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Weise diese Welt. Sie waten durch das Wasser zu trockenen Kiesbänken. Patricia sucht Kiesel, die ihr besonders gefallen. Sie übergibt sie ihrem Vater, und er zerbricht die Steine durch einen gezielten Schlag mit einem größeren. Eine bunte und faszinierende Schönheit zeigt sich im Inneren jedes zerbrochenen Kiesels. Für Patricia tut sich eine Zauberwelt auf. Von außen ist ja nur zu ahnen, was die graue, abgeschliffene Oberfläche verbergen mag, und plötzlich offenbart das Innere eine bunte Pracht. Grüne, braune, rote Farbtöne und weiße kristalline Schichten, zierliche Muster wie erstarrtes Werden, Fenster zur Herkunft und Abstammung eröffnen sich mit einem kräftigen Schlag. Ich bin und lasse mich doch nicht so leicht erkennen, scheint das Gestein zum Betrachter zu sprechen. Wie ein Gleichnis wirke ich auf euch und berichte davon, dass die äußere Erscheinung stets nur ein Abbild der Wirklichkeit sein kann, auch wenn ihr sie für die Realität haltet.

      Patricia saugt dieses Erleben in sich auf und trägt einen Stein nach dem anderen herbei. Als ihre Neugier zufriedengestellt ist, verlangt sie energisch, dass der Vater sie an beiden Händen festhält, während sie sich in die Strömung des Wassers legt. Voller Vertrauen spürt sie seinen festen Griff an ihren Handgelenken und die mächtige Kraft des Wassers, das sie fortziehen möchte. Doch ihr Vater ist stärker.

      Sofía sitzt oft im Schatten eines Baumes am Ufer und schaut auf den schnell vorbeiströmenden Fluss. Sie hat auf einem Felsen Platz genommen und taucht ab und an ihre nackten Füße in das Wasser. Meist streift eine kühle Brise, die ihren Weg das Tal hinab sucht, ihren Körper. Dann hängt sie ihren Gedanken nach und träumt.

      Alexandra erlebt all dies auf ihre Weise. Sie nimmt nur ganz am Rande am Geschehen teil, welches aus der Ferne zu ihr dringt. Doch wenn ihre Mutter träumt, dann reist sie mit ihr. In solchen Augenblicken ist sie ganz mit dem Sternenhimmel verbunden. Manchmal rufen sie allerdings Bewegungen oder Geräusche unsanft zurück in das irdische Sein.

      Gerne spricht sie mit ihrer Mutter. »Mama, ich fühle mich dir nah und brauche dich. Aber ich bin auch ein eigenes Wesen.« Dann wartet sie, was ihre Mutter in ihren Gedanken antwortet. »Mein Kind, ich freue mich so sehr, dass du bei mir bist!«

      Alexandra liebt es, mit ihrer Schwester in Kontakt zu sein. »Wir sind Zwillinge!«, wendet sie sich an sie. »Wir werden gemeinsam durch das Leben gehen.«

      »Ich weiß«, antwortet ihr Patricia.

      Ebenso sucht sie den Austausch mit ihrem Vater. »Ich benötige deine Unterstützung. Du sollst mir Halt in diesem Leben sein!«

      Und ihr Vater erwidert ihr: »Ich bin für dich da!« Dann kann Alexandra wieder beruhigt ihren Blick auf die Sternenheimat richten.

      Die Reise geht weiter ins Tal der Gardon mit der die Landschaft überragenden Pont du Gard, die in einem großen Bogen das Tal überspannt. Vor acht Jahren ist Jens mit einem Freund bereits einmal hier gewesen. Damals waren sie in luftiger Höhe, 50 Meter über dem Fluss, auf der nur gut einen Meter breiten Außenmauer der Wasserleitung über das Tal gegangen. Das würde er heute nicht wieder wagen. Zu sehr fühlt er sich in Verantwortung.

      Der schöne Brückenbau, die weißen Felsen um das Flussbett, die grünen Hügel, all das hinterlässt einen Eindruck, als wollte sich das irdische Leben in seiner Schönheit und Größe unübersehbar zeigen. Die eigene Stellung in einer langen Abfolge von Generationen drängt sich geradezu dem Betrachter auf, wenn seine Gedanken sich damit befassen, wie dieses imposante Bauwerk entstanden ist und was sich alles in seinem Umfeld in vergangenen Jahrhunderten ereignet haben mag.

      Bald darauf ist das Mittelmeer erreicht. In fortwährend anderer Erscheinung zeigt sich die Natur. Weit reicht der Blick zum Horizont der sich ausbreitenden Wasserfläche. Weißer Sand begrenzt das Blau von Himmel und Meer. Patricia badet im warmen Wasser, und mit Schaufel und Eimer formt sie den Sand. Die Eltern schauen von ihrem Platz unter einem Sonnensegel zu. Alexandra bedankt sich: »Auf dieser Reise lerne ich die Vielfalt der Erde kennen, denn eure Gefühle und Gedanken sind bei mir«, spricht sie. »Ich werde dies in meiner Erinnerung behalten!«

      An Frankreichs Mittelmeerküste entlang geht es weiter in Richtung Spanien. Weite Bereiche des Landes sind nun verbaut. Die großen Hotelkomplexe, Feriensiedlungen und Appartementhäuser stören die Schönheit der Natur. Es ist kaum noch möglich, direkt zum Meer zu gelangen. Erst kurz vor der spanischen Grenze ändert sich dies und kleine Städte und Dörfer bestimmen nun das Landschaftsbild.

      Die Reise geht weiter durch die Pyrenäen, sie übernachten an abgelegenen Orten in der Natur, entdecken kleine Bergbäche und Seen. Die hohen Gebirgsgipfel bilden einen grandiosen Rahmen für ein Gefühl der Geborgenheit.

      Dann führt der Weg zurück. Es folgen lange Stunden auf der Autobahn. Gleichmäßig fährt der Bulli Kilometer um Kilometer. Patricia verbringt die Zeit geduldig mit Spielen, Erzählen und dem Lauschen der Geschichten, die ihr die Mutter vorliest. Mit ihrer Schwester im Bauch der Mutter teilt sie in Gedanken ihre Eindrücke: »Schau, liebe Schwester. So ist die Welt. Das ist deine Familie.«

      Und Alexandra antwortet: »Ich weiß. Ich bin bei euch. Ich spreche mit euch – immerzu. Ihr hört mich auch. Aber ihr wisst dies nicht. Schwester: Ich möchte euch auch vieles zeigen. Es war mein Wunsch, mit euch diese Reise zu unternehmen. Unsere Eltern haben mich verstanden.«

      Zahlreiche Gespräche finden auf diese Weise zwischen Alexandra, ihren Eltern und ihrer Schwester statt. Schließlich erreicht die Familie ihr Zuhause.

      Alexandra wächst und der Bauch ihrer Mutter wird immer größer. Die Geburt rückt näher.

      »Mama, du darfst dich nicht beugen. Ich helfe dir, dein Bauch ist groß und schwer.« Voller Anteilname und Liebe erlebt Patricia mit, wie es ihrer Mutter geht.

      Zwei Wochen nach der Ferienreise findet die Begegnung mit Leboyer statt. Alexandra hört die Musik der indischen Sitar – Teil des Workshops des großen Geburtshelfers –, die sich mit dem Rauschen und Pulsieren in der Gebärmutter mischt. Sie fühlt sich gestärkt. »Ich gehöre dazu«, spricht sie. »Ich werde mit Liebe empfangen.« Gleichmäßig schlägt ihr Herz, während sie die Musik vernimmt.

      Der Gesang ihrer Mutter versetzt Alexandras Körper in Schwingung, berührt tiefe Sehnsucht und trifft gleichfalls auf Furcht vor der Trennung sowie der Ungewissheit des Kommenden. Manchmal erscheint mir die irdische Aufgabe zu groß, und vielleicht gelingt sie mir nicht, denkt sie. Doch die Musik heilt!

      Leboyer wendet sich an Sofía. Nachdenklich ist sein Blick, als er zu ihr spricht. »Es ist ein außergewöhnliches Kind, ein besonderes Wesen, das hier auf die Erde kommt … und eine besondere Mutter. Schauen Sie gleichfalls auf sich. Leben zu schenken ist wie selbst geboren zu werden, eine große Reise auch zur eigenen Herkunft. Erinnern Sie sich, wie Sie geboren wurden, an Ihre Gefühle und vielleicht auch Ängste. Sie haben es geschafft. Die Schwangerschaft ist eine Pilgerfahrt zu den Ursprüngen des Lebens.«

      Leboyer denkt nach. »Ein Kind zu gebären bedeutet zu sterben und wiedergeboren zu werden. Die Reise zurück zu den eigenen Ursprüngen bereitet Sie darauf vor.« Seine Augen blicken in die Weite des Raums und er fährt fort. »Die Geburt eines Kindes ist etwas Heiliges, etwas Mysteriöses. Etwas, das wir nicht mit dem Verstand erfassen oder mit dem Willen steuern können. Etwas, das stärker ist als wir und auch Angst machen kann. Doch zugleich eine Geburt ist normal, natürlich, alltäglich, gesund. Bleiben Sie in Ihrem Vertrauen!«

      Regelmäßig besucht Sofía von nun an die Sitarspielerin. Während Alexandra den Tönen lauscht, zieht die zurückliegende Zeit an ihr vorbei. Sie erinnert sich an den starken Wirbel, der sie erfasste und unbändig zur Erde zog. Seiner Kraft musste sie sich hingeben und dies wollte sie auch. Das Unwiderstehliche des Geschehens hat sich tief in ihr Gedächtnis eingegraben. Mit der Ankunft auf der Erde trat etwas Endgültiges ein!

      Es gibt Augenblicke, da meldet sich bei ihr ein Impuls, doch wieder zu ihrem Herkunftsort zurückkehren zu wollen. Der Himmel lockt! Auf Erden muss die eigene Existenz voller Beschwernis aufgebaut werden. Hier im Irdischen ist es notwendig, immerfort zu lernen. Über eine lange Zeit gilt es, einen Körper auszubilden und sich ganz mit diesem zu verbinden. Wie viel einfacher war alles in der Heimat. Dort ist, was ist! Die Gedanken sind, ohne darüber befinden zu müssen. Bei den Sternen existiert das Eine.

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