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ich fühlte mich in diesem Augenblick absolut hilflos und ausgeliefert. Ich kann diesen Machtmissbrauch eines schlechten Pädagogen bis heute nicht vergessen. Er demonstrierte auf primitive Weise seine Macht und offenbarte seine allseitige Bereitschaft, sie gegenüber Schülern zu missbrauchen, die keine Chance hatten, sich zu wehren. Er hat mir sehr früh vermittelt, Macht und Hierarchien zu misstrauen.

      Durch diese beiden Fälle von Machtmissbrauch – der in der Schule erlittene, dem ich hilflos ausgeliefert war, und der von Finanzbeamten, den ich abwehren konnte – gewann ich die Erkenntnis, dass die einzige infrage kommende Möglichkeit, mich gegen einen behördlichen Machtmissbrauch zu wehren, nur darin bestehen kann, selbst Macht zu haben, und zwar Macht durch Wissen. Die zu Beginn meines betriebswirtschaftlichen Studiums fehlende Motivation war nun plötzlich vorhanden. Kein Finanzbeamter sollte künftig in Fällen, zu denen ich zugezogen wurde, noch eine Chance haben, offenkundig rechtswidrige Verwaltungsakte durchzusetzen. Ich wollte mir künftig bei einem Streit mit einer Finanzbehörde selbst helfen können und nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein. Diese Erfahrungen waren das Schlüsselerlebnis für meinen künftigen Beruf als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer.

       2. Kleiner Einblick in das Innenleben eines Finanzamts

      Schon während meines Studiums entschloss ich mich, meine ersten Berufserfahrungen bei der Finanzverwaltung zu sammeln. Ich wollte meinen künftigen Gegner näher kennenlernen, herausfinden wie das Innenleben einer Behörde abläuft und insbesondere einen Einblick in die Arbeitsweise der Betriebsprüfer gewinnen. Dafür musste ich allerdings ein Opfer bringen: Die Bezahlung war für Angestellte im öffentlichen Dienst damals schlechter als in der freien Wirtschaft, in der man als Berufsanfänger dreimal so viel verdiente; mit einem Hochschulabschluss als Diplomkaufmann konnte man bei der Finanzverwaltung keine Karriere machen, eine Übernahme in das Beamtenverhältnis war ausgeschlossen.

      Ich bewarb mich bei der Oberfinanzdirektion Freiburg für die Laufbahn eines Betriebsprüfers und hatte vor, drei bis fünf Jahre zu bleiben, dies musste ich aber beim Vorstellungsgespräch verheimlichen, denn die Finanzverwaltung hatte damals mit Diplomkaufleuten und Diplomvolkswirten schlechte Erfahrungen gemacht: Kaum hatten sie als Betriebsprüfer begonnen, wurden sie auch schon von den geprüften Großbetrieben abgeworben. Aus diesem Grund gab es einen Einstellungsstopp für Akademiker, die keine Juristen waren. Ich fühlte mich beim Vorstellungsgespräch also als eine Art Undercoveragent, auch wenn der Ausdruck nicht so richtig zutrifft.

      Ich hatte Glück und bekam einen Arbeitsvertrag. Mein Einsatzort war bei einem Finanzamt in Südbaden. Dort war die Betriebsprüfung für mehrere Finanzämter zu einer Großbetriebsprüfungsstelle zusammengezogen. Zuerst wurde ich im Innendienst jeweils zwei Monate in den Bezirken Einkommensteuer, Besteuerung der Personengesellschaften und Besteuerung der Kapitalgesellschaften eingesetzt. Danach besuchte ich einen einmonatigen Lehrgang für Betriebsprüfer, der mit einer schriftlichen und mündlichen Prüfung abschloss. Anschließend war ich dreieinhalb Jahre als Betriebsprüfer tätig.

      Was ich während meiner Tätigkeit bei der Finanzverwaltung erlebte, ist mir in der Privatwirtschaft auch in ähnlicher Form nicht begegnet. Es waren Ereignisse, die in staatlichen bürokratischen Systemen wohl typisch sind. Um die Stimmung in meinem neuen Umfeld zu illustrieren, stelle ich hier einige Episoden vor:

      An meinem ersten Arbeitstag wurde ich dem Vorsteher und den leitenden Beamten vorgestellt. Bereits am zweiten Tag fiel ich unangenehm auf: Ich begegnete auf dem Flur dem Vorsteher des Finanzamts und grüßte ihn mit seinem Namen. Kaum war ich in mein Zimmer zurückgekehrt, klingelte das Telefon, ich möge sofort zum Vorsteher kommen. Er erklärte mir, dass er mit Herr Regierungsdirektor angesprochen werden wollte. Das ging mir aber nicht über die Lippen, ich grüßte künftig nur noch mit einem »Guten Morgen« oder »Guten Tag«.

      Warum will jemand nicht mit seinem Namen, sondern mit einer Amtsbezeichnung angesprochen werden? Der Gruß »Guten Morgen Herr Regierungsdirektor« offenbart autoritäres Gehabe, das nichts mit Autorität zu tun hat. Der Philosoph Karl Jaspers setzte sich nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus für eine konsequente Abkehr des viel zu lange währenden obrigkeitsstaatlichen Denkens ein, von dem heute noch mächtige Gesinnungen geblieben sind. Er sah die Gefahr, dass die Demokratie sich über den autoritären Staat (einschließlich Beamtenschaft) hin zu einer Diktatur entwickeln könnte.19 In der untergegangenen Diktatur galt es nach der Rechtsprechung des Reichsdisziplinarhofs beispielsweise als schweres Dienstvergehen, das die Entlassung aus dem Staatsdienst nach sich ziehen musste, wenn ein Beamter den deutschen Gruß nicht in der vorgeschriebenen und von jedem Beamten zu beachtenden Form erwiesen hatte, denn das Bekenntnis zum Führer, das sich im deutschen Gruß offenbarte, gehörte zu den vornehmsten Pflichten eines Beamten.

      Diese Absurdität war nun zwar glücklicherweise vorbei, aber autoritäres Gebaren ist nicht so leicht auszurotten. Für das Verlangen des Vorstehers des Finanzamts gab und gibt es keine Rechtsgrundlage. Es hat auch nichts mit einer Höflichkeitsformel zu tun. Ein Mensch, der sich hinter einer Amtsbezeichnung verstecken muss, besitzt keine persönliche Autorität. Sie entsteht auch nicht durch Anweisungen mit Befehlscharakter. Persönliche Autorität hat etwas mit positiven Gefühlen und persönlicher Wertschätzung gegenüber dem Vorgesetzten zu tun. Nicht Zwang oder Überredung schaffen Autorität, sondern nur Respekt vor der Person. Ihr gefährlichster Gegner ist Verachtung und am sichersten wird sie unterminiert durch das Lachen.20 Wer von einer Person, die ein Amt innehat, keinen Respekt hat, kann in diesem Augenblick auch vor dem Amt selbst keinen Respekt haben.

      Ich hatte aus Unkenntnis über die hierarchischen Gepflogenheiten die meiner Stellung gemäße untertänige Haltung nicht eingenommen. Der Versuch des Vorstehers, aus mir einen disziplinierten Bürokraten zu machen, war jedoch vergebens. Ich merkte wohl, dass ich zu einem willfährigen und kritiklosen Beamten nicht taugte.

      Am Ende des Betriebsprüferlehrgangs führte der Ausbildungsleiter mit mir ein Gespräch und sagte: »Leute wie Sie bleiben nicht lange bei der Finanzverwaltung. Bleiben Sie wenigstens vier Jahre, damit der ganze Aufwand sich auch für uns rechnet. Ich werde dafür sorgen, dass Sie sofort, wenn Sie beim Finanzamt anfangen, in die nächste höhere Gehaltsstufe aufrücken. Normalerweise muss allerdings eine Wartefrist von sechs Monaten eingehalten werden, deshalb wird der Personalrat des Finanzamts wahrscheinlich nicht einverstanden sein. Sollten Sie Schwierigkeiten haben, rufen Sie mich an. Ich sorge dann dafür, dass Sie die Gehaltserhöhung bekommen.«

      Am ersten Tag nach Beendigung des Lehrgangs wurde ich zum Vorsteher des Finanzamts gerufen. Der Personalrat war versammelt. Die von der Aufsichtsbehörde vorgeschlagene Gehaltserhöhung wurde abgelehnt. Ich rief daraufhin den Ausbildungsleiter an. Er setzte die Gehaltserhöhung durch. Anschließend wurde ich längere Zeit von den Herren, die dagegen waren, nach heutigem Sprachgebrauch gemobbt. Bei der Gehaltserhöhung ging es übrigens um keinen hohen Betrag – brutto waren es monatlich 45,- DM.

      Eine meiner ersten Prüfungen war ein kleines EDEKA-Lebensmittelgeschäft, das in einer Kleinstadt betrieben wurde. Mit der Bahn fuhr ich hin. Der Steuerpflichtige, ein Kriegsversehrter mit einer Beinprothese, erklärte einen Gewinn, der für eine vierköpfige Familie – ein Ehepaar mit zwei schulpflichtigen Kindern – kaum zum Leben reichte. Ich hatte den ausdrücklichen Auftrag, auch etwaige Sparbücher einzusehen.

      Das Geschäft und die Wohnung befanden sich im selben Haus. Es gab kein Arbeitszimmer. Der Steuerpflichtige führte mich in das Wohnzimmer und wies mir einen Platz am Wohnzimmertisch zu. Während der Prüfung bat ich um Vorlage der Sparbücher. Bei dem Wort Sparbücher drehte der Steuerpflichtige durch. Er brüllte, schimpfte über den Staat, hob die Krücke und wollte auf mich einschlagen. Ich rannte um den Wohnzimmertisch, drehte mehrere Runden, und er humpelte hinter mir her. Nach jeder Runde sammelte ich einige Unterlagen, die auf dem Tisch lagen ein und als ich schließlich alle in der Hand hatte, schnappte ich meine Aktentasche und flitzte zur Tür hinaus in Richtung Bahnhof. Er schrie mir noch einige Verwünschungen hinterher.

      Am nächsten Tag, ging ich zu meinem Vorgesetzten und unterrichtete ihn über diesen Vorfall. Er hatte wohl selbst einschlägige Erfahrungen dieser Art und war nicht besonders erstaunt. Er ordnete das persönliche Erscheinen des Steuerpflichtigen an.

      Der

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