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wurden hinausgedrängt, als wären auch sie nur Schmutz. Ein Trödelladen wurde zur Edelpizzeria, eine Ladenkirche zum Friseursalon, eine linke Buchhandlung zur Brillenboutique und Etliches zur Sushibar. Die Stadt wurde farbloser, mit mehr Kettenläden und mehr Autos, dafür ohne in Schichten übereinandergeklebte Flugblätter an Telefonmasten, ohne familienbetriebene Drogerien und wunderliche Geschäfte, die alten Tempeln glichen, in denen die Priester weiterhin ihre rituellen Handlungen vollzogen, obwohl ihre Gemeinde womöglich längst abgewandert war.

      Im Scully Owl Drug Store ein paar Blocks westlich von meiner Wohnung gab es eine richtige Imbisstheke, so wie die Imbisstheken in den Südstaaten, an die sich die Leute gesetzt hatten, um gegen die Rassentrennung zu protestieren, und irgendwann wurde diese Imbisstheke abgeschafft, dann verschwand der Drugstore, und um die Jahrtausendwende wurde der ganze Bereich mitsamt gewerkschaftlich organisiertem Lebensmittelladen, Spirituosenladen, Metzgerei und Bäckerei dem Erdboden gleichgemacht, um Platz für eine riesige, mit Eigentumswohnungen überbaute Filiale einer Supermarktkette zu schaffen. Viele Städte, die einst Zentren industrieller und handwerklicher Produktion gewesen waren, erlebten seit der Nachkriegszeit den Niedergang ihrer Herstellerbetriebe, doch dieser Niedergang fand kaum Beachtung, weil aus den Ruinen explosionsartig Informations-, Finanz- und Tourismusmetropolen emporschossen, so wie es in den achtziger Jahren auch in San Francisco auf spektakuläre Weise geschah. Im Silicon Valley ließ man damals zunächst noch von Immigrant*innen in Reinräumen Siliziumchips herstellen und scherte sich nicht groß um die Entsorgung des Giftmülls, aber dann wurden diese Arbeiten nach Übersee verlagert, die Techindustrie ging durch die Decke, und aus einer idyllischen, in mancher Hinsicht auch außergewöhnlichen Randregion wurde ein mächtiges, für die ganze Welt bedeutsames Zentrum.

      Veränderung ist das Maß der Zeit, und ich entdeckte, dass ich, um Veränderung zu erkennen, langsamer sein musste als sie; dadurch, dass ich ein Vierteljahrhundert lang in demselben Gebäude wohnte, wurde sie für mich sichtbar. Allmählich. Nicht von Anfang an. Menschen kamen und gingen in dem Gebäude, in dem ich wohnen blieb, und viele der wechselnden Hausbewohner*innen hielten das Viertel, in dem sie vorübergehend wohnten, für stabil, dabei waren sie tatsächlich Teil und Ausdruck seiner Veränderung, ein Strom von Menschen, der das Viertel ausputzte, sodass es immer weißer und immer bürgerlicher wurde. Die Neuankömmlinge wohnten in dem Raum, den ihr Geld ihnen sicherte, nicht in dem Raum, der für alle da war, und mit dem Nachbarschaftscharakter des Viertels verschwand auch eine gewisse Vitalität.

      3

      Das Haus, in dem ich wohnte, ein verputztes Gebäude aus den zwanziger Jahren inmitten all der stattlichen viktorianischen Holzhäuser, hatte seinen ganz eigenen Charme. Meine kleine Wohnung, die mir so geräumig erschien, amüsierte mich mit ihren diversen auf beengte Verhältnisse abgestimmten Einbauelementen: ein aus der Wand ausklappbares schmales Bügelbrett, ein Schrankbett, das heruntergelassen das ganze Zimmer beherrschte, sodass ich es dauerhaft in dem kleinen Kabuff aufstellte, das eigentlich als begehbarer Kleiderschrank gedacht war. Am Kopfende des Betts befand sich ein Fenster, an der Seite eine breite Tür und am Fußende eine weitere Tür, der Raum war also relativ offen, trotzdem blieb er ein Kabuff, in dem ich ein Vierteljahrhundert lang schlief.

      Armut ist manchmal eine große Bewahrerin der Vergangenheit, und ich lebte in Räumlichkeiten, die noch mehr oder weniger im Originalzustand waren. Das galt für die schmalen Dielen der goldgelben Eichenholzböden wie auch für die gluckernden Heizkörper, den Müllschlucker im Treppenhaus, durch den der Abfall über zwei Stockwerke in die große Tonne hinunterstürzte, und einen altmodischen, winzigen, nicht mehr funktionierenden Kühlschrank, der in der Küche neben den Spülbecken in die Wand eingebaut war, gegenüber dem ebenfalls eingebauten deckenhohen Geschirrschrank mit Glastüren und Anrichte.

      Ein großartiger alter Wedgewood-Herd dominierte die Küche, cremeweiße Emaille mit schwarzen Einfassungen und einem schwarzen Ofenrohr, das einen rechten Winkel beschrieb, bevor es in die Wand führte. Die Zündflammen blieben während meiner gesamten Zeit dort erloschen, sodass ich immer Streichholzbriefchen aus Bars und Restaurants mitnahm, in denen das Rauchen damals noch erlaubt war. Selbst kochen zu können und einen ganzen Kühlschrank für mich zu haben, empfand ich als echten Luxus, nachdem mir in der Pension für Dauergäste, in der ich vorher gewohnt hatte, weder die Aufbewahrung noch die Zubereitung von Essen möglich gewesen waren.

      Ich war arm. Meine Möbel kamen vom Sperrmüll, meine Kleider aus Secondhandläden, die Haushaltswaren vom Flohmarkt; damals wussten wir Altes noch zu würdigen, und auch ästhetisch entsprach mir diese Vorgehensweise. Die meisten Gegenstände, die ich besaß, waren älter als ich, und das gefiel mir, sie verankerten mich in der Vergangenheit. Ich sehnte mich danach, mit einem Bewusstsein für Zeit, Geschichte, Sterblichkeit, Tiefe, Textur zu leben, das meiner Kindheit und Jugend völlig abgegangen war, denn ich war in einem Neubauviertel am Rand der Bay Area aufgewachsen, und meine Eltern mit ihrem städtisch-migrantischen Hintergrund hatten wenig Sinn für Abstammung, kaum Geschichten zu erzählen, keine Familienerbstücke. In meinem Schreiben sollte es später auch immer wieder um die Rekonstruktion der Vergangenheit von Orten im amerikanischen Westen gehen.

      Auf dem Weg zu einer Demonstration im Castro District entdeckte ich auf einem Flohmarkt ein kleines viktorianisches Sofa mit Samtbezug und Ziernägeln; der Schwule, der es mir für zehn Dollar verkaufte, schaffte es nach der Protestveranstaltung netterweise auch noch zu mir nach Hause und schleppte es sogar die Treppe hoch. Es ließ kleine Büschel uralter Rosshaarfüllung unter sich, wie ein inkontinentes altes Haustier. Ich sammelte kleine Erinnerungsstücke, Schätze, Artefakte an, durch die meine Wohnung mit der Zeit einem exzentrischen Naturkundemuseum zu ähneln begann, mit eigenartigen flechtenbewachsenen Zweigen und Ästen, Vogelnestern und Eierschalen, Geweihsprossen, Steinen, Knochen, vertrockneten Rosen, einem kleinen Glas mit schwefelgelben Schmetterlingen von einer Massenwanderung im östlichen Nevada und einem Hirschkopf mit Geweih, den ich von meinem jüngeren Bruder bekommen hatte und der auch über mein jetziges Zuhause wacht.

      Ich durchlebte eine Phase der Armut, bis sich meine finanziellen Verhältnisse allmählich wieder entspannten; auch in der Armut war ich eine »neue Fremde«, doch ich erlebte sie lang genug, um zumindest ansatzweise zu begreifen, wie sie sich auswirkt. In einem anderen Sinne, dem der geistigen Armut, hatte sie mich seit meiner Geburt umgeben. Meine Eltern hatten infolge der Weltwirtschaftskrise oder wer weiß welcher Entbehrungen in ihrer Kindheit ein tiefsitzendes Gefühl des Mangels entwickelt, und sie hatten kein Interesse daran, den Komfort ihres Mittelschichtlebens mit anderen zu teilen. Ich war mir nicht sicher, ob sie mir aus der Klemme geholfen hätten, wenn mich irgendetwas wirklich Schreckliches in die Knie gezwungen hätte, und ich ließ es tunlichst nie darauf ankommen, stürzte mich also nicht so hingebungsvoll in die Armut wie viele andere junge Weiße um mich herum, die aus diesem Leben jederzeit genauso einfach wieder aussteigen konnten, wie sie eingestiegen waren. Auch ich kam aus der Armut wieder heraus, aber langsam und aus eigener Kraft. Und, was ich aber erst später richtig begreifen sollte, dank der Vorteile, die meine Hautfarbe und mein Hintergrund mit sich brachten und die dazu führten, dass sowohl ich selbst als auch andere meine Eignung für eine höhere Bildung und geistige Arbeit ganz selbstverständlich voraussetzten.

      Ich las Bücher im Stehen in Buchhandlungen, entlieh sie in der Bücherei oder suchte monate-, wenn nicht jahrelang nach günstigen gebrauchten Ausgaben; ich hörte Musik im Radio und nahm die Schallplatten von Freundinnen und Freunden auf Kassette auf; ich beäugte Gegenstände und fühlte mich angespornt und zugleich beunruhigt von dem Versprechen, das sie bargen: dass dieses Paar Stiefel oder dieses Hemd mich zu der machen würde, die ich sein musste oder sein wollte, dass das, was an mir unvollständig war, nur ein Loch war, das mit Dingen gestopft werden konnte, dass das, was man hat, neben dem, was man will, verblasst, dass Wollen durch Haben kuriert werden kann, durch Mehr-als-das-Nötige-Haben.

      Ich wollte immer noch etwas, noch etwas anderes, und wenn ich es hatte, wollte ich das Nächste, es gab immer etwas Weiteres zu wollen. Dieses Begehren nagte an mir. Ich wollte Dinge so dringend haben, mit einem so schmerzlichen Verlangen, dass es mich regelrecht aushöhlte, und der Prozess des Wollens nahm oft weit mehr Zeit und Vorstellungsraum in Anspruch als nachher die tatsächliche Person, der Ort oder das Ding; der imaginäre Gegenstand besaß größere Macht als der tatsächliche. Und wenn ich das Ersehnte dann hatte, ließ das Begehren

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