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ab und zu sogar abgerissene Satzfetzen. Und bald darauf tauchte die Ruine eines Tempels vor ihr auf – von dort kamen die Stimmen ... und bald waren auch ein paar flackernde Lichter zu erkennen.

      Vorsichtig schlich Riyala näher an das halb verfallene Gebäude heran, von dessen Kuppel nur noch traurige Reste standen.

      Ja, hinter diesen Mauern hatten sich offenbar ein Dutzend oder mehr Dorfbewohner versammelt – aber weshalb? Neugierig umkreiste Riyala die Tempelruine, bis sie schließlich einen Riss im Mauerwerk fand, durch den sie hindurchspähen konnte. Vom Eingang mit seinem schief in den Angeln hängenden Holztor hatte sie sich lieber ferngehalten.

      Das, was sie sah, war zunächst nicht besonders beeindruckend, sondern eher enttäuschend: schmutzige, abgerissene und hohlwangige Dörfler hockten auf den Dielen, gestikulierten müde und sprachen miteinander: manchmal lauter, manchmal leiser. Riyala hatte sich etwas Aufregenderes gewünscht und wollte sich schon mit einem leisen Seufzer zurückziehen, als etwas geschah, was ihren Blick auf der Stelle fesselte:

      Ein junger Bursche mit kühner Hakennase, flammenden schwarzen Augen und tief gebräunter Haut sprang plötzlich auf den einfachen Holztisch im Altarbereich des Tempelraumes. In einer Hand hielt er eine kleine Trommel.

      Was Riyala jedoch am meisten faszinierte, war die Tatsache, dass dieser Junge sein rotbraun-schwarzes Haar unbedeckt trug. Es war schulterlang und dicht und flatterte bei jeder Bewegung, die er machte. Jetzt strich er es sich schwungvoll aus der Stirn.

      „ Meine Freunde, Brüder und Schwestern!“, rief er. „Lasst uns nicht länger hier herumhocken wie erloschene Kerzen, sondern Lasst uns Mut fassen und überlegen, was wir tun können! Die Zeit ist reif, um endlich eine Entscheidung zu fällen!“

      Es war beinahe so, als schwinge Zauberkraft in seiner Stimme mit, denn die bislang lethargisch wirkenden Dörfler richteten sich allesamt auf.

       Als ob ein Funke überspringt, dachte die heimliche Zuschauerin an ihrer Mauerspalte.

      Dann jedoch sagte ein alter Mann: „Schön gesprochen, Nigel – aber sagst du uns auch, was genau wir tun sollen, junger Hitzkopf? Wir sind halb verhungert. Es bleibt uns kaum die Kraft, die alltäglichen Geschäfte zu besorgen. Die kleinsten Dinge fallen uns schwer ...“

      „ Eben deshalb, Gratan, müssen wir diese Reste an Kraft sinnvoller einsetzen!“, entgegnete der junge Mann, der also den Namen Nigel trug. „Nicht für die ‚kleinsten Dinge‘, sondern für die Befreiung, die Rettung! Und wir werden sehen, dass viel mehr in uns steckt, als wir ahnten.“

      Er blickte mit seinen feurigen Augen in die Runde und konzentrierte sich dann wieder auf den alten Gratan.

      „ Ich mag jung sein, aber du brauchst mir gewiss nicht zu erklären, wie schlecht es um uns steht! Unsere Familien siechen dahin – in meiner Hütte liegt meine Mutter, gealtert vor ihrer Zeit, zu schwach, um sich von ihrem Lager zu erheben. Und meinen drei Schwestern geht es nicht viel besser. – Ich sage euch: Ich ertrage das nicht länger! Und tief in eurem Innern wisst ihr auch, dass wir diesen Zustand nicht länger hinnehmen können! Wir wissen es alle!“

      Bei diesen leidenschaftlich hervorgestoßenen Worten klopfte Nigel sich mit der Faust gegen die Brust, und seine schlanke, aber kräftige Gestalt straffte sich noch mehr.

      Riyala konnte ihren Blick nicht von ihm lösen. Sie war vollkommen fasziniert.

      „ Ja, er hat ganz recht!“, krächzte die Stimme eines vielleicht fünfzigjährigen Bauern, dessen Hände den Griff einer schartigen Sense umklammerten. Er stieß sein Werkzeug heftig gegen den Boden.

      „ Wir müssen uns endlich wehren!“, schrillte eine hagere Frau mit wirrem salzfarbigem Haar. Sie hielt einen leeren Kochtopf zwischen den Fingern und begann nun, mit einem Löffel rhythmisch dagegen zu schlagen.

      Die anderen Dörfler fielen in den Lärm ein mit allem, was sie an kümmerlichem Gerät bei sich hatten; manche klapperten auch nur ohrenbetäubend mit ihren Holzpantinen.

      Bis Nigel die Arme hob. Es wurde wieder ruhiger.

      Als er abermals zu sprechen anfing, lief es Riyala heiß und kalt über den Rücken, ihr Herz begann zu klopfen; Furcht und Empörung schnürten ihr die Kehle zu. Der Bursche rief ja zum offenen Aufruhr auf!

      „ Co-Lha hat uns im Stich gelassen!“, rief der junge Bauernsohn mit seiner klangvollen Stimme. „Die Matriarchin und ihr Heros verschanzen sich im Inneren der Stadt und scheren sich nicht darum, ob wir verrecken! Wir sind ihnen egal! Und in Co-Lha gibt es alles, was wir brauchen – warum also gehen wir nicht dorthin und holen es uns?“

      Zustimmendes Gebrüll aus vielen Kehlen antwortete ihm. Nigel griff nach seiner Trommel und entlockte dem Instrument dunkle, dröhnende Töne, die unmittelbar ins Blut gingen.

      Wie erstarrt stand Riyala da, klebte förmlich an ihrer Mauerspalte. Sie war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Hals über Kopf davonzurennen und dem heftigen Verlangen, weiterhin dem Trommelschlag zu lauschen und den jungen Nigel mit ihren Blicken zu verschlingen.

      Die Dörfler im Inneren der Tempelruine nahmen den Rhythmus auf, den der Trommler vorgab ... und mit all ihren Geräten und Gegenständen erzeugten sie nun keinen dissonanten Lärm mehr, sondern eine wilde, primitive und erregende Musik, die zu Taten und Abenteuern rief ... Und alle, halbverhungert und zerlumpt, wie sie waren, begannen zu tanzen.

      Als Tanz und Klänge ihren ekstatischen Höhepunkt erreichten, gelang es Riyala, sich loszureißen. Hastig stolperte sie fort vom Ort des Geschehens, fiel mehrmals über die Falten ihres langen, bunten Gewandes, raffte sich wieder auf und rannte weiter, wieder ins Dorf hinein.

      In einer schmutzigen, engen Gasse blieb sie erschöpft stehen. Das Herz hämmerte in ihrer Brust, und sie strich sich ein paar schweißnasse Haarsträhnen aus der Stirn. Heftiges Seitenstechen zwang sie dazu, vornübergebeugt stehenzubleiben, eine Hand gegen die Rippen, die andere auf einen Oberschenkel gestützt.

      Was sollte sie jetzt tun? Zu ihrem alten „Zaubertrick“ greifen und das Ganze verdrängen? – Doch für sie bestand kein Zweifel daran, dass dieser Nigel jedes seiner Worte bitterernst gemeint hatte und einen Sturm auf Co-Lha plante. Sie, Riyala, war in dieser Nacht sozusagen zur Spionin wider Willen geworden, und wer wusste, wie viele Anhänger der junge Feuerkopf schon besaß und wie viele er noch sammeln mochte?

      War es nicht ihre Pflicht, augenblicklich in die Stadt zurückzukehren und ihre Eltern zu warnen? Wenn dieser Aufstand im Keim erstickt und Nigel in den Kerker geworfen wurde, war alles gut. Man würde ihr dann zweifellos auch ihren kleinen „Ausflug“ verzeihen, ja sie sogar belohnen, weil sie Co-Lha gerettet hätte ...

      Nachdenklich lehnte Riyala sich an einen windschiefen Holzpfosten. Gedanken, Pläne und Ideen flatterten wie verrückte Vögel durch ihr Hirn. Störenderweise schob sich immer wieder das Bild Nigels mit seinem offenen Haar und den wild leuchtenden Augen dazwischen, so dass sie nicht einen einzigen dieser Gedanken klar zu fassen bekam.

      Musste sie sich denn überhaupt sofort entscheiden?

       Der Mond sank bereits, und sein glänzender Schein begann sich zu trüben. Nur noch spärlich sickerte sein Licht in die verdreckte Gasse, die nach Dung und Urin stank.

      Plötzlich nahm Riyala aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr – und noch ehe sie schreien oder sonstwie reagieren konnte, sprang eine schattenhafte Gestalt von hinten auf sie zu und packte sie. Eine schmierige Hand hielt ihr den Mund zu, so dass ihre Lippen gegen die Zähne gedrückt wurden. Dürre, aber harte Finger bohrten sich in ihren Oberarm.

      „ Na, wen haben wir denn da?“, flüsterte die raue, gierige Stimme eines Mannes in ihr Ohr.

      Riyala war vollkommen überrumpelt und zitterte vor Angst. Ihre Beine waren eiskalt bis zu den Knien. Reflexhaft versuchte sie ein wenig zu zappeln, doch der Angreifer griff sofort fester zu.

      „ Wag es nicht zu schreien, sonst bring ich dich um!“, zischte er; dann glitt seine Hand von ihrem Mund und durchsuchte mit geübten Bewegungen ihr Gewand. Seine andere Hand verdrehte ihr nach wie vor auf schmerzhafte Weise den

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