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Ambiguität, manifestiert. Bist Dus oder bist Dus nicht?

      Die Ostererzählungen legen Spuren, die zu einer Theologie der Unterscheidung führen. Eindeutig wird der Auferstandene im Brot und an den Wunden. Beides findet sich in der Schrift, die jedoch erschlossen werden muss. Es ist die Emmauserzählung, die für beide Spuren der österlichen Gegenwart eine so einfache wie tiefe Form findet. Der unerkannte Wegbegleiter öffnet zuerst die Augen für die Schrift, die den Sinn des Leidens deutet: Die Wunden gehören in den Heilsplan Gottes (vgl. Lk 24,26). Dann bricht der fremde Gast das Brot und gibt es ihnen (vgl. Lk 24,30). „Da gingen ihnen die Augen auf“ (Lk 24,31) und sie „sahen“ ihn erkennend für einen kurzen Augenblick, bevor auch sie wieder im „geglaubten Licht“ (Lehnert, 114) weitergehen mussten. Geteiltes Brot bedeutet geteiltes Leben, und das schon in den Sündermählern Jesu. Deshalb gibt es noch eine dritte Spur, die das Evangelium legt, um den Auferstandenen zu erkennen: „Ich war hungrig …“ (Mt 25,35ff.): Der Leib des Herrn wird durchsichtig für die Leiber seiner Brüder und Schwestern. In der Fußwaschung bückt sich Gott zu den Füßen der Menschen und weist sie an, das gleiche einander zu tun (vgl. Joh 13,1-17). So führt die Eindeutigkeit der „Geringsten“ nach Christoph Theobald zu einer Manifestation der unsichtbaren Auferstehung: „Und schließlich die menschliche Solidarität und das Engagement für die ‚Letzten‘: sind dieses Taten nicht paradox? Was bringt mich dazu,

      Könnte man sich, so frage ich mich heute, nach den Erfahrungen des sakramentalen Lockdowns im Frühjahr 2020, so etwas vorstellen: Eine Welt ohne Sakramente, aber voller Diakonie?

      mich für andere einzusetzen, für ein anderes Lebewesen, sogar für diejenigen, die noch nicht geboren sind?“ (Theobald, 116). So lädt der Auferstandene seine Zeuginnen und Zeugen ein, „die Zeichen der Auferstehung im Herzen der Menschheitsgeschichte zu lesen, einer Geschichte, die weitergeht“ (Theobald, 117). Könnte man sich, so frage ich mich heute, nach den Erfahrungen des sakramentalen Lockdowns im Frühjahr 2020, so etwas vorstellen: Eine Welt ohne Sakramente, aber voller Diakonie? Und was sagte diese Vorstellung über die Weise der Anwesenheit Gottes in der Welt? Und was wiederum über die Sakramente, in denen sich diese Anwesenheit ja verdichtet? Auferstehung ist also eine weitere Radikalisierung der Bewegung von Golgota. Die Kenosis, die Selbst-Entleerung Gottes, geht weiter. Er entäußert sich auch als Auferstandener hinein in die Welt (vgl. Kearney, 243).

      Damit bin ich wieder in der Osterimagination von Mark Andre: „Er wird erkannt“, schreibt Andre, „er verschwindet vor den Augen von Maria Magdalena, die bleibt als die erste Zeugin, oder vielleicht auch als der wahrhaftige Körper des Verschwundenen.“ Der Auferstandene hat für Andre auch einen Ort: die Grabeskirche oder eben die Auferstehungskirche, Anastasis, in Jerusalem. Dort finden sich die Gläubigen und Ungläubigen, die Suchenden und Zweifelnden der Jahrhunderte. So ist auch diese Kirche, Symbol für die „Gottsucherbanden“, wie es in seiner Oper „Wunderzaichen“ heißt, ein „Körper des Verschwundenen“.

      LITERATUR

      Gruber, margareta, Nichts ist so schön wie das, was vor unseren Augen verschwindet, in: Gruber, Margareta/Widmann, Jörg, Lob auf Mark Andre. Der Kunst- und Kulturpreis der Deutschen Katholiken geht an einen Komponisten, in: Stimmen der Zeit 143 (2018), 85-91, hier 89-91.

      Gruber, margareta, Abba – im Geist des Sohnes beten. Die Krise der Auferstehung und der Gebetsglaube Jesu, in: Redtenbacher, Andreas/Schulze, Markus (Hg.), Sakramentale Feier und theologiaprima. Der Vollzug der Liturgie als Anfang und Mitte der Theologie (Pius Parsch Studien 16), Freiburg i. Br. 2019, 125-140.

      Hübenthal, Sandra, Das Markusevangelium als kollektives Gedächtnis (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 253), Göttingen 2014.

      Kearney, Richard, Revisionen des Heiligen. Streitgespräche zur Gottesfrage, Freiburg i. Br. 2019; insb. Kapitel „Anatheismus und radikale Hermeneutik. Gespräch mit John Caputo“, 243-272.

      Lehnert, Christian, Korinthische Brocken. Ein Essay über Paulus, Berlin 2013.

      Theobald, Christoph, Transmettre l’Évangile de liberté, Paris 2007.

      Toit, David du, Der abwesende Herr. Strategien im Markusevangelium zur Bewältigung der Abwesenheit des Auferstandenen (Wissenschaftliche Monografien zum Alten und Neuen Testament 111), Neukirchen-Vluyn 2006.

       „Nicht ohne“

      Margareta Grubers Skizze einer kenotischen Theologie der Auferstehung ist ein Stück Nacht-Theologie par excellence. Dies gilt zuerst natürlich inhaltlich für das Wahrnehmen und Ernstnehmen der oszillierenden Ambivalenz des einen Paschamysteriums. Der Ostermorgen löscht den Karfreitag nicht aus. Gottverlassenheit am Kreuz und das sich Entziehen des Auferstandenen zeigen sich als gegensätzliche Pole derselben dunklen Gegenwart Gottes, in der er sich auch weiterhin verbergend offenbart – den neutestamentlichen Zeuginnen und Zeugen, den Mystikerinnen und Mystikern, aber auch den Menschen, die heute versuchen, den Glauben unter den Bedingungen der Gegenwart zu leben.

      Dies gilt aber ebenso für die eher assoziative, von künstlerischen Ausdrucksformen angeregte Herangehensweise. Das kompositorische Werk Mark Andres inspiriert eine nicht streng gegliederte, sondern eher kreisende, immer wieder bildhaft verweisende Annäherung an die biblischen Texte. Dieses erfahrungsorientierte, „imaginative“ Vorgehen ist auch für die vielschichtigen Ansätze einer mystisch geprägten Nacht-Theologie charakteristisch, wie sie sich bei Johannes vom Kreuz oder Therese von Lisieux, bei Novalis oder Erich Przywara finden lassen.

      Für mich als systematischen Theologen scheint im Hintergrund von Margareta Grubers Entwurf in besonderer Weise das Denken des französischen Jesuiten Michel de Certeau (1925–1986) auf. Sein suggestives Werk wird seit der Jahrtausendwende zunehmend auch im deutschen Sprachraum rezipiert. Im Mittelpunkt seiner Theologie steht der Begriff des „gründenden Bruchs“ („rupture instauratrice“). Das leere Grab biete gerade als Zeichen der unwiederbringlichen Abwesenheit Jesu den Raum zu einem geisterfüllten Neubeginn und zur Entfaltung der geschichtlichen Wirksamkeit von Jesu Leben und Botschaft in der Kirche. Grundsätzlich sei jeder Versuch, das Christentum in der Gegenwart zu leben, von der vielschichtigen Erfahrung dieser Abwesenheit geprägt. Die Christenmenschen könnten sich nie auf einmal gewonnenen Glaubens- oder Lebenssicherheiten ausruhen, sondern bewohnten einen „Nicht-Ort“ („non-lieu“), den sie sich – in Auseinandersetzung mit ihrer Gegenwart – stets neu erwerben müssten.

      De Certeaus originelle theologische Terminologie konzentriert sich schließlich in der wiederholt emphatisch vorgetragenen doppelten Negation des „nicht ohne“ („pas sans“). So wie Jesus nicht ohne den Vater sei und darin einerseits seine menschliche Freiheit, andererseits die unableitbare und einzigartige Bindung an den Vater betont werde, so könne die Kirche nicht ohne ihre lebendige Beziehung zum gleichwohl abwesenden Christus gedacht werden. Das Verhältnis zum historischen Ursprung und lebendigen Mittelpunkt des Christentums ereigne sich als „Prozess der Abwesenheit“ („procès d’absence“).

      Im Pathos des „nicht ohne“ verbirgt sich hinter der äußeren, grammatischen Negativität die leidenschaftliche Hinwendung zum Anderen Gottes. Beeindruckend wird dies in einer Predigt deutlich, die Michel de Certeau anlässlich einer Gelübdefeier seines Ordens gehalten hat: „Der Religiose hat ‚etwas‘ entdeckt, was in ihm die Unmöglichkeit stiftet, ohne es zu leben. Diese Entdeckung liegt manchmal verdeckt unter dem Gang des Alltagslebens, ein andermal durchbricht sie die Kette der Tage durch eine plötzliche Stille oder einen unvermuteten Schock. Das ist im Einzelnen nicht wichtig. Die Erfahrung hängt an einem Wort oder an einer Begegnung oder an einer Lektüre, die von anderswo und von einem anderen herkommen und uns dennoch für unseren eigenen Raum öffnen und für uns zu jener Luft werden, ohne die wir nicht mehr atmen können. Öffnung und Verletzung zugleich, lässt sie aus uns ein nicht hintergehbares, anspruchsbewusstes und zugleich bescheidenes Bekenntnis des Glaubens hervorbrechen: ‚Ohne dich kann ich nicht mehr leben. Ich habe dich nicht, aber ich halte mich an dich. Du bleibst immer der Andere,

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