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zu schlagen. Viel lieber, als mich regulär in Sportvereinen zu betätigen, erschuf ich meine eigenen Sportstätten und Geräte. Im Grundschulalter baute ich meine eigenen Turngeräte, mit elf eine Skateboard-Rampe und später einen Tennisplatz und einen Basketball-Court auf dem Hof vor unserem Haus. Mit fünfzehn Jahren entdeckte ich das Rennradfahren für mich. Das Rennradfahren ist die schnellste Form, sich aus eigener Körperkraft fortzubewegen. Ein Rennrad ist ein fortschrittliches und ästhetisches High-Tech-Gerät. Ich empfand es als enorm erholsam, mit dem Rennrad in meinem eigenen Tempo die Umgebung zu erkunden, dabei meine Gedanken schweifen zu lassen, nachzudenken und zu träumen. Das Rennradfahren wurde zu einem meiner Lieblingshobbies, dem ich nach wie vor sehr gerne nachgehe.

      Die Kombination aus Reiselust, Freude am Rennradfahren und meiner Begeisterung für die USA brachten in mir den Wunsch hervor, die USA mit dem Fahrrad von Küste zu Küste zu durchqueren. Diesen Plan schmiedete ich mit siebzehn und mit jedem Jahr, das verstrich, ohne, dass ich den Plan umsetzen konnte, symbolisierte er mehr und mehr für mich den zentralen Akt meiner Befreiung aus Sachzwängen und den Beginn eines selbstbestimmten Lebens. Es sollte dann allerdings noch bis zu meinem 44. Lebensjahr dauern, bis ich endlich in der Lage war, diese Idee Wirklichkeit werden zu lassen.

      Trotz meiner Abneigung gegen den Schulbetrieb machte ich ein einigermaßen gutes Abitur. Dies war dem Umstand geschuldet, dass ich im letzten Jahr beim Erblicken des Endes des Schultunnels aufs Gas drückte und mich eifrig auf die Abiturprüfungen vorbereitete. Das Lernen (oder besser gesagt: Nachplappern) von vorgefertigten Dingen, die mich nicht besonders interessierten, fiel mir zwar schwer und ich lehnte es mit vollen Herzen ab, doch ich sah ein, dass Rebellion hier nur zum Schulversagen führen würde. Ich biss mich durch und begann, mich gründlich mit meiner Zeit nach der Schule zu beschäftigen.

      Was wollte ich tun? Welche Ausbildung passte zu mir? Ein besonderes Talent konnten weder ich noch Außenstehende bei mir entdecken. Nach objektiven Kriterien, wie sie zu meiner Jugendzeit definiert wurden, war ich zutiefst durchschnittlich. Das Gefühl in einen Durchschnitt gepresst worden zu sein, der mir gar nicht entsprach, erzeugte bei mir Leidensdruck. Ich hasste dieses Gefühl. Denn so wollte ich auf keinen Fall sein. Das Gute an diesem Leidensdruck war allerdings, dass er mich auf Trab hielt. Er zwang mich zu Sorgfalt und einem planvollen Vorgehen, wenn ich nicht völlig in der Bedeutungslosigkeit versinken wollte.

      Vor allem meinem Vater war mein Hang zum Non-Konformismus immer etwas unheimlich. Als Reaktion auf meine Ideen und meinen Eigensinn hatte er einen Standard-Spruch parat: „Jetzt hör mal auf zu spinnen.“ Auf lange Gespräche über Lebensträume mochte er sich als Kriegskind, das er gewesen war, nicht einlassen. Als Kind hatte er 1945 eine grauenvolle Flucht von Schlesien ins Rheinland erlebt und seine Eltern hatten beide Weltkriege durchlitten und zweimal alles verloren. Stabilität und Sicherheit standen an erster Stelle. Für seine Söhne schwebte ihm vor, dass sie, wie er selber auch, studieren, eine Familie gründen und einen Beruf mit Pensionsregelung ergreifen sollten. Selbstverwirklichung war gefährlich und in diesem Zusammenhang quasi ein Schimpfwort.

      Am 21. Mai 1985 hatte ich mein Abitur in der Tasche und realisierte, nie wieder in die Schule zurückkehren zu müssen. Schulfreunde und ich gingen in unsere Stammkneipe und mit dem ersten Bier stellte sich bei mir ein fantastisches Gefühl völliger Entspannung und Befreiung ein, wie ich es zuvor noch nie empfunden hatte. Am nächsten Tag packte ich meine Satteltaschen und machte mich mit einem Freund per Zug und Schiff auf den Weg nach Dublin, von wo aus wir den Süden von Irland mit dem Fahrrad erkunden wollten. Leider kam diese Reise auf dem Ring of Dingle vorzeitig zu einem unvorhergesehenen Ende, weil eine Herde Kühe unsere Räder zertrampelte. Die hatten wir, um sie vor einem Sturm zu schützen, in einem Kuhstall abgestellt, den wir unbenutzt wähnten. Dies war ein Irrtum, und die Kühe, die wir am Abend nicht gesehen hatten, suchten in dieser Nacht ebenfalls vor dem Sturm in ihrem Stall Schutz. So kehrten wir vorzeitig nach Deutschland zurück.

      Ein akademisches Studium an einer Universität schied für mich zunächst aus, denn ich verspürte keine Lust, die Erfahrung, die ich in der Schule gemacht hatte, zu wiederholen. Ich hatte mir einige Probevorlesungen an Universitäten angehört, nur Bahnhof verstanden und mich zu Tode gelangweilt. Mein Vater war im Güterverkehr der europäischen Bahnen tätig. Viele seiner in- und ausländischen Kollegen und Geschäftspartner waren bei uns zu Hause zu Besuch. Ich fand die Gespräche spannend. Verhandeln, durchrechnen, Geschäfte abschließen, Projekte umsetzen, Investitionen tätigen und Mitarbeiter führen schienen alles aufregende Tätigkeiten zu sein. Das Gütertransportgewerbe war in meiner Vorstellung aktionsreich, international und wenig abstrakt. All das waren Dinge, die ich immer schon mochte und die mir lagen.

      In der zweiten Hälfte der 80er Jahre entstand das Konzept des dualen Studiums, d.h. eines Diplom-Studiums in Kombination mit einer praktischen Ausbildung in einem Unternehmen. Dieses wurde in Baden-Württemberg von sogenannten Berufsakademien angeboten, die heute „Duale Hochschulen“ heißen. Der Zufall wollte es, dass an meinem Wohnort in Lörrach an der Schweizer Grenze eine derartige Berufsakademie entstanden war, die auch ein Betriebswirtschaftsstudium mit Schwerpunkt „Transport, Logistik und Spedition“ anbot. Ich hatte das Gefühl, dass die Verbindung von praktischer Ausbildung und Studium das richtige für mich war. Da mein Vater gute Beziehungen zu den marktführenden Speditionsunternehmen hatte, erhielt ich einen Ausbildungsplatz in der Freiburger Geschäftsstelle des damals größten deutschen Speditionsunternehmens. Die Ausbildungszeit an der Berufsakademie und vor allem die praktische Ausbildung im Unternehmen war für mich eine fantastische und in vielerlei Beziehung lebensprägende Zeit. Sie verschaffte mir signifikante Entwicklungssprünge und zum ersten Mal im Leben das Gefühl, einen wirklich nützlichen Beitrag leisten zu können. Mein Ehrgeiz und meine Leistungsbereitschaft fielen hier nicht wie in der Schule unangenehm auf, sondern wurden anerkannt und gelobt.

      Während der Ausbildungszeit durchlief ich alle Speditionsabteilungen, nationale und internationale Landverkehre, die Rollfuhr (das Abholen u. Zustellen von Sendungen per LKW), Seefracht, Luftfracht, Verkauf und Buchhaltung. Oftmals mussten bzw. durften wir für ausgefallene Sachbearbeiter einspringen. Ich genoss es, Kunden am Telefon zu bedienen. Ich genoss die Dynamik des Geschäfts. Häufig meldeten sich Kunden in Notsituationen, die um eine schnelle flexible Lösung baten. Diese Situationen erforderten Improvisation. Außerdem ließ sich mit solchen Fällen viel Geld verdienen. Einmal kam ein Schiff aus Hongkong aufgrund eines Sturms verspätet in Hamburg an. In der Ladung waren Aufkleber für die Ostersonderausgabe eines Comicheftes, das in Barcelona gedruckt wurde. Damit die Aufkleber noch rechtzeitig ankamen, übernahm ich kurzerhand selber den Transport der Aufkleber nach Barcelona.

      Ein anderes Mal musste ein Maschinenteil dringend an eine Fabrik in Angers im Loire- Tal geliefert werden, weil sonst Produktionsausfall drohte. Wieder übernahm ich kurzerhand die Fahrt, nachdem ich mit dem Kunden dafür einen exorbitanten Preis ausgehandelt hatte. Es war der profitabelste Auftrag der Geschäftsstelle in diesem Geschäftsjahr. Diesmal begleitete mich mein Bruder auf der Fahrt und wir wechselten uns während der Nacht beim Fahren des Lieferwagens ab. Zum Schlafen hatten wir im Frachtraum eine Iso-Matte neben dem Maschinenteil ausgerollt, auf der wir uns in unserem Schlafsack immer wieder für einige Stunden ausruhten. Diese Tour machte uns riesigen Spaß, sie hatte weniger mit Arbeit als mit Abenteuer zu tun.

      Es machte mir nichts aus, über den normalerweise üblichen Einsatz hinaus etwas zu leisten und mich einzubringen. Im Gegenteil, es machte mir ein gutes Gefühl. Denn genau diese Art des hohen Engagements entsprach meinem Wesen. Ich hatte Freude an der Arbeit und diese Freude wiederum steigerte meine Motivation im Studium. Gegen Ende war ich ein guter Student. Die Hausarbeiten, die ich während des Studiums anfertigte, lehrten mich mehr über schriftlichen Ausdruck und den Umgang mit der deutschen Sprache, als ich es während meiner gesamten Schulzeit gelernt hatte. Meinem Selbstbewusstsein war diese Ausbildung stark zuträglich. Und: Ich hatte nach den drei Jahren eine abgeschlossene Berufsausbildung, was sowohl für mich, aber auch für meine Eltern ein gutes Gefühl war.

      So gut mir die praktische Ausbildung während der drei Jahre auch gefallen hatte, bestand für mich kein Zweifel daran, dass die Arbeit in einer Speditionsgeschäftsstelle auf lange Sicht nichts für mich war.

      Und das hatte mehrere Gründe. Ich kam aus einem anderen sozialen Umfeld als meine Kollegen und Vorgesetzten in der Geschäftsstelle. Keiner von ihnen hatte

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