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der Straße begegnet war. Den Gärtner kannten einige, drei beschäftigten ihn auch, und alle waren sich einig, dass das ein ganz netter Kerl war. Und über die Försters konnte oder wollte niemand etwas sagen. Unauffällige Nachbarn, hieß es meistens. Und drei betonten ausdrücklich, dass sie ja noch nie was von »der« gelesen hätten, weil zu anspruchslos. Pfeffer hatte seine Kollegin beauftragt, sich für die weitere Befragung von Nachbarn ein Team zusammenzustellen.

      Die einzig halbwegs interessante Befragung hatten sie gleich nach Mortimer Olberding: Sie trafen Robert Nowak zu Hause an, den deutlich jüngeren Bruder von Susa Förster, von seinem Schwager (und nicht nur dem) verächtlich ›Loser-Bob‹ genannt. Robert Nowak – den Namen kannten nur noch wenige in München. Robert, das Nesthäkchen in der Nowak-Familie, Vater Soziologieprofessor, Mutter Heilpraktikerin, elf Jahre nach Susa geboren, war mal eine der großen Hoffnungen des FC Bayern gewesen, er war in der U19-Liga. Galt als eins der herausragenden Talente, spielte leichtfüßig wie ein junger Gott. Die Übernahme in die Profimannschaft war eigentlich nur noch eine Formalität. Doch dann kam der Wiesn-Abend, bei dem ein fliegender Maßkrug den auf dem Biertisch tanzenden und mit der drallen Franzi knutschenden Robert niederstreckte. Beim Sturz brach er sich das rechte Fußgelenk so kompliziert, dass an Training erst einmal nicht mehr zu denken war. An eine Profikarriere eh nicht mehr. Damit änderte sich alles. Aus dem jungen Überflieger wurde der Dauer-Loser, dem einfach nichts mehr gelang. Etliche Rehas später reichte es noch zum Hobbykicken. Des Weiteren gingen schief: eine Ehe, zwei längere Beziehungen, ein Auswanderungsversuch nach Australien (scheiterte am Arbeitsvisum), ein Kneipenprojekt in der Maxvorstadt, zwei Selbstmordversuche (wovon zu seinem Glück nur einer überhaupt als solcher bemerkt wurde), ein Frühstücksbrötchen-Lieferservice, eine Pommesbude im Westend, ein Kaffeemobil – kurz beinahe alles, was er versucht hatte. Vermutlich lag es an Roberts Halbherzigkeit, mit der er alles anging, als wäre er nicht wirklich von dem überzeugt, was er tat (und er war es tatsächlich nicht). Dazu kam noch eine Vorstrafe wegen Körperverletzung. Inzwischen fristete er sein Dasein als der kleine Bruder der berühmten Susa Förster. Er lebte in der winzigen Wohnung über der Garage vor dem Olberding-Anwesen. Zum Apartment führte eine Außentreppe an der Garagenmauer. Man musste nicht auf das Olberding-Grundstück. Robert Nowak hatte nach dem zweiten Klingeln zaghaft geöffnet und die Kriminalbeamten nicht in die Wohnung gebeten.

      »Nein, das geht nicht«, hatte er gesagt und hinter sich gedeutet. Weißer Fliesenboden überall, die Fliesen glänzten nass. Pfeffer fragte sich automatisch, warum sich jemand freiwillig weiße Fliesen in die Wohnung legen ließ. Abgesehen von der optischen Anfechtung sah man darauf jedes Staubkörnchen.

      »Ich habe gerade aufgewischt.« Er lehnte sich demonstrativ auf den Wischmopp. Die Wohnung sah extrem aufgeräumt und sauber aus. »Ich … ich habe es gerne sauber in meiner Wohnung. Ich glaube, ich muss Sie nicht reinlassen. Wenn es geht, wäre ich dankbar, wenn wir hier stehen bleiben. Sonst muss ich noch einmal alles durchwischen.« Kein Problem für die Beamten. Aufgrund des Spitznamens Loser-Bob hatten sich Pfeffer und Hemberger eher einen dieser Hartz-IV-Typen vorgestellt, die man im Privatfernsehen präsentiert bekam. Nicht einen gepflegten Mittdreißiger mit rasierter Glatze und Dreitagebart, der immer noch die Figur eines Sportlers hatte und offensichtlich ein Putzfreak war. Nein, betonte Robert Nowak, er könne ihnen keine neuen Erkenntnisse zu Polinas Tod liefern. Er kannte das Mädchen, hatte sich auch ab und zu mit ihm unterhalten, aber mehr auch nicht. Früher, als er noch im Haus seiner Schwester nebenan wohnte, da hatte er mehr Kontakt mit Polina gehabt. Aber alles auf rein freundschaftlicher Ebene. Auf die Frage nach seinem Privatleben wich Robert aus. Er müsse eine Trennung verkraften, sagte er, da habe er keine Kraft für neue Beziehungen. Nein, bevor man fragte: Er hatte kein Verhältnis mit Polina, und er war auch nicht scharf auf sie. Und überhaupt sei er momentan sehr eingespannt, weil er eine neue Geschäftsidee habe, die er unbedingt umsetzen wolle: einen Foodtruck …

      »Krieg ich auch eine?«

      Pfeffer sah auf und musste seine Augen mit der Hand beschatten. Der Mann stand gegen die Sonne. »Oh, Herr Olberding«, sagte Pfeffer. »Ich dachte, wir wollten uns später bei Ihnen oben treffen?«

      »Bin früher zurück und dachte mir, wie Sie offenbar auch, dass ich zwischendurch ein kleines Sonnenbad an der Isar einlegen kann.« Mortimer Olberding begann sich auszuziehen. »Die Fluppe nehme ich nachher. Wir haben leider keinen Pool wie die Försters. Mein Alter findet das dekadent und neureich.« Als er nackt war, rollte er wie Pfeffer seine Sachen zusammen und sprintete in die Isar. Er ließ sich mit einem lauten Juchzer ins kalte Wasser fallen und planschte ein bisschen herum. Dann kam er heraus, schüttelte sich wie ein nasser Hund und setzte sich schließlich neben den Kriminalrat.

      »Krasser Serratus«, sagte er. »Nice.«

      Pfeffer brauchte einen Moment, um zu verstehen, was der junge Mann gesagt hatte. Er hatte ihn für seinen gut definierten Sägemuskel gelobt. »Ah, danke«, sagte Pfeffer. »Ich geb mir Mühe.«

      »Ich mag den Sägemuskel.« Mortimer Olberding drehte seinen Oberkörper so, dass Pfeffer seinen Sägemuskel gut sehen konnte. »Alle gehen immer auf Sixpack, Titten und Arsch, dabei sind so kleine Nebenmuskeln viel geiler. Sie haben eh einen nicen Body für Ihr Alter.« Er musterte Pfeffer ebenso unverhohlen wie unschuldig.

      »Danke.« Pfeffer lachte. »Ich würde ja gerne ein Kompliment zurückgeben, aber das würde sich doch ein bisschen seltsam anhören, wenn ich jetzt rein theoretisch zu Ihnen sagen würde, Sie hätten einen nicen Arsch.«

      »Oh, da könnten Sie schnell …« Mortimer wurde tatsächlich ein bisschen rot. »Das klang ja, als ob ich … Na ja. Sorry.« Er lachte.

      »Schon in Ordnung.« Pfeffer schmunzelte und bot dem Burschen die gewünschte Zigarette an. Offenbar fand es der Junge nicht seltsam, splitterfasernackt neben einem ebenso nackten älteren Mann zu sitzen und Muskelpartien zu bewundern, noch dazu, wenn einer der beiden ein Kriminalbeamter und der andere … nun ja, wenn auch noch kein Verdächtiger, so doch ein Zeuge war. Mortimer lehnte sich zurück, stützte sich auf die Ellenbogen und streckte die Beine aus. Max Pfeffer betrachtete den jungen Burschen, der sich seiner Schönheit bewusst war, und überlegte, was wohl ein heterosexueller Kollege an seiner Stelle machen würde, wenn da ein nacktes Mädchen säße. Dem wäre das alles hier wahrscheinlich saupeinlich. Wobei es dem Heterokollegen vermutlich auch saupeinlich gewesen wäre, hier mit einem nackten Burschen zu sitzen. Pfeffer war es das nicht. Er betrachtete Mortimer und fühlte keinerlei Begehren. Nichts. Gut, er hatte sich noch nie zu jüngeren beziehungsweise zu so jungen Männern hingezogen gefühlt. Hübsch anzuschauen, das ja, aber sonst? Man will sich ja auch mal unterhalten …

      Es hatte in der langen Trauerphase nach Tims Tod ein paar Tage gegeben (passenderweise an Fasching), da hatte sich Pfeffer ganz bewusst in die Szene gestürzt. Zuvor hatte er gemeinsam mit seinen Söhnen Tims Arbeitszimmer ausgemistet. Er wollte keinen Tim-Schrein oder Ähnliches. Das würde nun sein Arbeits- und Gästezimmer sein – Gästezimmer! Wann hatte er schon mal Übernachtungsgäste! Na gut, vielleicht würde Tims Schwester aus Amsterdam weiterhin ab und an zu Besuch kommen. Er mochte sie und sie ihn. Pfeffer trennte sich sogar von Tims Sammlung: Tim hatte über die Jahre Diktatorenkitsch aus aller Welt gesammelt, Devotionalien von Pol Pot über Mao Tse-tung bis Fidel Castro. Nur die Emailledose mit dem Porträt von Imelda Marcos behielt Pfeffer als Andenken. Den Rest verkaufte Cosmo im Internet, sogar recht gewinnbringend.

      Nach der Räumaktion wollte Pfeffer sich betäuben, seine verdammte Selbstdisziplin ausschalten, ganz gezielt und systematisch. Er hatte sich Hottah, die aktuell beliebteste Dating-App für Männer, die Männer mögen, geholt, ein Profil angelegt und sich dann in die Nacht gestürzt. Und gehofft … tja, auf was? Er hatte gesoffen, Poppers gesnifft, sich das erste Mal seit vielen Jahren Ecstasy und Boner Booster reingepfiffen. Alles gleichzeitig. Sollte er doch einen Herzinfarkt bekommen – wurscht! Drogen wurden ihm überall kostenlos angeboten. Er schlief tagelang nicht, er wollte und bekam jede Menge schnellen, belanglosen, gerne auch risikoreichen Sex. Orgiastisch wars, geil wars im Nachhinein betrachtet gar nicht. Seine selbstzerstörerischen vier Tage, die am Aschermittwoch um zehn Uhr morgens endeten, als er am Ende seiner Kräfte auf dem Gärtnerplatz stand und leichter Schneefall einsetzte. Völliger Overkill. Nie ein Wort zu irgendjemanden darüber! Und wie die Tests anschließend gezeigt hatten, hatte er sich glück­licherweise

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