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macht mir Angst. Schnell steige ich vom Körper meiner Mutter ab. Der Gedanke, ich könnte noch einmal derart die Kontrolle über meine Gefühle verlieren, erschüttert mich. Das Letzte, was ich brauche, ist, ihretwegen zur Mörderin zu werden. Es wird Zeit zu gehen. Einen Tag später verlasse ich dieses zuhause.

      Ich bin noch keine achtzehn Jahre alt und obdachlos. Seit der furchtbaren Eskalation stolpere ich wie ein Zombie durch Raum und Zeit.

      Warum ich nicht mit meiner ersten großen Liebe zusammenziehe, wo er doch stets tapfer zu mir hielt und mich gegen meine böse Mutter, diese schwarze Tarantel, beschützte, verstehe ich selbst nicht. Seit einigen Wochen bin ich sexuell blockiert, was mich unter starken psychischen Druck setzt. Dass die Blockade eine posttraumatische Belastungsstörung sein könnte, ahne ich nicht im Mindesten. Ich trenne mich von meiner ersten großen Liebe, weil ich denke, die Liebe sei verglüht.

      Ich fliehe also vor Bindung. Ich bin innerlich ohne Halt. In meinem Bauch schmerzt es arg. Ich kotze viel. Ich nehme erst einmal ein Angebot einer Bekannten an, bei ihr auf dem Sofa zu schlafen, bis ich eine neue Unterkunft finde. Inzwischen bin ich im dritten Jahr meiner Berufsausbildung, die abermals schulischer Natur ist. Ich brauche Geld. Deshalb nehme ich einen Nebenjob als Bedienung in einem Szenecafé an. Unmittelbar darauf bricht Beziehungsanarchie aus.

      Und es geschieht so, wie meine Mutter es wollte. Ich lasse mich von vielen jungen Männern ausführen. Es ist ganz einfach, denn sie laufen mir nach. Ich bin oft am Wochenende in einem Klub, wo ich mir stundenlang die Seele aus dem Leib tanze. Deshalb kommen die Jungs zu mir auf die Tanzfläche, um mir dort einen Drink zu überreichen.

      Eines Abends wird der 38-jährige Klubbesitzer auf mich aufmerksam. In meiner hoffnungslosen Lage, immer noch ohne festen Wohnsitz, wirkt sein Interesse an mir 18-jährigen schmeichelhaft. Ich beginne mit ihm einen Flirt. Fast täglich holt er mich mit seinem weißen Porsche ab, zeigt er mir die besten Lokale.

      „Wohne bei mir in der Villa. Ich hab genug Platz“, schlägt er bald vor. „Außerdem kannst du bei mir gutes Geld verdienen. Im Café suche ich eine Servicekraft.“

      Sein Angebot sollte mich freuen, doch etwas macht mich misstrauisch. Inzwischen zeigt der 38-jährige Klubbesitzer selbstbewusst, was er von mir erwartet. Er verkündet mir seine ersten Bedingungen, als hätte er Rechte an mir. So soll ich ihm jeden Morgen Kaffee ans Bett bringen. Auch sei ich in Zukunft für die Küche verantwortlich. Flashback. Sein dominanter Charakter stürzt mich unbewusst in einen Konflikt. Etwas in mir verschließt sich. Es wird jedoch Jahre dauern, bis ich verstehe wieso: All diese Männerfantasien über die Rollen einer Frau, bevorzugt sexy Putzfrauen, Köchinnen oder Krankenschwestern, die sich, nach abgeleisteter Arbeit versteht sich, in willenlose Sexsklavinnen verwandeln; all das, überführt mich ins Re-Trauma.

      Hinzu kommt, dass mein älterer Freund sich selten für meine Bedürfnisse interessiert. Es wird so gemacht, wie er es will. Letzteres durchschaue ich schneller, trotz meiner Jugend. Sein Reichtum, seine Villa, sein Porsche, sein Klub und sein Szenecafé, all das wäre für mich zu einem goldenen Käfig geworden. Ich sollte sein Panther sein, den er gefangen hält, damit er ihn für sich allein haben und ganz nach seinen Vorstellungen abrichten kann. Ich verzichte und wähle beherzt meine Freiheit, obwohl ich da draußen, in der großen weiten Welt, keinen Halt finde. Einen festen Boden unter den Füßen zu haben, täte mir gut. Ich weiß gar nicht, wie sich das anfühlt. Bisher war mein Leben ein einziges Erdbeben.

      Da kommt mir das Angebot für einen Unterschlupf bei meiner zweiten besten Freundin und ihrer Mutter wie gerufen. Bei ihnen fühle ich mich sicher. Allerdings möchte ich mich nicht allzu lange einnisten. Inzwischen plagen mich große Schuldund Schamgefühle, ständig auf Almosen anderer angewiesen zu sein, und keine Rückendeckung durch die eigene Familie zu haben.

      Darum arbeite ich weiterhin bis spät in die Nacht als Servicekraft. Dieses Mal ist es eine andere Szene-Bar. Ich bin zwar völlig erschöpft von Schule und Job, doch ich brauche dieses Gefühl der Unabhängigkeit. Ich will niemandem etwas schulden. Darum zahle ich der Mutter freiwillig Geld für Essen sowie den Mehrverbrauch an Strom und Wasser.

      Ich bin in einem anderen Tanzklub, als ich meiner zweiten großen Liebe begegne. Er ist ein schöner, hochgewachsener, junger Mann mit dunklen Locken, der Erstgeborene einer jüdischen Familie und sechsundzwanzig Jahre alt. Ein bisschen fühle ich mich wie Schneewittchen, das vom Prinzen aus dem Koma wachgeküsst wird. Seine Mutter, die ich im Folgenden Alma Mater nenne, schließt mich sofort in ihr Herz. Mal ist sie mir eine Ersatzmama, mal eine beste Freundin. Mit ihr teile ich oft meine Freizeit. Um mein Wohl besorgt äußert sie sich öfters über meine Wohnsituation, die nach wie vor chaotisch ist.

      „Es ist nicht gut, dass du ohne Familie bist. Du musst eine Familie haben“, legt sie mir permanent ans Herz. Als könne ich etwas an meiner Ursprungsfamilie ändern.

      Tatsächlich erwartet sie von mir, über eine Aussöhnung nachzudenken, mit beiden Eltern. Noch weiß sie nichts von den schrecklichen Dingen, die mir sowohl der Vater als auch die Mutter angetan haben. Insbesondere der Rückweg zur Mutter ist seit der Eskalation für mich unmöglich geworden.

      Die einzige Option ist mein Vater. Sogar die Mutter meiner zweiten besten Freundin hält dies für eine gute Idee. Auch sie ahnt nichts vom Missbrauch. So etwas entzieht sich ihrer Vorstellungskraft.

      „Und beantrage elternunabhängiges BAföG, falls du weiter studierst. Du kannst nicht jede Nacht arbeiten. Du bist erst achtzehn!“, legt sie mir zusätzlich ans Herz.

      Ich gerate sowohl emotional als auch finanziell unter Druck. Ich muss mein Leben in Ordnung bringen, aber vor allem meine Berufsausbildung sicher stellen. Und so mache ich den Gang nach Canossa. Notgedrungen kontaktiere ich meinen Vater wegen meiner Wohnsituation, obwohl es sich wie Selbstverrat anfühlt.

      „Ein knappes Jahr. Dann bist du mit der Schule fertig. Das stehst du durch“, beschwichtige ich mich selbst.

      Gott sei Dank, bin ich nicht mehr das kleine Mädchen, das ich einmal war. Ich bin achtzehn. Inzwischen viel erwachsener geworden handele ich mit meinem Vater einen Deal aus. Ich wohne solange bei ihm, bis die Ausbildung abgeschlossen ist. Dafür will er das Kindergeld einbehalten, versteht es als meinen Beitrag zu Kost und Logis. Ich frage ihn, wovon ich das Schulmaterial, meine Kleidung und die öffentlichen Verkehrsmittel bezahlen soll. Da gesteht er mir wenigstens ein kleines Taschengeld zu.

      Natürlich reichen die Mittel hinten und vorne nicht. Als mir Alma Mater vorschlägt, bei ihren wohlhabenden Freundinnen gelegentlich zu putzen, sage ich notgedrungen zu. Auch soll ich ihr mit dem Bügeln helfen, wofür sie mir einen guten Stundenlohn zahlen würde. Auch das mache ich.

      Zuhause beim Vater tue ich alles, um ihn nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Ich trage weite Kleidungsstücke, um meine Kurven zu verhüllen. Ich schließe mich während der Körperwäsche im Bad ein und verhänge das Schlüsselloch mit einem Tuch. Ich verzichte auf Körperkontakt, auf Umarmung und erst recht auf einen Kuss, selbst zur Begrüßung oder zum Abschied.

      Die Schichtarbeit meines Vaters kommt mir in meinen Abgrenzungsbemühungen sehr entgegen. Da er oft Nachtdienste einlegt, deshalb tagsüber viel schläft, beschränken sich unsere Begegnungen auf ein Minimum. Ansonsten achte ich darauf, dass seine Lebensgefährtin im Raum ist, so oft es möglich ist.

      In diesem Lebensabschnitt kehrt zwar etwas Ordnung zurück. Ich gehe regelmäßig in die Berufsschule, habe vorläufig Unterschlupf. Es gibt Essen auf dem Tisch und Zeit für Aktivitäten mit meinem Freund oder mit Alma Mater. Trotzdem muss ich für Kleidung, Schulbildung und einem Dach über dem Kopf putzen gehen. Ich putze beim Vater, weil er denkt, dies sei ich ihm als Kompensation für die Miete schuldig. Ich putze die Wohnungen reicher Ehefrauen, um mein geringes Taschengeld aufzubessern, das mit Ach und Krach die Kosten für öffentliche Verkehrsmittel sowie Schulmaterial abdeckt. Und zu guter Letzt putze ich nach ergonomischen Regeln sämtliche Räume der Berufsschule, wie Lernküche und Vorratskammer durch, weil das zur Berufsausbildung gehört. Mir fällt auf, das mein Leben von Putzen bestimmt ist, denn ich musste diese Aufgabe auch bei meiner Mutter verrichten.

      Als könnte sich das schmutzige Gefühl, das sich in mir manifestiert hat, je durch

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