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Das große Buch der Berlin-Krimis 2017 - Romane und Erzählungen auf 1000 Seiten. Alfred Bekker
Читать онлайн.Название Das große Buch der Berlin-Krimis 2017 - Romane und Erzählungen auf 1000 Seiten
Год выпуска 0
isbn 9783745201185
Автор произведения Alfred Bekker
Жанр Ужасы и Мистика
Издательство Readbox publishing GmbH
“So kann man es auch sehen.”
“So sollte man es sehen, Olli!”
30
Rudi und ich suchten inzwischen die Wohnung auf, in die man Roswitha Delgado gebracht hatte. Die Wohnung wurde rund um die Uhr bewacht.
Unsere Kollegin Josy Oldendorp öffnete uns die Tür, nachdem wir geklingelt hatten.
Da wir uns zuvor telefonisch angemeldet hatten und sie uns außerdem durch die Überwachungskamera gesehen hatte, war sie kein bisschen überrascht.
„Kommt herein“, sagte sie.
„Wo ist Roswitha Delgado?“, fragte ich.
„Im Wohnzimmer. Ich glaube, die Situation macht ihr ziemlich zu schaffen. Der Überfall muss sie traumatisiert haben und ich wäre eigentlich dafür, dass sie sich in nächster Zeit in psychologische Behandlung begibt. Aber das weist sie kategorisch von sich.“
„Warten wir ab, was ihr wirklich zu schaffen macht“, meinte Rudi.
Wir betraten das Wohnzimmer.
Roswitha Delgado saß auf der Couch und sah sich einen lokalen Berliner Nachrichtenkanal im Fernsehen an.
Als sie uns bemerkte, ging ein Ruck durch ihren Körper. Sie stellte den Fernseher ab.
„Gibt es schon irgendetwas Neues?“, fragte sie.
„Ja, das gibt es“, bestätigte ich. „Wir haben den Mörder Ihres Bruders gefunden. Er ist tot. Sein Mörder hat ihn auf einer Müllhalde abgelegt...“
Roswitha Delgado verschränkte die Arme vor der Brust.
„Sie werden jetzt nicht erwarten, dass mir das besonders leid tut, oder?“
Ich bemerkte ihre Erstarrung. Sie sah uns mit einem maskenhaften Blick an und ich hatte mich von Anfang an gefragt, was daran eigentlich nicht stimmte. Vielleicht passte dieser Blick einfach eher zu jemandem, der darauf bedacht war, nichts Falsches zu sagen.
„Nein, das erwartet niemand“, gab ich zu. „Aber Mord ist für uns Mord – und auch den Mord an einem Mörder versuchen wir aufzuklären und den oder die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen.“
Roswitha Delgado stand auf. Sie ging zum Fenster. Es bestand aus Panzerglas – dem besten, was derzeit auf dem Markt war. Sie wandte uns den Rücken zu und blickte hinaus. „Ich habe meinem Bruder so oft gesagt, dass er aus dem Sumpf an kriminellen Geschäften endlich heraus muss, ohne dass ich im Einzelnen wusste, was er tat. Es ist schon eine gewisse Ironie, dass er ausgerechnet in dem Moment umgebracht wurde, da er den festen Vorsatz hatte, diesen Rat zu befolgen...“
„In dieser Hinsicht sind wir inzwischen etwas anders informiert worden“, sagte ich.
Ich ließ diesen Satz einen Moment wirken.
Sie drehte sich um.
„Was reden Sie da?“
„Sie haben uns nicht alles gesagt, Frau Delgado.“
„Was erlauben Sie sich! Natürlich habe Ihnen alles gesagt – und wenn nicht, dann weil Sie nicht gefragt haben!“
„Dann erklären Sie mir, wie es kommt, dass Ihr Bruder bereits vor mehr als einem Jahr mit der Justiz über einen Schlussstrich verhandeln wollte und Sie damit beauftragt hat, den Kontakt herzustellen – dieser Kontakt aber nie zustande kam!“
„Weil das nicht so einfach ist wie Sie sich das vorstellen!“
„Doch das ist sehr einfach. Sie hätten zum nächstbesten Staatsanwalt gehen können, der hätte das Nötige in die Wege geleitet. Oder zu einem Anwalt Ihres Vertrauens! Und Jochen wusste das natürlich auch. Er war doch jahrelang im Geldwäschegeschäft. Er kannte die Gesetze genau und hat selbst lange Zeit auf der Rasierklingenscharfen Grenze getanzt, die das Gesetz zieht. Die Wahrheit ist, Sie haben einfach die Hände in den Schoß gelegt. Dann haben Sie ihm Namen genannt. Namen von Leuten, die ihn angeblich kontaktieren sollen und die wahrscheinlich Ihrer Fantasie entsprangen. Er war drauf und dran, das ganze Vorhaben aufzugeben, weil er glaubte, dass die Justiz ihm nur eine Falle stellen wollte!“
„Ich habe keine Ahnung, wohin diese Vorwürfe führen sollen, Herr Kubinke. Jedenfalls sind sie falsch. Ich habe immer versucht, meinem Bruder zu helfen.“
„Ihr Bruder hat schließlich auf eigene Faust den Kontakt hergestellt. Mit Erfolg! Es war alles vorbereitet... Und dann wird Jochen Delgado umgebracht...“
„Ja, und? Werden Sie nicht dafür bezahlt, herauszufinden, wer das getan hat? Und wenn Sie den Mörder gefunden haben, dann dürften Sie doch zufrieden sein...“ Sie atmete tief durch und verschränkte die Arme vor der Brust.
Rudi mischte sich jetzt ein.
„Wir wissen, dass Ihr Bruder hohe Summen an Schweigegeld kassiert hat – und Teile davon dürften an Sie weiter geflossen sein.“
„Das können Sie nicht beweisen!“, rief Roswitha.
„Nein, noch nicht. Aber Sie können sicher sein, dass Ihre wirtschaftlichen Verhältnisse genau untersucht werden. Wir haben Kollegen, die darauf spezialisiert sind, Geldströme zu verfolgen und es ist nur eine Frage der Zeit, wann dieser Teil der Geschichte herauskommt.“
„Der Verkauf der Firma Ihres Mannes ist nicht lukrativ genug gewesen, um Ihnen Ihr derzeitiges Leben zu finanzieren“, stellte ich fest. „Frau Delgado, Sie müssen uns jetzt reinen Wein einschenken! Spielen Sie nicht länger die Ahnungslose! Wenn Sie wollen, dass wir Sie schützen, dann müssen Sie auspacken!“
Sie schwieg. Dann ließ sie sich in einen der Sessel fallen und saß in sich zusammengesunken da.
„Was wollen Sie?“, fragte sie.
„Es glaubt Ihnen niemand von uns mehr die Ahnungslose. Ihr Bruder hat mit Ihnen über alles Mögliche gesprochen – auch über seine früheren Auftraggeber und das Schweigegeld, das er von ihnen bezogen hat“, stellte ich fest.
„Und dazu hätten wir gerne Näheres...“, ergänzte Rudi.
„Was wollen Sie? Dass ich gegen Vladi Gruschenko aussage?“, fragte sie. „Okay, ich weiß vielleicht etwas mehr, als ich zugegeben habe. Aber was nützt dieses Wissen? Finden Sie den Kerl, der mich umbringen wollte, vielleicht ist der bereit, gegen Gruschenko auszusagen. Dann hätten Sie einen Beweis!“
„Der Mann, der Sie töten wollte, ist derselbe Mann, der auch Ihren Bruder umgebracht hat“, stellte ich fest. „Was mit ihm geschehen ist, habe ich Ihnen ja schon gesagt... Aber Sie wissen so gut wie ich, dass dieser Mann nicht viel mehr als ein Werkzeug war, das ausgetauscht werden kann!“