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      Marlene Klaus

      Beschützerin des Hauses

      Historischer Roman

      Klaus, Marlene : Beschützerin des Hauses. Hamburg, acabus Verlag 2019

      überarbeitete Neuauflage

      ePub-eBook: ISBN 978-3-86282-756-5

      PDF-eBook: ISBN 978-3-86282-755-8

      Print: ISBN 978-3-86282-754-1

      Lektorat: Mariel Radlwimmer

      Satz: Laura Künstler, acabus Verlag

      Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag

      Covermotiv: © ADDICTIVE STOCK / adobe.stock.com

      Hintergrundstruktur: © pixabay.com

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Der acabus Verlag ist ein Imprint der Bedey Media GmbH,

      Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

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      © Dryas Verlag, Hamburg 2011

      Alle Rechte vorbehalten.

      http://www.acabus-verlag.de

      Für dich, Mama

      Vorbemerkung

      Wie wir Geburt, Krankheit, Tod erleben, wie wir miteinander umgehen, wie wir essen, wohnen, arbeiten und feiern, kurz, in welchen individuellen und kollektiven Formen wir unser Leben verbringen und uns in der Welt zurechtzufinden versuchen – dies alles verbindet uns in vielen Einzelheiten mit der Welt des alten Reiches. Es gehört zum fast vergessenen Vermächtnis der Vormoderne, das es zu entdecken gilt. Wer den verkürzenden, ausschließlich an der Gegenwart orientierten Blick überwindet, dem eröffnet die Zeit zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert überraschende Perspektiven. Dabei geht es nicht um eine Flucht aus der »bösen« Gegenwart der technischen Zivilisation zurück in die vorgeblich idyllische Welt der »guten alten Zeit«, sondern lediglich darum, zu erkennen, wer wir sind, warum wir so sind, wie wir geworden sind.

      Nicht zufällig entdeckt man im ausgehenden 20. Jahrhundert die Historie neu, versucht man, in der Geschichte verlässliche Fundamente einer brüchig gewordenen Identität zu finden. Lang bewährte Formen des Zusammenlebens erfahren tiefgreifende Veränderungen, Traditionen lösen sich auf. Der gesamte Kosmos menschlicher Verhaltensweisen befindet sich im Umbruch, in einem Stadium der Neuorientierung. Vieles, was gestern galt, ist heute in Frage gestellt. Die Erfahrungen und Schwierigkeiten mit der eigenen komplexen Gegenwart erzeugen eine erhöhte Sensibilität für historische Phänomene. Geschichte erscheint heute weniger festgelegt als früher, eher als offener, unberechenbarer Prozess denn als sinnvolle, auf ein bestimmtes Ziel notwendig zulaufende Bewegung. Der rasche Wandel zeigt, dass Denk- und Verhaltensweisen, die als anthropologische Konstanten galten, der Veränderung ebenso unterliegen wie die sich schneller wandelnden Ereignisse. Die Krise öffnet den Blick für die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen sich die Lebensformen der Moderne gebildet haben.

      Paul Münch, Lebensformen in der Frühen Neuzeit 1500 bis 1800, Propyläen 1992

Georgi 1593

      1

      Ein Dämon!

      Oswin Gäßler stand wie vom Donner gerührt und starrte hinüber zur Weide. Ihm stockte der Atem. Äste, die in der Finsternis aussahen wie ein Haupt voll in Unordnung geratener Zöpfe. Die Fratze darin schnitt ihm Gesichter.

      Gebannt starrte er auf die Schreckgestalt. Welch unheimliches Pfeifen, zum Henker!

      Gäßler stemmte sich gegen den Wind, die Beine fest auf dem Grund gespreizt, drückte den Wanst nach vorn, kippte den gesamten Leib mit großer Gebärde nach hinten, als befestige er ihn an einem unsichtbaren Pflock. Die Hellebarde umklammerte er, als könne sie ihm Halt geben. Er setzte die Laterne ab und fasste nach dem Augspross des Rothirschs, den er als schützendes Amulett bei sich trug. Pfannenstiels Weib hatte ihm eigens ein Leinensäckchen in den Umhang genäht, damit er ihn darin verwahren konnte. Er berührte den rauen, gekrümmten Talisman, der ihm zudem helfen sollte, des nachts besser zu sehen. Aber gerade war er alles andere als scharf darauf, das Fratzengesicht so deutlich zu sehen. Schweiß brach ihm aus. Wind heulte. Und das Pfeifen. Sollte er nicht etwas unternehmen? Es war seine Aufgabe, die Dorfbewohner zu schützen. Doch die Gebärden der hässlichen Missgestalt lähmten ihn. Er rührte sich nicht. Hielt den Atem an. Setzte auf die Wirkkraft des Augsprosses.

      Da verschwand die Wirrsal, begann, sich aufzulösen. Schwer atmete er aus.

      »Zum Henker«, presste er hervor. »Ein Zerrbild.« Er nahm die Laterne wieder auf. Murmelte: »Nur die Weide, nur die Weide! Steht dort seit Menschengedenken.«

      Erleichterung mischte sich unter die Angst. Aber seine Knie fühlten sich weich an. Er wandte sich der Schwopschen Mühle zu. Der Kraichbach plätscherte in der Dunkelheit. In der Mühle war noch alles still. Ein Luftstoß fuhr ihm in den Bart und lupfte ihn. Gäßler neigte den Kopf und strich das spinnwebflusige Gekitzel aus dem Gesicht. Er hob dadurch die Laterne mit an, die Kerze in ihrem Glasgehäuse flackerte, er selbst kam aus dem Gleichgewicht. Er umklammerte die Hellebarde mit Entschlossenheit, schwankte, brachte sich umständlich wieder ins Lot. Er spürte auch die Kälte wieder. Als hielte der Januar das Land noch immer in eisigen Klauen. Als sei’s nicht April. Das ging gewiss nicht mit rechten Dingen zu. Was man so hörte, waren’s Unholde, die für dieses widernatürliche Wetter verantwortlich waren. Sicher hatten die ihm auch den Dämon geschickt.

      Gäßler langte vor der Mühle an. Er rammte die Hellebarde mit Wucht ins Erdreich neben sich, schluckte den Biergeschmack hinunter, spreizte die Beine fest auf dem Grund und blies schließlich fünfmal ins Horn. Mit dunklem Knurren hob er an:

      »Hört ihr Leut und lasst euch sagen,

      unsere Uhr hat fünf geschlagen.

      Müller steh auf, bring’s Mühlrad zum Lauf!«

      Gäßler wartete, bis aus dem steinernen Wohnhaus neben der Mühle schwächliches Flackern drang. Dann machte er kehrt und stapfte zurück zur Holzbrücke, über die er gekommen war. Noch einmal sah er zurück zu den Gärten. Schemen von Weide und Gestrüpp. Nichts sonst. Die Schimäre war verblasst, die Erinnerung an die Schmach nicht. Er setzte über die Brücke, folgte der Mühlgass, die leicht anstieg und sich gabelte. Der linke Arm führte in einem Schlenker zum Rathaus, von wo er seinen Rundgang begonnen hatte. Die Häuser, die sich dort Seite an Seite schmiegten, lagen noch im Dunkel. Gäßler wankte weiter, aber am liebsten hätte er sich wieder zurück in die warme Stube im Rathaus verfügt. Stattdessen folgte er dem rechten Zweig der Mühlgass hinauf zur Dorfstraß nach Reilingen. Es war der Weg, den er immer nahm, in Schlangenlinien torkelte er die Gasse hinauf.

      Gäßler meinte von sich, dass er trotz Leibesfülle behutsam zu gehen vermochte wie eine Katze. Er folgte seiner Pflicht lautlos. Lärm machte er nur vorschriftsmäßig zur vollen Stunde. Hätte er gewusst, dass man seine Anmut eher mit jener von Offenlochs Ochse verglich, er hätte dem Verleumder einen Krug an den Kopf geworfen. Einen leeren, versteht sich. Bier zu verschwenden kam einer Sünde gleich.

      So erreichte er die eng beieinander stehenden Holz- und Lehmfachwerkhäuser auf der Dorfstraß nach Reilingen, ging bis zum Ortsausgang. Alles ruhig. Um sich von dem Schrecken abzulenken, der ihm noch immer in den Knochen saß, stellte sich Gäßler die Betriebsamkeit vor, die am heutigen Georgstag herrschen würde. Die Hirten bezogen die Sommerweiden; möglich, es kam die ein oder andere Magd durch den Ort, wenn sie ihren Herrn wechselte. Auch sonst war allerhand Volk unterwegs. Hockenheims Grenzlage nahe des Rheins hinüber ins altgläubige Speyer sorgte für regen Verkehr. Der alte Ost-West Handelsweg von Heidelberg nach Speyer machte es zur wichtigen Zollstation. Durchreisende

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