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Fesche Lola, brave Liesel. Heinrich Thies
Читать онлайн.Название Fesche Lola, brave Liesel
Год выпуска 0
isbn 9783455001624
Автор произведения Heinrich Thies
Жанр Биографии и Мемуары
Издательство Readbox publishing GmbH
Emil Jannings, der eigentliche Hauptdarsteller und Star, spürt, dass Marlene dabei ist, ihm die Schau zu stehlen. In einer Szene, in der er über sie herfällt und sie würgt, soll er so fest zugepackt haben, dass ein paar Tage lang echte blaue Flecken ihren Hals zierten, die mit reichlich Make-up verdeckt werden mussten. »Jannings hasste mich und prophezeite mir, ich würde nie im Leben Erfolg haben, wenn ich mich weiterhin den Anordnungen dieses ›wahnsinnigen‹ von Sternberg fügte«, schreibt Marlene Dietrich in ihrer Autobiographie Nehmt nur mein Leben. »Niemals würde ich es im Film zu etwas bringen.« In ihrem »besten und höflichsten Deutsch« habe sie Jannings daraufhin aufgefordert, sich zum Teufel zu scheren. Wie sehr ihr der Kollege zuwider war, drückt sich auch darin aus, dass sie von Jannings als einem »manchmal geradezu psychopathischen Hauptdarsteller« spricht, der oft bis zu zwei Stunden auf sich warten ließ, bis er sich dazu bequemte, am Drehort aufzukreuzen. Sternberg habe seine ganze Überredungskunst aufbieten müssen, um ihn zum Arbeiten zu bewegen. »Er gab ihm sogar Peitschenhiebe – auf dessen ausdrücklichen Wunsch.«
Dass Marlene den so berühmten Partner im Blauen Engel überstrahlte, hatte auch mit ihren Liedern zu tun, die der noch junge Komponist Friedrich Hollaender komponierte. Hollaender, der sich einen Namen in der Berliner Kabarettszene gemacht hatte, Revuen schrieb und Filme vertonte, probierte seine Melodien im Studio mit Marlene aus, studierte sie mit ihr ein und begleitete sie am Klavier, während sie die Hände in die Hüften stemmte, die Beine spreizte und sang: »Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison.« Oder: »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt.«
Nach der gleichen Melodie sang sie: »Falling in love again …« Denn nach der deutschen Fassung musste sie ihre Songs auch auf Englisch zum Besten geben. Die gesamten Dialoge waren in zwei Sprachen zu produzieren, was manchen auf eine harte Probe stellte. Emil Jannings soll nicht nur mit dem »th« Probleme gehabt haben.
Marlene Dietrich kam dagegen mit dem Englischen gut zurecht. Die Fremdsprache half ihr, in die von Sternberg kreierte und auf sie zugeschnittene Rolle der Femme fatale zu schlüpfen.
Die fesche Lola aus dem Nachtclub »Blauer Engel« (1930).
Und sie sollte sie weiterspielen, nachdem der Film längst abgedreht war. Sie wurde zu ihrem zweiten Ich und machte sie auch auf der anderen Seite des Atlantiks berühmt.
Schon bald nach Abschluss der Dreharbeiten erhielt sie ein Telegramm. »Würden uns freuen, Sie in die glanzvolle Reihe der Paramount-Schauspieler aufnehmen zu dürfen«, hieß es darin. »Bieten Siebenjahresvertrag mit Anfangsgage von fünfhundert Dollar die Woche.« Für die Überfahrt erster Klasse werde man sorgen. »Gratulation. Bitte kabeln Sie Ihr Einverständnis.«
Marlene zeigte sich anfangs nur mäßig erfreut. Nicht nur die niedrige Gage stieß sie ab, sondern auch der überhebliche Ton, in dem die Hollywoodfirma an sie herantrat. »Was die sich einbilden! Mir schon zu gratulieren! Die tun ja, als ob ich den Quark gar nicht ablehnen könnte.«
Im Grunde aber kam ihr das Angebot ganz gelegen. Die Ufa hatte ihr bisher keinen Folgevertrag angeboten, neue Theaterengagements waren nicht in Sicht. Außerdem bedrängte Sternberg sie, diese großartige Chance nicht vorbeiziehen zu lassen – und weitere Filme mit ihm zu machen. Denn dass er schon in den nächsten Tagen nach Amerika zurückkehren würde, stand fest. Und der Regisseur schätzte sie nicht nur als Schauspielerin. Er war auch in sie verliebt.
Marlene zögerte. Amerika war ihr nicht geheuer. Ein Land, in dem ein Schäferhund zu einem Filmstar namens »Rin Tin Tin« werden konnte! Noch schwerer ins Gewicht fiel die Sorge um ihre Tochter. Was sollte aus Maria werden? Doch ihr Mann stellte sich auf Sternbergs Seite, betonte, dass die Trennung nur vorübergehend sei, und zerstreute schließlich ihre Bedenken.
In der Nacht zum 1. April des Jahres 1930 ging Marlene Dietrich in Bremerhaven an Bord des Atlantikriesen »Bremen«. Wenige Stunden vorher war sie noch in Hermelinmantel und weißem Seidenkleid zur Galapremiere des Blauen Engels in den Gloriapalast in Berlin geeilt – begleitet von Rudi und ihrer stark erkälteten Tochter Maria. Im Publikum saßen auch Liesel und ihre Mutter.
Die Premiere wurde zu einem Triumph – aber nicht der als prominentester Darsteller und Attraktion des Films angekündigte Emil Jannings stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern die fesche Lola. »Marlene, Marlene«, riefen die Zuschauer, als sie sich nach der Vorführung mit den anderen Darstellern auf der Bühne zeigte. Wie im Rausch badete sie in einem nicht enden wollenden Beifallssturm und Blitzlichtgewitter, im Arm einen großen Strauß roter Rosen. Ein neuer Star war geboren.
In ihrem Kopf hallen noch der Applaus und die Begeisterungsrufe nach, als sie auf der »Bremen« ihre Suite bezieht. Das Doppelbett ist groß, die Schränke riesig, das Bad verfügt über eine Wanne mit vergoldeten Armaturen. Sogar ein Schminktisch steht bereit. Sie fühlt sich trotzdem unglücklich in diesem leicht schwankenden Luxuskabinett, das vom Duft der mitgebrachten Rosen erfüllt ist. Sie muss an die fiebrige Maria denken, die sie in Berlin zurückgelassen hat. An Rudi. Der wird sich jetzt wahrscheinlich noch mehr mit seinen Tauben beschäftigen, die er unterm Dach hält. Vielleicht wird er sich aber auch mit Tami trösten, dem aus Weißrussland stammenden Kindermädchen Marias, das eigentlich Tamara Nikolajewna Matul heißt. Es ist unübersehbar, dass sich da etwas anbahnt. Tami, diese gertenschlanke Grazie, die als Tänzerin nach Berlin gekommen ist, von ihren Gagen aber nicht leben kann, himmelt Rudi schon eine ganze Weile mit ihren dunkelbraunen Augen an, und es scheint, dass Rudi sie nicht zurückweist.
Marlene blickt gedankenverloren durch das Kabinenfenster auf den nächtlichen, spärlich erleuchteten Hafen. Vielleicht ist das ja sogar der Hauptgrund, warum ihr Mann ihr, ohne zu zögern, zugeraten hat, nach Amerika zu gehen. Um sturmfreie Bude zu haben. Aber natürlich hat sie kein Recht, ihm böse zu sein. Schließlich hat sie sich ja selbst so manche Freiheit herausgenommen. Trotzdem hängt sie an ihrem »Papi«. Sie vermisst ihn. Wann wird sie ihn wiedersehen? Sie vermisst auch ihre Mutter. Und Liesel, dieses unglückliche Menschenkind mit dem schrecklichen Kerl. Ihr kommen fast die Tränen, als sie daran denkt, wie Liesel ihr einst auf Schritt und Tritt gefolgt ist. Wahrscheinlich hat sie wirklich gemeint, sie müsse ihre kleine Schwester beschützen. Wie gern würde sie sie jetzt in den Arm nehmen. Und Maria auf den Schoß. Stattdessen ist sie unterwegs in ein Land, das sie ganz gewiss nicht mit offenen Armen empfangen wird.
In solche wehmütigen Gedanken mischen sich Bilder der gerade zurückliegenden Filmpremiere. Es war grandios. Aber wirklich freuen kann sie sich darüber nicht.
Da sie sowieso keinen Schlaf findet, schreibt sie Rudi ein Telegramm:
1. April 1930 3.16 Uhr
Vermisse Dich sehr Papilein Stop Bedaure Reise schon Stop Sag meinem Engel dass ich den Film nie sah und nur an sie dachte Stop Gutenachtküsse
Mutti
Am nächsten Morgen ist ihre Stimmung so trübe wie der Himmel über der Nordsee.
1. April 1930 11.48 Uhr
Guten Morgen Stop Schiff schaukelt Wetter schlecht Stürmisch Stop Bin allein mitten auf dem Ozean und könnte doch zu Hause sein Stop Küsse
Mutti
Einige Stunden später klopft es an der Kabinentür. Der Steward schlägt ehrerbietig die Hacken zusammen und überreicht ihr auf einem Silbertablett ein Telegramm aus Berlin. Eine Nachricht von ihrem Mann.
1. April 1930 13.17 Uhr
Vermiss Dich Mutti Stop Kritiker liegen Dir zu Füßen Stop Jannings lobend erwähnt Aber es ist kein Emil-Jannings-Film mehr Stop Marlene Dietrich läuft ihm den Rang ab Stop Dem Kind geht es gut Stop Küsse Dich sehnsüchtig
Papi
Es folgen weitere Telegramme aus Berlin. Die Kritiker überschlagen sich. Das Reichsfilmblatt