Скачать книгу

Ich ließ es mir jetzt nicht mehr nehmen, sie in die Arme zu schließen, um ihren glühenden Leib durch den hauchfeinen Umhang hindurch zu genießen, doch da geschah etwas Überraschendes und Erschreckendes:

      Die Contessa schlang mir beide Hände um den Nacken, drückte sich fest an mich, beugte sich ein Wenig zu mir herunter und drückte ihre Lippen auf meine Lippen. Ein heißer Schauer durchraste mich. Ich liebte sie. Volpe hingegen hatte seine Schlüsse aus dem Verhalten der Frau gezogen, schmunzelte hörbar und blickte dezent zur Seite. Er kannte mich.

      Dann schlüpfte die Gräfin aus meinen Armen, und wir verließen sie kichernd. Wie gerne wäre ich da geblieben, denn sie blickte mich sehnsüchtig aus ihre großen hellgrünen Augen an, aber Ambrosio hatte um unser beider Anwesenheit beim Verhör des Grafen gebeten. So schied ich schweren Herzens von dieser seltsam berückenden Frau, die möglicherweise Komplizin eines vierfachen Mörders war. Sie hatte meine Sympathien im Sturm erobert. Ich nahm mir vor, ihr zu helfen, komme da, was da wolle.

      11. Teil: Wieder auf dem Revier

      Die Sonne hing bereits blutrot über dem westlichen Festland, als wir todmüde und mit bleiernen Gliedern vor dem Revier anlangten. Welche eine Nacht, was für einen Tag hatten wir hinter uns! Wann eigentlich hatten wir den letzten Schlaf genossen? War es nicht vor mehr als hundert Jahren gewesen? Und doch galt es, jetzt beim Verhör des Grafen hellwach zu sein. Im Unterschied zu uns war er nämlich gut ausgeschlafen.

      Als wir in die bereits oben beschriebene Halle traten, erwartete uns eine unangenehme Überraschung: Alberto Scimmia vom Corriere della Sera samt einem Rattenschwanz von Männern der anderen Zeitungen war hier eingedrungen.

      Wie ich später erfuhr, hatten sie das Gebäude den ganzen Tag über nicht aus den Augen gelassen. Immer war einer von ihnen auf der Lauer gelegen, um alle anderen über SMS zu benachrichtigen, wenn sich etwas tat. Und so war ihnen die Verhaftung des Conte d‘ Inceto nicht entgangen. Tenente di Fusco, der damit gerechnet hatte, sorgte freilich dafür, dass der Verhaftete das Gesicht mit einem Tuch verbergen konnte. Jetzt war auch Volpe gekommen.

      »Da ist er ja, Venedigs berühmter Privatdetektiv! Und haben Sie wenigstens diesmal den Richtigen erwischt?«, spottete Signore Scimmia, als Ambrosio über den Korridor ging.

      Der Tenente blieb einen Augenblick lang stehen und warf dem Reporter einen vernichtenden Blick zu. Dieser blickte rasch zu Boden, während sein Kameramann aktiv wurde. Doch alles, was er ablichtete, war nur ein schlanker, hoch aufgeschossener verschleierter Mann in einem Morgenrock aus Seide.

      Im Büro angekommen, ließ Ambrosio den Kronleuchter aufflammen, um die herein brechende Nacht zum Tag zu machen. Dann befahl er, einen Schreiber zu holen, der Protokoll führen sollte, winkte uns freundlich zu und bot uns zwei wackelige Stühle an. Erschöpft nahmen wir Platz. Der Conte blieb stehen, blickte von einem zum anderen und stand unschlüssig in der Mitte.

      »Setzen Sie sich doch endlich!«, sagte Ambrosio und schob ihm einen bequemen Sessel mit gebogener Rücklehne zu. Zögerlich hockte der Verhaftete sich auf die Kante und starrte hasserfüllt zu uns beiden hinüber. Ambrosio di Fusco, der als Offizier der Carabinieri jetzt energisch die Fäden in die Hand nahm, während er uns ‚Amateure‘, wie er gerne sagte, keines Blickes mehr würdigte, fragte ihn:

      »Wie lange, verehrter Conte, sind Sie schon verheiratet?«

      »Fünf Jahre.«

      »Aha! Darf ich Ihr Alter wissen.«

      »Warum nicht; ist ja aktenkundig; sechsundzwanzig. Ich habe Contessa Cornelia mit erst Einundzwanzig geheiratet. Ist das ein Verbrechen?«

      Volpe und ich warfen einander vielsagende Blicke zu: Die Süße, die ich gerade eben hatte umarmen und küssen dürfen, war demnach mindestens dreizehn Jahre älter als ihr Mann.

      »Und wie alt ist dann Ihre Frau, Signore Conte?«, fragte Ambrosio unerbittlich.

      Der Graf lief knallrot an, schwieg verbissen und rüttelte an den Handschellen, mit dem seine Hände gefesselt waren. Mir tat er trotz allem leid, denn welcher Mann sagt das schon freiwillig, was er nun gestehen sollte. Er schwieg also:

      »Seine Cornelia ist, wenn ich ihr das abnehmen darf, bereits Neununddreißig. Höchstwahrscheinlich ist sie aber ein bis zwei Jährchen älter«, sagte Volpe triumphierend, während ihn der Conte musterte, als wollte er ihn auf der Stelle ermorden.

      Ich blickte zu Boden. Es trat eine vorübergehende Stille ein, während der Ambrosio seine Hände wie große weiße Spinnen auf der rissigen Platte seines Schreibtisches hin und her krabbeln ließ, bis er endlich sagte:

      »Signore Conte, sind Sie Maler?«

      »Nein, Künstler. Das Malen gehört auch dazu. Leider bin ich zurzeit noch nicht berechtigt, ein Haus zu bauen. Dazu fehlt mir das Diplom. Aber immerhin liefere ich einigen unserer Architekten meine künstlerischen Entwürfe.«

      »Haben Sie irgendeine Ausbildung gemacht? Besitzen Sie das Zertifikat eines abgeschlossenen Studiums?«

      »Nein, ich habe … nichts gelernt und war bei keinem Meister in der Lehre. Als ich siebzehn war, fing ich an zu malen … ich bin … äh … ein Autodidakt.«

      »Haben Sie eine höhere Schule besucht oder studiert?«

      »Nein. Alles, was ich kann, habe ich mir selber beigebracht. Mehr brauchte ich auch nicht. Ich wollte schon immer Künstler werden, und als man mich verhaftete, konnte man ja die Bilder in meiner Wohnung sehen. Sie sind alle von mir. Ich werde noch von mir reden machen … eines Tages.«

      Auch der Tenente, das verriet er mir später, fand die Gestaltung dieser Gemälde bedrückend: immer nur Morde vor düsterem Hintergrund; besonders abgestoßen habe ihn, wie sehr Graf Raimondo in der Darstellungen der dahin geschlachteten Töchter der Niobe schwelgte. Sie alle habe der Graf im Blute schwimmend und von Pfeilen gespickt auf die Leinwand gebannt.

      »Sagen wir es mit einem Wort«, setzte der Tenente das Verhör fort, »Sie haben keinen bestimmten Beruf, und Künstler darf sich jeder nennen, wenn er Lust dazu hat.«

      »Ja, ich weiß«, sagte Graf Raimondo, grausam lächelnd, »auch Sie und Signore Tartini, ihr haltet mich für einen Versager, nicht wahr? Aber daran habe ich mich gewöhnt. Ich kann niemanden daran hindern, so über mich zudenken. Es hätte keinen Sinn. Oft genug musste ich mir Dergleichen anhören.«

      »Finden Sie denn auch Abnehmer Ihrer, äh, Werke?«

      »Mir sind meine wenigen Kunden lieber, wenn sie nur Vertrauen zu mir haben, Menschen, die meiner Inspiration freien Lauf lassen, Freunde, denen meine Art der Gestaltung gefällt und die nach keinem Diplom fragen.«

      »Soll das heißen, dass Sie vom Erlös Ihrer Produkte gar nicht leben könnten, verfügten Sie nicht über, äh, Eingemachtes?«

      »Das Geld ist mir als Künstler gleichgültig. Wir sind reich genug, um ein sorgenfreies Leben zu genießen.«

      »Ist es … äh … besonders das Vermögen, welches … äh … Ihre Frau in die Ehe mitgebracht hat?«

      Der Conte sprang aus dem Sessel auf und brüllte mit einer scheußlich überschnappenden Fistelstimme:

      »Wer bei uns wie viel Geld eingebracht hat, geht euch verfluchte Bullen einen feuchten Dreck an. Wir sind verheiratet und besitzen ein gemeinsames Vermögen.«

      Er hockte sich wieder hin. Ambrosio gab dem Amtsdiener einen Wink. Er stellte einen Glas Wasser vor Raimondo, der es vorsichtig mit den aneinander gefesselten Händen ergriff, an den Mund führte und auf einen Zug leerte. Auch der Tenente und wir befeuchteten uns jetzt Zunge und Kehle. Durch das vergitterte Fenster wehte schwüle Abendluft herein. Ich blickte hinaus und sah feines Wetterleuchten in der Ferne.

      »Gut, dann ein anderes Thema«, sagte Ambrosio, »sind Sie hier in Venedig geboren?«

      »Nein. Aber ich war noch ganz klein, als meine Eltern aus Milano hier zuwanderten und den leer stehenden Palast kauften.«

      »Dann

Скачать книгу