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      Und dann einigten wir uns darauf, dass er später noch einmal bei mir vorbeischauen werde, wenn er noch Fragen habe.

      Mir war das recht.

      Ich fürchtete nur, dass sich an dem Grundproblem zwischen uns bis dahin nicht viel geändert haben würde. Er hatte jede Menge Fragen, auf die weder ich noch irgendjemand sonst eine Antwort hatte.

      4

      Mir fiel ein, dass ich noch irgendetwas Essbares fürs Abendbrot brauchte. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich mich beeilen musste, wenn ich die Bäckerei auf der anderen Straßenseite noch vor Geschäftsschluss erreichen wollte.

      Also ging ich gar nicht erst in meine Wohnung, sondern die Treppe hinunter und nach draußen.

      Der Hauseingang wurde durch zwei uniformierte Schutzpolizisten gesichert, deren Dienstwagen mit Blaulicht am Straßenrand stand und bereits einen kleinen Pulk von Schaulustigen herbeigelockt hatte. Dieses blaue Licht wirkte auf sie wie weißes Licht auf Motten. Es war einfach unwiderstehlich, verhieß es doch nicht weniger als die Aussicht auf irgendeine Sensation.

      Vielleicht sogar eine grässliche Sensation, bei der man dann sagen konnte: "Oh, wie grauenvoll! Hol mal den Willi, der hat sowas Schlimmes auch noch nicht gesehen!"

      Der eine der beiden Polizisten war in meinem Alter und hatte einen dünnen Oberlippenbart in Errol-Flynn-Manier. Aber statt auf ein feines Rapier vertraute er anscheinend eher der weitaus weniger sportlichen Dienstwaffe an seiner Seite.

      Sein Partner war mindestens fünfzehn Jahre älter und wirkte wie ein Landpolizist, der aus irgendeinem Grund ganz unten an der Karriereleiter kleben geblieben war. Über die Art des Klebstoffs konnte man nur spekulieren. Seiner roten Nase und dem strammen Bauch nach zu urteilen war er ein ziemlich gutmütiger, ziemlich oft ziemlich viel Bier trinkender Kneipengänger, was ihn wohl leider nur für eine Karriere im Schützenverein prädestinierte.

      "Wer sind Sie?", fragte mich Errol Flynn. Seinem Blick fehlte dabei allerdings jeglicher Schmalz. Er war nur müde, misstrauisch und etwas genervt.

      "Ich wohne hier", sagte ich und hatte mich schon halb an ihm vorbeigedrückt.

      "Hat der Kommissar schon ihre Personalien?", fragte Errol, während sein rotnasiger Kollege verstohlen in der Nase bohrte und offensichtlich glaubte, dass das niemand mitbekomme.

      "Er kann sie an meinem Türschild abschreiben, wenn er Lust hat!"

      "Ha, ha." Errol Flynn verstand keinen Spaß. Vielleicht lag es daran, dass ich keine Piraten-Lady mit offenem Dekolleté war. Bei mir war nur der erste Hemdknopf offen. Errol wollte noch etwas sagen und hatte auch schon gehörig Luft dafür geholt, aber sein Partner kam ihm zuvor und meinte: "Lass ihn, Heinz!"

      Ich war draußen und arbeitete mich zielstrebig durch den kleinen Pulk von Schaulustigen, die auf dem Bürgersteig herumstanden und eine Art Halbkreis dabei bildeten.

      Sie stierten auf die beiden Schutzpolizisten wie Lourdes-Pilger auf das heilende Wasser und erwarteten offenbar jede Sekunde, dass etwas geschah. Wenn schon kein Wunder, dann wenigstens etwas, das man nicht alle Tage sah. Und wenn man schon nichts sah, dann hörte man ja vielleicht etwas.

      Ich hatte mich gerade bis zum Bordstein durchgekämpft und wollte über die Straße, da fiel mein Blick auf einen jungen Mann mit verfilzten, fast schulterlangen Haaren, wie ich sie selbst vor einer halben Ewigkeit mal getragen hatte. In seinem handgestrickten Pullover, seinen Turnschuhen und den schmuddeligen Jeans sah er modisch so MEGAout aus, dass er vermutlich schon wieder ein Vorläufer des allerneuesten Trends war.

      Trotz seines dicken Pullovers schien der arme Kerl zu frieren. Seine Augen flackerten unruhig, und er drehte sich ständig nach allen Seiten um wie ein Dieb, der den Mundgeruch des Kaufhausdetektivs zu riechen glaubte.

      Plötzlich schrumpfte der Kerl ein Stück zusammen, und ich bemerkte, dass er bislang auf Zehenspitzen gestanden hatte.

      Mit seinem hohlwangigen Gesicht, den dunkelbraunen Augen, deren Blick ständig umherirrte, und den abstehenden Ohren, die sich durch seine Haarpracht hindurchstahlen, wirkte er auf mich wie ein ausgezehrtes, gehetztes Nagetier. Ein Hase, der auf einem Kohlfeld sitzt und genau weiß, dass er dort eigentlich nicht sein dürfte ...

      "Heh, Sie! Wissen Sie, was hier eigentlich los ist?", trällerte eine energische Stimme, die entweder einer Marktfrau oder einer Lehrerin gehören musste. Eine unscheinbare, grauhaarige, recht hagere Endfünfzigerin hatte sich an den hasenartigen jungen Mann gewandt.

      Also doch: eine Lehrerin!

      Der junge Mann zuckte zusammen. Vielleicht kannte er diesen Tonfall noch aus der Schule und war immer noch darauf konditioniert. Jedenfalls stand er starr und steif da, und sein Gesicht hatte den letzten Rest von Farbe verloren.

      Seine Stimme war ein heiseres Krächzen, wie ich es in meinen Romanen immer Leuten andichte, die schon mit anderthalb Beinen im Grab stehen.

      "Was?"

      "Heißt der Tote nicht Lammers oder Lamus?", fragte die Lehrerin, und ich dachte: Das hat sich ja schnell herumgesprochen.

      "Jürgen Lammers?", vergewisserte sich der Filzlockige, was entweder bedeutete, dass er ihn kannte, oder dass er ein besserer Lauscher war.

      Die Lehrerin runzelte die Stirn. "Wohnen Sie denn nicht hier?"

      "Ich?"

      "Mit wem rede ich denn? Die Polizisten sagen ja nichts! Aber es muss wohl jemand umgebracht worden sein! Sie standen doch noch näher am Polizeifunk. Ich dachte, Sie hätten etwas mehr mitgekriegt als ich!"

      Er sah sie mit offenem Mund an. Aus seinen Augen sprach dabei eine Mischung aus Entsetzen und namenloser Angst.

      "Was?", krächzte er.

      "Haben Sie gesehen, ob die Leiche schon rausgetragen wurde?"

      Er rang nach Luft und wich vor der Lehrerin zurück. Dabei rempelte er einen älteren Mann hart an, der nur verständnislos mit dem Kopf schütteln konnte.

      Die Lehrerin fragte: "Was ist denn los? Ist Ihnen nicht gut?"

      Er schluckte. "Nein ..." flüsterte er und schüttelte wie von Sinnen den Kopf.

      Was dann folgte, war eine Art heilloser Flucht. Kopfschüttelnd rannte er los, strauchelte dabei und stolperte dann über die Straße. Ein Wagen wich ihm aus, ein zweiter bremste. Dass er bis zum Mittelstreifen kam, war wie ein Wunder. Dort warf er einen gehetzten Blick zurück und nutzte anschließend die nächste Gelegenheit, um die andere Seite zu erreichen.

      Wenig später war er in einer Seitenstraße verschwunden, und die Blicke der Schaulustigen hafteten bis zum letzten Moment an seinen Fersen.

      "Was war denn mit dem?", fragte der ältere Mann.

      "Ich weiß es nicht", murmelte die Lehrerin.

      "Ein Irrer!"

      "Wahrscheinlich einer aus der Anstalt. Die haben wohl mal wieder Ausgang!"

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