist es unmöglich, von dem Autisten schlechthin zu sprechen. Auch wenn ich aus meiner eigenen autistischen Kindheit berichte, sind dies immer nur meine persönlichen Erfahrungen mit der Krankheit und ihren Symptomen – so, wie sie sich bei mir gezeigt haben.

      Um aber in diesem Buch autistische Schüler mit möglichst vielen Eigenschaften darzustellen, die in der Realität kaum eine einzelne Person in sich vereinigen kann, habe ich eine fiktive Figur ausgewählt. Den Autisten, den wir in diesem Buch begleiten werden, habe ich »Tobias« genannt. Tobias ist in der Masse seiner Auffälligkeiten repräsentativ für ganz verschiedene Typen von autistischen Schülern.

      Tobias ist 14 Jahre alt, hat als Spezialinteresse Comics, ist überaus wahrnehmungsempfindlich und hat in seiner Klasse keinen einzigen richtigen Freund.

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