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das alles anderes. Abgesehen davon, daß geistreiches Ästhetentum nicht unsere größten Schöpfungen stempelt. Aber verkennen Sie nicht das Bohrende, Verlangende, das im Geistreichen liegt. Diese Sucht, Abgründe aufzureißen und zu überspringen. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen, wenn ich sage, daß dieses Geistreiche zugleich Vorbote und Feind religiösen Fühlens ist.

      der freund Nennen Sie eine übersättigte Sehnsucht nach Unerhörtem religiös? Dann möchten Sie Recht haben.

      ich Sehen wir diese Sehnsucht doch etwas anders an! Entstammt sie nicht dem gewaltigen Willen, nicht alles so ruhig und selbstverständlich im Ich verankert zu sehen, wie wir es gewohnt sind? Sie predigt eine mystisch-individualistische Feindschaft dem Gewohnten. Das ist ihre Fruchtbarkeit. Allerdings, sie kann es bei ihrem letzten Wort niemals lassen und setzt den vorlauten Schluß dazu. Die tragische Naivität des Geistreichen. Wie ich schon sagte, es überspringt die Klüfte wieder, die es aufreißt. Ich fürchte und liebe diesen Zynismus, der so mutig ist, und zuletzt nur ein wenig zu eigensüchtig, um nicht die eigene Zufälligkeit über die historische Notwendigkeit zu setzen.

      der freund Sie begründen ein Gefühl, das auch ich kenne. Die Neuromantik – Schnitzler, Hofmannsthal, auch Thomas Mann bisweilen – bedeutend, liebenswert, ja herzlich sympathisch und gefährlich.

      ich Aber ich wollte gar nicht von diesen reden, sondern von andern, die offenbar die Zeit beherrschen. Oder zum mindesten die Zeit bedeuten. Was ich davon sagen kann, sage ich gern. Aber allerdings kommen wir ins Uferlose.

      der freund Die Gefühle gehen ins Uferlose, und der Gegenstand der Religion ist die Unendlichkeit. Soviel bringe ich von meinem Pantheismus mit.

      ich Bölsche sagt einmal, die Kunst nähme das allgemeine Bewußtsein und die Lebenssphäre späterer Zeiten vorahnend voraus. Und ich glaube nun, diejenigen Kunstwerke, die unsere Epoche beherrschen – nein, nicht einfach beherrschen – ich glaube, daß die Werke, die am heftigsten in ihrer ersten Begegnung uns berühren, daß vor allem Ibsen und der Naturalismus dieses neureligiöse Bewußtsein in sich tragen. Nehmen Sie Ibsens Dramen. Im Hintergrunde stets das soziale Problem – gewiß. Aber das Treibende sind die Menschen, die ihre Persönlichkeit der neuen gesellschaftlichen Ordnung gegenüber orientieren müssen: Nora, Frau Alving, und wenn man tiefer geht: Hedda, Solneß, Borkman, Gregers und viele andere. Und weiter die Art, wie diese Menschen sprechen. Der Naturalismus hat die individuelle Sprache entdeckt. Das ergreift uns so sehr, wenn wir unsern ersten Ibsen oder Hauptmann lesen, daß wir mit unserer alltäglichsten und intimsten Äußerung ein Recht in der Literatur, in einer gültigen Weltordnung haben. Unser individuelles Gefühl erhöht sich daran. – Oder nehmen Sie eine Auffassung von Individuum und Gesellschaft, wie in Spittelers »Herakles’ Erdenfahrt«! Das schwebt uns vor, da liegt unser Ziel und wieder ist das eine der zündendsten, begeisterungsschwersten Stellen, die in der Moderne geschrieben sind. Herakles kann im Dienste der Menschheit als Erlöser nicht seine Persönlichkeit wahren, nicht einmal seine Ehre. Aber es ist eine schneidende und jubelnde Ehrlichkeit, in der er sich das zugesteht. Ehrlichkeit, die in allem Leid, durch dies Leid ihn hebt. – Das ist lebendiger und jäher Widerspruch zur sozialen Trägheit unserer Zeit. – Und hier liegt die tiefste, wirklich: ich sage die tiefste Erniedrigung, der das moderne Individuum bei Strafe des Verlustes der gesellschaftlichen Möglichkeiten unterliegen muß: in der Verschleierung der Individualität, all dessen, was innerlich umwühlend und bewegend ist. Ich möchte Ihnen jetzt das Konkreteste sagen: hieran wird die Religion sich aufrichten. Sie wird wieder einmal vom Geknechteten ausgehen – der Stand aber, der heute diese historische, notwendige Knechtung trägt, das sind die Literaten. Sie wollen die Ehrlichen sein, ihre Kunstbegeisterung, ihre »Fernsten-Liebe«, um mit Nietzsche zu reden, wollen sie darstellen, aber die Gesellschaft verstößt sie – sie selber müssen selber alles Allzumenschliche, dessen der Lebende bedarf, in pathologischer Selbstzerstörung ausrotten. So sind die, welche die Werte ins Leben, in die Konvention umsetzen wollen: und unsere Unwahrhaftigkeit verurteilt sie zum Outsidertum und zur Überschwenglichkeit, die sie unfruchtbar macht. Niemals werden wir die Konventionen durchgeistigen, wenn wir nicht diese Formen sozialen Lebens mit unserem persönlichen Geiste erfüllen wollen. Und dazu verhelfen uns die Literaten und die neue Religion. Religion gibt einen neuen Grund und einen neuen Adel dem täglichen Leben, der Konvention. Sie wird zum Kult. Dürsten wir nicht nach geistiger, kultischer Konvention?

      der freund Wie Sie Menschen, die in Kaffeehäusern ein unreines, oft genug ungeistiges Leben führen, Menschen, die jede simpelste Verpflichtung in Größenwahn und Trägheit leugnen, Menschen, die die Schamlosigkeit selbst darstellen, ja – wie Sie von denen die neue Religion erwarten, das ist mir unklar, gelinde gesagt.

      ich Ich habe nicht gesagt, daß ich die neue Religion von ihnen erwarte, sondern daß ich sie als Träger religiösen Geistes in unserer Zeit ansehe. Und das behaupte ich, mögen Sie mir hundertmal vorwerfen, daß ich konstruiere. Gewiß, diese Menschen führen zum Teil das lächerlichste, das verkommenste und ungeistigste Leben. Aber aus geistiger Not, nicht wahr, aus Sehnsucht nach einem ehrlichen persönlichen Leben ist dieses Elend geflossen? Was tun denn die Leute anderes, als sich mit der höchst schwierigen eigenen Ehrlichkeit befassen? Aber natürlich, was wir Ibsens Helden zubilligen, geht uns im Leben nichts an.

      der freund Sagten Sie vorhin nicht selbst, daß diese fanatische, bohrende Ehrlichkeit dem Kulturmenschen versagt sei, daß sie all unsere innere und äußere Fähigkeit zersetzt.

      ich Ja, und deshalb ist nichts fürchterlicher, als wenn das Literatentum um sich griffe. Aber eine Hefe ist nötig, ein Gärstoff. Sowenig wir Literaten in diesem letzten Sinne sein wollen, sosehr sind sie als Vollstrecker des religiösen Willens zu achten.

      der freund Religion geht schamvoll vor sich, ist eine Reinigung und Heiligung in der Einsamkeit. Im Literatentum sehen Sie das krasse Gegenteil. Deshalb ist es schamvollen Menschen verfemt.

      ich Warum Sie nur gerade der Scham alle Heiligkeit zusprechen und so wenig von der Ekstase reden? Wir haben wirklich vergessen, daß die religiösen Bewegungen durchaus nicht in innerlicher Stille die Generationen ergriffen haben. Nennen Sie die Scham eine nötige Waffe des Selbsterhaltungstriebes; aber heiligen Sie sie nicht, sie ist restlos natürlich. Niemals wird sie von einem Pathos, einer Ekstase, die sich dehnen und ausbreiten können, etwas zu fürchten haben. Und nur das unreine Feuer des feigen unterdrückten Pathos, das kann sie vielleicht zerstören.

      der freund Und wirklich steht der Literat im Zeichen dieser Schamlosigkeit. Daran geht er zugrunde, wie an innerlicher Fäulnis.

      ich Darauf sollten Sie sich am wenigsten berufen, denn er unterliegt diesem aushöhlenden Pathos, weil die Gesellschaft ihn gebannt hat, weil er kaum die jämmerlichsten Formen hat, seine Gesinnung zu leben. Wenn wir wieder die Kraft haben, die Konvention ernst und würdig zu gestalten, anstatt unseres gesellschaftlichen Talmitums, dann haben wir für die neue Religion das Symptom. Kultur des Ausdrucks ist die höchste und nur auf ihrer Grundlage zu denken. Aber unsere religiösen Gefühle sind frei. – Und so versehen wir unwahre Konventionen und Gefühlsverhältnisse mit der nutzlosen Energie der Pietät.

      der freund Ich beglückwünsche Sie zu ihrem Optimismus und Ihrer Konsequenz. Glauben Sie wirklich, daß bei dem herrschenden sozialen Elend, bei dieser Flut ungelöster Probleme, noch eine neue Problematik, die Sie sogar Religion nennen, nötig oder auch nur möglich sei? Denken Sie nur an ein ungeheures Problem, die Frage der Sexualordnung der Zukunft.

      ich Ein ausgezeichneter Gedanke! Gerade diese Frage ist, wie ich meine, nur auf dem Grunde persönlichster Ehrlichkeit zu lösen. Zum Komplex der sexuellen Probleme und der Liebe werden wir erst dann offen Stellung nehmen können, wenn wir sie von der verlogenen Verquickung mit unendlichen sozialen Gedanken lösen. Die Liebe ist zunächst einmal eine persönliche Angelegenheit zwischen zweien und durchaus kein Mittel zum Zwecke der Kindererzeugung; lesen Sie dazu »Faustina« von Wassermann. Im übrigen glaube ich tatsächlich, daß eine Religion aus einer tiefen und fast unerkannten Not geboren sein muß. Daß für die geistigen Führer also das soziale Element kein religiöses mehr ist, wie ich schon sagte. Dem Volke soll seine Religion gelassen werden, ohne Zynismus. D. h. es bedarf noch, keiner neuen Erkenntnisse und Ziele. Ich hätte mit einem Menschen sprechen können, der ganz anders geredet hätte wie Sie. Für ihn wäre das Soziale

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