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als aggressiv, waren es aber nicht untereinander. Nur wenn sich jemand von außerhalb einmischen wollte, musste er sich auf was gefasst machen. Da schlugen gewisse Jungs schon mal zu und verteidigten ihr Revier. Ich selbst hielt mich in solchen Situationen lieber zurück oder versuchte, die Streitereien zu schlichten.

      Klaus, einer meiner Freunde, den ich am längsten kenne (wir trafen uns nach längerer Pause an einer anderen Grundschule wieder), kann sicher ein Lied davon singen. Dabei fällt mir zu unserer Kindheit eine harmlose Episode ein. Ich lebte damals noch bei meiner Mutter, und sie schickte uns gemeinsam los, um beim Metzger, etwa fünf-hundert Meter entfernt, Leberwurst zu kaufen. Auf dem Weg dorthin verhielten wir uns ziemlich albern, sodass wir den eigentlichen Auftrag völlig vergaßen. Als wir von der Verkäuferin gefragt wurden, was es denn sein dürfe, stotterten wir herum. Weil uns nichts mehr einfiel, trotte-ten wir wieder davon und fragten bei meiner Mutter noch einmal nach. Das ging so dreimal hin und her, bis Mutter uns – sichtlich genervt – das Wort Leberwurst aufschrieb. Wir legten den Zettel beim Metzger vor und dann klappte es endlich mit dem Einkauf.

      Rebell auf ganzer Linie

      In der Grundschule waren meine Noten wegen der zahlreichen Umzüge und Schulwechsel eine einzige Katastrophe, und ich musste jedes Mal um meine Versetzung bangen. Trotz der widrigen Umstände schaffte ich es in die Hauptschule. Und gerade dann wurde meiner Oma für sich und ihre Familie vom Sozialamt eine komfortablere Sozialwohnung zugewiesen. Eigentlich super, doch leider zwei Kilometer von unserem ursprünglichen Bezirk entfernt.

      Für mich bedeutete das eine sehr, sehr schlechte Nachricht, denn den Bezirk zu wechseln hieß zwangsläufig, eine andere Schule zu besuchen. Aber was sage ich, ein erneuter Wechsel wäre einem Weltuntergang gleichgekommen, wo ich doch endlich Freunde gefunden hatte, von denen ich mich keinesfalls trennen wollte.

      Zum Glück erkannte eine Lehrerin den vermeintlichen Weltuntergang und setzte sich für mich ein: „Der Junge würde jetzt zum sechsten Mal die Schule wechseln, das können wir ihm nicht zumuten!“ Ich bekam eine Ausnahmegenehmigung und durfte bleiben.

      Ich war mittlerweile zwölf Jahre alt und ging in die sechste Klasse. An meinem grundsätzlichen Desinteresse an allem, was Schule betraf, hatte sich trotz der guten Nachricht nichts geändert. Ich besaß keinerlei Ehrgeiz, die Noten waren mir egal, und wenn die Lehrer wie bekloppt auf mich einredeten, schaltete ich auf Durchzug.

      Kurz vor der Versetzung in die siebte Klasse gab es gewisse Umstrukturierungen, mit dem für mich positiven Ergebnis, dass ich beim Hauptkern der Schüler bleiben durfte. Ich schien eine Glücksphase erwischt zu haben, denn es sollte so weitergehen. Wir bekamen einen neuen Lehrer!

      Ganz klar, die Tatsache, dass uns Herr K., ein sportlich dynamischer und noch relativ junger Mann, ab sofort unterrichtete, hätte auch schiefgehen können. Man sieht einem Menschen ja nicht gleich an, ob er gute Nerven hat und in der Lage ist, mit einer Horde „hoffnungsloser Fälle“, wie wir es immer wieder zu hören bekamen, umzugehen. An der Inflation schlechter Noten war schon so mancher gescheitert. Und nicht jeder hatte den Nerv, ohne Tobsuchtsanfall und Schlüsselbundwerfen eine doppelte Schulstunde durchzustehen.

      Herr K. ließ sich nicht provozieren. Er begegnete uns … nein, nicht auf Augenhöhe, doch er versetzte sich in unser Sozialgefüge und drückte mit seiner Körpersprache aus: Ich bin einer von euch! Er war ein cooler Typ, der unsere Sprache sprach, zuhören konnte und es verstand, an unsere Ehre zu appellieren, anstatt zu maßregeln. Er gab uns die Richtung vor.

      Ich schreibe das aus heutiger Sicht, denn damals provozierte ich ihn zunächst genauso wie die zahlreichen Lehrer zuvor – dreist, anmaßend und mit absolutem Selbstverständnis.

      So kam es, dass er mir zweimal eine knallte. Es sprach für ihn, dass ich mich anschließend bei ihm für meine Provokation entschuldigte. Er hatte ja gar nicht anders gekonnt, als gegen mich Hand anzulegen. Das zu erkennen, so weit hatte mich seine soziale Kompetenz, die er uns immer wieder versuchte in Diskussionen zu vermitteln, längst gebracht.

      Ich nahm vieles an, was er vorschlug und uns beibrachte. Vor allem begann ich, mich zu Hause hinzusetzen und die Schulbücher nicht nur lustlos durchzublättern, sondern darin zu lesen. Ach, was sage ich. Ich meldete mich in der Stadtbücherei an und lieh mir Bücher aus. Es gefiel mir plötzlich, in den Schriften Worte zu entdecken, die ich vorher noch nie gehört hatte. Wenn ich dann noch den Sachverhalt begriff und im Schulunterricht Fragen richtig beantworten konnte, war ich stolz auf mich. Das feuerte meine Lernfreude an. Plötzlich fand ich es cool, meine Noten zu verbessern. In vielen Fächern arbeitete ich mich von einer Fünf langsam nach oben und war erst zufrieden, wenn eine Eins im Zeugnis stand. Deutsch schien allerdings immer noch ein Problemfach zu sein, mit der Rechtschreibung tat ich mich schwer – und schließlich meine Schrift. Nicht gerade selten stand unter einem Aufsatz: Thema erfasst = Eins, Schrift = Sechs. Der Notendurschnitt lag dann bei Drei. Im Englischen lief es ähnlich. Das Versäumte konnte ich einfach nicht mehr aufholen. In Mathe, meinem mittlerweile Lieblingsfach, in Geschichte, Physik, Biologie … stand ich bald durchweg auf Eins. Was meine Oma dazu sagte? „Tja, ich hab ja immer gesagt, aus dem Jungen wird was!“ Und in Gedanken fügte sie wohl an: Weil er bei mir lebt. Dabei rollte sie das R und sprach das T wie ein D aus.

      Meine Mutter schob meine positive Entwicklung den „guten Genen“ zu. Eine freundliche Formulierung, wenn auch der Notendurchschnitt meiner Schwester dagegensprach. War demnach nur ich von den günstigen Erbfaktoren betroffen?

      Heute kann ich sagen, dass die Gene keinerlei Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes haben, was Studien belegen. Vielmehr spielen alle erdenklichen Einflüsse und Erfahrungen eine Rolle. Meine Mutter fand zudem, dass es ihre „gute Erziehung“ gewesen sei.

      Ich lass dass mal so stehen, denn die Aussage widerlegt sich von selbst. Zu dem Zeitpunkt, als es auf „Erziehung“ angekommen wäre, pflegten wir kaum noch Kontakt. Eigentlich war die Verbindung komplett abgebrochen. Das hatte vielerlei Gründe und lag vielleicht auch an ihrer schwierigen Lebenssituation. Unter anderem hatte sie – mit siebenundzwanzig Jahren noch jung und mit Lust auf ein eigenes Leben – meinen schwerkranken Bruder zu pflegen.

      Einmal, im Sommer, waren wir verabredet, um gemeinsam in die Stadt zu gehen: Eis essen, die Sonne genießen, durch Geschäfte bummeln. Ich saß am Küchentisch, wartete und wartete. So eine klassische Situation halt. Onkel Oliver, der mir gegenüber in einer Zeitschrift blätterte, schaute mitleidig zu mir hin. „Ach komm, wir geh’n ins Freibad. Deine Mutter kommt sowieso ned.“

      Ich sah ihn giftig an. „Wieso soll die ned kommen? Natürlich kommt die!“ Doch sie kam nicht. Ich reagierte enttäuscht, fühlte mich verletzt und verstand die Welt nicht mehr.

      Sollte meine Mutter diesen Abschnitt irgendwann lesen, wird sie sich bestimmt aufregen, weil sie viel lieber an die Highlights in unserem Leben denkt. Sie wird mich tadeln und daran erinnern, dass ich zum Beispiel ein Fahrrad von ihrem neuen Freund geschenkt bekam (vielleicht war das Fahrrad auch von ihr, ich weiß es nicht mehr genau). Das rote BMX 2000 – damals unter Jugendlichen der Hit – war wirklich klasse, und ich habe mich riesig darüber gefreut. Trotzdem hätte ich jenen Sommertag viel lieber gemeinsam mit meiner Mutter verbracht.

      Schon möglich, dass die Distanz, die ich anschließend zu ihr aufbaute, ein Schutzwall war. Denn als meine Oma zur Kur musste und dem kranken Opa nicht zugetraut wurde, sich um mich zu kümmern, sollte ich die Zeit bei meiner Mutter verbringen. Das wollte ich aber nicht und setzte durch, beim Opa bleiben zu dürfen. Da es sowieso kaum Regeln für mich gab, lief es gut mit uns. Ja, der Opa machte das super. Und die Oma sah ich längst als meine Mutter an, auch wenn sie nicht so recht glauben wollte, dass meine schulischen Leistungen mit der Motivation eines bestimmten Lehrers zu tun hatte und weniger mit der Tatsache, dass ich unter ihrer Obhut stand. Ich greife jetzt vor, denn ich würde die Hauptschule in allen Fächern mit Eins abschließen, Deutsch und Englisch ausgenommen. Da kam ich von der Drei einfach nicht runter.

      Ich weiß jetzt nicht, wie ich fließend den Übergang zum Fußballspielen schaffe, denn ich spielte seit meinem siebten Lebensjahr in einem – meiner Meinung nach und zum damaligen Zeitpunkt – ziemlich „elitären“ Verein. Den hatte ich mir nicht ausgesucht, der lag von zwei Fußballklubs, die infrage

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