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sich in der Früh mit jemandem getroffen, und zwar ohne Angst. Auf dem letzten Video wirkte sie eher freudig. Sie hat also ihrem Mörder vertraut und ihn nicht als Bedrohung wahrgenommen.«

      »Du schaust zu viel Netflix«, kommentierte Bella.

      »Netflix hab ich gar nicht«, konterte Pfeffer. »Ich bin altmodisch und schaue lineares Fernsehen.«

      »War ja klar, Opa. Und selbst wenn, warum sollte jemand die beiden Migranten töten?«

      »Drogengeschäfte? Menschenhandel? Verletzte Ehre? Ein perverser Sexkiller? Es gäbe viele Möglichkeiten.«

      »Klar, und der Mörder ist der Gärtner.«

      »Ist er das nicht immer?« Beide lachten. Pfeffer fuhr fort: »Wa­rum nicht eine Mörderin? Eine perverse Sexkillerin, die die Männer in ihrem Verlies getötet hat, und dann ist ihr Polina auf die Schliche gekommen …«

      »Susa Förster?«, sagte Bella. »Nein, das muss dann diese Agentin sein, Tilda Fittkau!«

      »Passt. Ach, du weißt, ich spinne immer gerne herum, was Motive angeht …«

      »Und leider muss man sagen, dass deine Spinnerei oft gar nicht so verkehrt war, wie die Vergangenheit gezeigt hat«, sagte Bella Hemberger. »Trotz allem, ich glaube, dass Polina mit einem der Herren, die wir im Fokus haben, ein Verhältnis hatte und deshalb sterben musste. Die Befragung der Nachbarn hat keine neuen Anhaltspunkte ergeben, und weder Förster noch Nowak noch der Mortimer noch – ja, ich gebe es zu, mein Gärtner Beppo Schubert – haben hieb- und stichfeste Alibis für die Tatzeit.«

      24

      Vor dem schulen Kommunikationszentrum Sub in der Müllerstraße wehten die Regenbogenfahnen im Abendwind. Erdal Zafer betrachtete missmutig die Flyer, die im Eingangsbereich des Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrums in einem Displayständer bereitstanden – Infos zur ›Post-ChemSex-Gruppe‹, ›Vater, Vater, Kind‹, ›Munich Kyiv Queer‹. »Lauter Schwnzltschr«, brummelte er leise vor sich hin. Dass der Chef ausgerechnet ihn verdonnert hatte mitzukommen, nahm er ihm übel. Seit er in Pfeffers Kommissariat gekommen war, hatte er alles, was mit Schwulsein zu tun hatte, recht gut umgehen können, genauer gesagt, es war ja gar nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Ja, man hatte ihn gewarnt, dass der neue Chef einer von denen sei, bei denen man auf seinen Arsch aufpassen müsse. Was hatten sie für Witze über den gerissen. Froggy hatte zwar nie auch nur ansatzweise den Eindruck gehabt, dass sein Hinterteil in den Fokus von Max Pfeffer geraten war, mehr noch, er hatte nicht ein einziges Mal erlebt, dass die Sexualität seines Chefs irgendwie in den Arbeitsalltag eingeflossen war … aber dennoch. Er kannte die Geschichten von solchen Typen. Egal, was die öffentliche Meinung heute sagte, er fand es einfach nur widerlich und pervers. Männer berühren sich nicht, außer bei Prügeleien (oder sie sind Verwandte, Brudis oder Homies). Und wenn sie jetzt da rein, in diesen Laden hier gingen, und er würde angeschwult werden, dann würde er für nichts garantieren können! Froggy hatte am Anfang versucht, Bella auszuquetschen und gehofft, dass auch sie seine Ansichten teilte, aber im Gegenteil. Die machte ein kulturelles und ethnisches Ding daraus (»Ihr Moslems, ihr Türken …«), dabei war es nach Erdals Ansicht ein moralisches: hier normal, dort pervers. Außerdem war Erdal Deutscher wie auch seine Eltern und inzwischen auch die aus der Türkei eingewanderten Großeltern und nicht sonderlich gläubig. Das hatte nur mit gesundem Menschenverstand zu tun. Homos waren pervers. Punkt. Und nun musste er da hineingehen. Ins Epizentrum. Er hätte kotzen können. Alles wegen des Anrufers! Nachdem die Münchner Nachrichten die Fotos der beiden Vermissten veröffentlicht hatten, gab es einige Anrufe und Mails. Meist üble Beschimpfungen und wütendes Gegeifer, dass die Migrantenhorden Deutschland überrennen würden und die Merkel an allem schuld sei und noch dümmere Kommentare. Doch dann war da auch ein Anrufer gewesen, der sagte, dass er die beiden kenne. Doch er wolle nur mit dem »Hauptkommissar« Pfeffer darüber sprechen. Wa­rum, wollte er nicht sagen. Als Max Pfeffer davon hörte, beschloss er, sofort zu der genannten Adresse zu gehen und Erdal Zafer mitzunehmen.

      Noch war das Sub geschlossen, der Mann, der ihnen aufsperrte und sie in ein Büro bat, stellte sich als Jens Aschenbrenner vor. »Klasse, dass du gekommen bist, Max«, sagte er vertraulich lächelnd. Der Mann war Mitte dreißig, hatte dramatische Geheimratsecken in seinen millimeterkurzen Haaren und viel zu viel Bart im Gesicht. Man sah kaum seinen Mund, wenn er redete. Dafür lachten seine blauen Augen.

      »Äh, wir sind per Du?«, sagte Pfeffer überrascht.

      Nun sah Jens Aschenbrenner erstaunt drein. »Klar. Waren wir. Sag bloß, du weißt nicht mehr …?«

      »Ehrlich gesagt, nein.« Pfeffer schüttelte den Kopf.

      »Echt?« Jens Aschenbrenner sah ernsthaft verletzt drein. »Du erinnerst dich nicht mehr an mich? Fasching? Rosenmontag im Prosecco? Wir sind dann zu mir, und du hast mich …«, er warf einen Blick auf Froggy, der sich bereits jetzt vor Pein wand, »… durchaus … hmm …« Er sah traurig in Pfeffers braune Augen.

      »Ja, ich erinnere mich«, sagte Pfeffer schnell und lächelte, »Jens. Schon klar.« Er erinnerte sich nicht. Mit einer schnellen Kopfbewegung zu Erdal Zafer bedeutete er seinem Gegenüber, dass sein Mitarbeiter davon, also von was auch immer, nichts wissen musste. Jens Aschenbrenner lächelte verschwörerisch und nickte.

      »Ich wollte nur mit dir reden«, sagte Jens Aschenbrenner und strich sich durch den Bart. »Wegen der Thematik. Du verstehst. Wir haben mit der Polizei in der Vergangenheit nicht immer nur die besten Erfahrungen gemacht. Und gerade der Bereich Refugees ist ein sensibles Thema. Und als ich mit euch telefonierte und dein Name fiel … Tja.«

      »Es geht um Elvedin Saqqaf und Hamed Bakhtari«, sagte Pfeffer und legte Fotos auf den Tisch. »Du hast meinem Kollegen gesagt, dass du die beiden kennst?«

      »Richtig. Die waren beide hier bei mir in der Beratung. Also nicht gleichzeitig.« Er lachte. »Elvedin hat Frau und drei Kinder. Er wollte gerne seine Sexualität leben, aber seine Familie nicht im Stich lassen. Eigentlich der Klassiker bei Refugees – und Männern aus Ihrem Kulturkreis.« Er nickte Froggy zu. Der biss sich auf die Lippen und sah zu Boden. »Einige vögeln sich durch die ganze Szene und sind daheim brav Papa und Ehemann.«

      »So wie Elvedin?«

      »Weiß nicht. Der machte nicht den Eindruck, als ginge es ihm nur ums Vergnügen nebenbei. Der hat echt gehadert. Der steckte in der Zwickmühle zwischen Familie und seinem Leben. Der hat eher von einem festen Partner geträumt. Hat aber gleichzeitig zu viel Angst gehabt. Der hat sich bewusst nur was zum Vögeln gesucht, ganz anonym, damit er nicht in Versuchung gerät, seine Familie zu verlassen. Hamed, der junge Kerl, hatte auch große Probleme mit seiner Neigung, aber für den galt die Devise, was seine Familie nicht weiß, macht sie nicht heiß. Der hat nichts anbrennen lassen. Sagte er zumindest. Der wollte nur Spaß.«

      »Er war noch minderjährig«, sagte Pfeffer.

      »So sah er aber nicht aus«, antwortete Jens Aschenbrenner. »Und über sechzehn wird er wohl gewesen sein. Also alles im grünen Bereich.«

      »Also sind die beiden hier im Café verkehrt?«

      »Selten. Die hatten Angst, hier möglicherweise von Bekannten gesehen zu werden. Wenn sie mal hier waren, sind sie immer schnell rein- und rausgehuscht.«

      »Weißt du etwas über mögliche oder tatsächliche Sexualpartner?«, fragte Pfeffer.

      »Nein, aber ich kann dir ihre Hottah-Profile zeigen.«

      »Sie waren auf Dating-Plattformen?«

      »Jep. Hamed hat mir mal gezeigt, wie viele Angebote er bekommt. Ist ja auch ein Hübscher.« Jens Aschenbrenner holte sein Smartphone heraus und wischte darauf herum. »Oh«, sagte er dann. »Du bist tatsächlich nicht bei Hottah oder Scruff oder Grindr, sonst würdest du mir angezeigt werden.«

      »Ja, und?« Pfeffer zuckte mit den Schultern. Dass er durchaus auf Hottah war, aber im Stealth-Modus, musste Jens nicht wissen. Im Stealth-Modus, benannt nach dem Tarnkappenbomber der US-Army, der quasi unsichtbar war, konnte man selbst sehen, wer in der Umgebung aktiv war, ohne selbst als aktiv gekennzeichnet zu sein.

      »Echt

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