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umklammerte das Metallgerüst und bemerkte, wie es schepperte und wackelte, als sie sich daran hinaufzog. So gefährlich kann es nicht sein, sagte sie zu sich selbst. Immerhin hatten die Handwerker den ganzen Tag darauf gearbeitet und Opern gesummt, während sie über das Brett balancierten und dabei hämmerten und bohrten.

      Jetzt, wo Olivia dort oben war, war sie sich nicht sicher, wie sie das vollbracht hatten.

      Auf allen Vieren kauernd legte sie eine testende Hand auf das Brett.

      Es schwankte beunruhigend, und Olivia stieß ein erschrockenes Quieken aus.

      Sie war jetzt vierunddreißig. Sie wollte gerne noch ihren fünfunddreißigsten Geburtstag erleben! War diese Idee zu leichtsinnig?

      „Kein Zurück mehr“, trieb sie sich selbst an und legte auch ihre andere Hand auf das wackelige Brett. Das Gerüst auf der anderen Seite schien meilenweit entfernt zu sein.

      Von ihrem Blickwinkel aus konnte sie sehen, wie das Licht durch das Farbglas über der hölzernen Eingangstür fiel. Sie waren von Staub überzogen, aber von hier konnte sie das bezaubernde Design sehen und sich vorstellen, wie herrlich die blauen, gelben, roten und grünen Scheiben aussehen würden, wenn sie erst einmal geputzt und poliert waren und die Morgensonne durch sie hindurchfiel.

      Ermutigt von diesem positiven Gedanken kroch sie die Planke entlang.

      „Iiik“, flüsterte sie. Das Brett war so schmal, dass sie nur mit Mühe ihr Gleichgewicht halten konnte, und es schwankte, als sie sich voranarbeitete, was ihr einen flauen Magen bescherte.

      Was, wenn sie abstürzte und auf die Spinne fiel?

      Obwohl sie hoch oben war, konnte sie sie noch immer sehen.

      Wie sie auf sie wartete.

      Olivia schnaubte besorgt bei dem Gedanken und klammerte sich an das Brett, während sie noch einige Zentimeter weiter vorankroch. Wer hätte gedacht, dass der Kauf eines Farmhauses zu solch einem risikofreudigen Verhalten führen würde? Sie hatte mit stundenlangem Putzen und Schrubben gerechnet, wenn sie die staubige und zerfallene Küche renovieren würde – welche zwar heruntergekommen, aber geräumig war, mit Tresen auf zwei Seiten und einer glorreichen Aussicht auf die Berge durch das größte der Fenster. Sie stellte sich einen Holztisch und Stühle in der Mitte vor und einen großen, neuen, glänzenden Ofen und die abgenutzten, kaputten Tresen ersetzt mit hellen, glänzenden Granitplatten und Töpfen mit Kräutern entlang der Fensterbänke.

      In ihrer Vision würde sie das oben gelegene Schlafzimmer wieder auf Vordermann bringen, welches sowohl ein wundervolles Panorama über das Tal als auch ein großes Badezimmer mit einer riesigen Wanne, aber noch ohne Dusche, bot. Sie stellte sich die Wände in einem warmen Cremeton vor, mit gelben Vorhängen und rechts neben dem Fenster, ihr Bett an der gegenüberliegenden Wand mit einem großlinks en Gemälde darüber.

      Sie hatte allerdings nicht erwartet, auf allen Vieren in schwindelerregenden Höhen über eine schmale, instabile Planke zu kriechen, um eine der größten und unberechenbarsten Spinnen zu umgehen, die sie in ihrem Leben je gesehen hatte.

      Ihre Renovationspläne machten nicht die Fortschritte, die sie sich erhofft hatte.

      Olivia machte sich langsam Sorgen darüber, dass ihr die Zeit davonrannte. Die Villa, die Charlotte ursprünglich gemietet hatte, war nur bis Ende des Sommers gebucht. Sie wusste nicht, ob ein paar kurze Monate ausreichen würden, um dieses hübsche, aber heruntergekommene Haus in ein auch nur annähernd bewohnbares Heim zu verwandelt, vor allem, wenn sie das Gelände jedes Mal verlassen wusste, sobald eine Spinne auftauchte. Das würde ihr gehörig Sand ins Getriebe streuen.

      Olivia blickte auf, als sie hörte, wie sich von draußen schnelle Schritte näherten – was die Planke erneut zum Schwanken brachte.

      „Sorry, dass ich spät bin“, rief Charlotte. „Ich wurde in der Villa aufgehalten. Die Hausmeister waren da, um den Springbrunnen draußen zu reparieren. Ich habe mir gedacht, du solltest hier auch eine installieren.“

      „Hallo!“, rief Olivia nervös von oben herab. „Nicht reinkommen! Es ist gefährlich! Warte an der Tür!“

      Charlotte steckte ihren Kopf durch die Tür und blickte überrascht zu Olivia hinauf.

      Olivia starrte zurück – weit nach unten, denn Charlotte war ziemlich klein – in das runde Gesicht ihrer Freundin, von rotgesträhntem Haar umgeben und mit großen, erstaunten Augen.

      „Was um alles in der Welt tust du da oben?“, fragte Charlotte ungläubig.

      „Dort ist eine riesige Spinne“, erklärte Olivia mit vor Angst zitternder Stimme.

      „Ich sehe nichts.“ Charlotte blickte den Flur entlang.

      „Da!“ Ihr Leben riskierend nahm Olivia eine Hand von der Planke, um auf das Tier zu zeigen.

      „Ach, da. Das kleine Ding?“ Charlotte klang überrascht. „Soll ich es für dich rausscheuchen?“

      Sie marschierte in den Flur, und Olivias Herzschlag legte einen Gang zu.

      „Sei vorsichtig“, quietschte sie.

      Charlotte ging unerschrocken auf die Spinne zu.

      „Raus mit dir!“, befahl sie mit strenger Stimme. „Du jagst meiner Freundin eine Heidenangst ein.“

      Sie klatschte in die Hände, und die Spinne krabbelte gehorsam nach draußen.

      Als sie durch die Tür verschwand, bemerkte Olivia zu ihrem Erstaunen, dass sie geschrumpft zu sein schien. Jetzt, wo Charlotte hier war, war sie nur noch halb so groß wie zuvor.

      Charlotte schüttelte den Kopf und lachte.

      „Olivia, du bist die einzige Person, die ich kenne, die lieber auf einem himmelhohen Gerüst den Tod in Kauf nimmt, anstatt an einer Spinne vorbeizugehen. Ich weiß noch, wie sehr du in der Schule Angst vor Spinnen hattest, aber ich dachte, aus der Angst wärst du herausgewachsen.“

      Olivia rieb sich Staub aus ihren blauen Augen.

      „Ich glaube, es ist sogar noch schlimmer geworden“, gab sie zu.

      Charlotte sah sich draußen um.

      „Sie ist weg“, versicherte sie Olivia. „Sie sucht sich jetzt wohl ein neues Zuhause, wo es ruhiger ist. Vielleicht richtet sie sich in diesem Ranken an den Seitenwänden ein. So, heute ist Erkundungstag. Sind wir bereit?“

      „Und wie!“

      Olivia trat aus dem warmen, staubigen Haus und sog dankbar die frische Luft ein. Sie konnte eine Spur von Abenteuer in der Brise ausmachen. Heute war der Tag, an dem sie jeden Quadratmeter ihres neuen Grundstücks erkunden und die Geheimnisse entdecken würde, die sich dort versteckten.

      Zu Olivias Erstaunen war die Geschichte der alten Farm noch immer ein Mysterium, und sie hatte nur wenig darüber erfahren können, wer hier einst gewohnt hatte und zu welchem Zweck die ehemaligen Besitzer die hügeligen zwanzig Morgen genutzt hatten.

      Heute hatte sie den Vormittag von ihrer Arbeit in der Probierstube von La Leggenda freibekommen, dem Weingut, auf dem sie als Sommelière arbeitete. Sie und Charlotte hatten entschieden, dass sie die Zeit dazu nutzen würden, das wilde, überwucherte Gelände auf der Suche nach Anhaltspunkten und Beweisen über die vorigen Besitzer genauestens zu durchkämmen.

      Olivia konnte kaum erwarten, welche Geheimnisse sie womöglich aufdecken würden.

      KAPITEL ZWEI

      Als sie und Charlotte das Farmhaus hinter sich zurückließen, drehte Olivia sich um, um einen Blick darauf zu werfen, und sie wurde von Glück erfüllt. Es hatte vielleicht etliche Reparaturen bitter nötig, aber dieses bescheidene, zweistöckige Gebäude mit den geschwungenen Fenstern und soliden Steinwänden, die bronzen in der Morgensonne glühten, war sowohl elegant als auch robust. Es musste mindestens hundert Jahre alt sein, schätzte sie und wünschte sich, dass sie mehr über seine Geschichte erfahren könnte.

      Wer hatte es gebaut, und wer hatte hier gewohnt? Wie war das Leben dort gewesen? Welche Romanzen und welcher Herzschmerz, welche Hoffnungen und Träume, hatten sich unter den ockerfarbenen Ziegeln und im Schatten

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