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       Dr. Adolf Küster

       Deutschland 1936 - Ein Jahr im braunen Dunst

      © 2020 Adolf Küster

      Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

      ISBN

      978-3-347-12402-8 (Paperback)

      978-3-347-12403-5 (Hardcover)

      978-3-347-12404-2 (e-Book)

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

       Januar 1936

      Welchen Schlafanzug nehme ich denn mit? Hier, diesen blau-weiß gestreiften, aus Zellulose? Der glänzt so schön.

      Lust hab ich nicht für einen Groschen. Hätte mich lieber in den letzten Ferientagen mit meinen Weihnachtsgeschenken, den Büchern “Oliver Twist“ und „Anna Karenina“ von der nervenden Familie zurückgezogen und mir zwei gemütliche Tage in meiner Zimmerecke gemacht.

      Eigentlich fahre ich nach Solbach, diesem Nest, nur aus Mitleid. Ich denke mir, ich bin der einzige Freund, den Willi in der Klasse hat, „Bonzo“ nennen wir ihn; den fetten Moppel. Ich schätze, Bonzo wiegt 2 Zentner und auch mehr. Wenn der mich so bettelnd ansieht, werde ich weich. Auf Mitleid reagiere ich prompt. Aber mal ehrlich: wie kann man sich nur so vollfressen? Was der liebe Willi auf meinem Geburtstag so alles in sich hineingestopft hat, wir alle konnten nur staunen.

      Heute holt Willi mich so gegen 11: 00 Uhr mit einem Firmenauto seines Vaters ab. Die Fahrzeuge beliefern laufend die Filiale „Landbäckerei Ötkers“ in der Kanal-Straße. Halb Rottlingen sich dort seinen frischen Apfel- Schmand Kuchen; eine Spezialität der Ötkers. Im Gegensatz zu den Postautos verkehren die Lieferwagen der Landbäckerei häufiger. Und für ein freundliches Dankeschön nehmen die jeden Solbacher mit, wenn man die Chauffeure lieb darum bittet. In das Postauto, das nur dreimal täglich verkehrt, steigt oft keine einzige Solbacher Seele ein.

      Wäre es Sommer, ich wäre mit dem Fahrrad gefahren. 8 km - keine Hürde. Aber heute Morgen, wo es die ganze Nacht geschneit hat, bei nahezu zwei Meter Schneehöhe, kein Gedanke dran. Die Autos wühlen sich durch den Schnee, mit schlackernden, klickenden Schneeketten. Gott sei Dank ist die ganz strenge Kälte vorüber, das waren zum Teil minus 32º. Ein Rekord. Zuletzt wollte keiner mehr Schlittschuh laufen, selbst dein Atem gefror zu Eis. Leider haben viele Vögel und Tiere diese extreme Kälte nicht überlebt.

      Gegen Willis Aussehen kann man eigentlich nichts haben. Er ist nicht klein und seine prallen Beine sind keine X-Beine, obwohl er gern ein wenig breitbeinig dahin latscht. Sehr ebenmäßige, sympathische Gesichtszüge hat er, wie überhaupt die meisten Dicken. Seinen Bauch streckt unser Bonzo arglos heraus. Wie eine Schwangere. Ich habe ihn mal gefragt, wann er entbindet. Hinterher hat’s mir leidgetan. Sein miesepeteriger Vater übrigens ist genau so dick, und schwer zuckerkrank. Kein Wunder.

      Mich hat’s neugierig gemacht, was der Willi mir alles vorgefaselt hat. Von einer Elli, ihrer Dienstmagd in Solbach. Die Magd, die selten mehr sprechen soll als, Ja und Nein oder Danke! Als ich im letzten Sommer eine Radtour nach Solbach machte, bin ich ihr nicht begegnet.

      Mit sechs Stück Schmand-Kuchen im Einkaufsnetz ist Willi damals im Sommer mit mir auf die Luisen-Höhe in die Solbacher Heide geradelt. Man hat von dort einen schönen Blick auf das rote Fachwerkdorf, mit seiner ehrwürdigen Feldsteinkirche. Es gibt auf der Luisen-Höhe eine Aussichtsbank. Im Schatten von drei Birken. Dort wollten wir uns über den herrlich duftenden, frischen Schmand-Kuchen hermachen.

      Als ich mich setzen wollte, schrie mich der Willi an. Mit ernster Miene und drohend gestrecktem Zeigefinger: „Halt, bist Du auch kein Jude?“ Tatsächlich zierte ein neues Schild die Bank: „Nur für Arier.“ Herzlich lachen mussten wir beide. Ich fragte den Willi, was denn im Schmand-Kuchen drin wäre. “Ach das Rezept hat mein Großvater aus Herberhausen mitgebracht“. Das ist ein Dorf, ganz in der Nähe von Göttingen, wo er herstammt. „Dort bezeichnet man die saure Sahne, als „Schmand“. Und du weißt ja wie man saure Sahne erzeugt?! Man führt Milchsäurebakterien zu. Wir machen sie selber.“ Bakterien? Igitt“. Nein, das wusste ich nicht.

      An diesem Nachmittag, auf der Bank, inmitten blühender Heide, hat er mir alles Mögliche von der Elli „vorgebrubbelt“. Der Willi verschluckt zu gern die Endsilben. Wahrscheinlich ist er deshalb so dick.

      “Verrätst du mich auch nicht?“ Ich musste hoch und heilig schwören, dicht zu halten. Ich hatte den Eindruck, dass dem Willi sehr viel daran liegt, dass die zu Hause nichts mitbekommen. Wenn es stimmt, dann schleicht er sich beinahe täglich in den Stall zu Elli. Angeblich befummelt er sie dort.

      “Bumst du sie da auch?“, hab ich ihn gefragt. “Bist du verrückt, die lässt sich doch nicht“, hat er nur geantwortet. Nun ja, ich werde sie ja nachher erleben. Übrigens, diese Elli soll jedes Mal tieftraurig, ganz krank sein, wenn eines ihrer Lieblinge geschlachtet wird. Sie füttert und pflegt die Schweine mit viel Liebe. Ich kann mir schon denken, dass man sich auch an Schweine sehr gewöhnen kann. Weshalb man das, was die Ötkers morgen vorhaben, ausgerechnet ein „Schlachtefest“ nennt, zu dem mich der Willi unbedingt haben will, ist mir nicht erklärlich. Ich hab noch nie erlebt, wenn ein so großes Tier getötet wird. Deshalb hab ich vor dem morgigen Tag auch ordentlich Bammel.

      Die Fahrt durch den hohen Neuschnee war abenteuerlich. Kurz vor Solbach mussten wir einem entgegenkommenden Lastwagen ausweichen, und schon saßen wir fest. Weil wir auf Eis standen griffen die Reifen trotz Ketten nicht. Mit ein paar Schaufeln Sand aufs Eis und dem kraftvollen Geschiebe von Willi und mir, ging die Fahrt dann schließlich erfolgreich zu Ende. Und nun bin ich in Solbach und sogar ganz froh, mal aus Rottlingen heraus zu kommen.

      Ich staune, als Bonzo mir stolz sein Zimmer zeigt. Es ist riesengroß, im Vergleich zu meiner kleinen Bude. Es liegt in der ersten Etage vom sogenannten „Alten Bauernhof“. Im Parterre leben die Eltern. Hier im Hof, im zum weißgekachelten umgebauten Schlacht- und Kühlhaus, dem ehemaligen Pferdestall, soll morgen geschlachtet werden.

      Willis Vater, der bullige, bärbeißige Karl Ötkers, hat mir umständlich erzählt, wie er gleich nach dem Weltkrieg, das „Bäckerhaus“ an der Straße, errichtet hat. Nach modernsten Richtlinien, und gleich mit Abwasserklärung für beide Häuser.

      “Kein anderes Haus in Solbach verfügt über moderne Spülklosetts.“

      Ich ahne, dass der behinderte, fleischliche Kollos, der mit hochgelagertem rechtem Bein im dunklen Wohnzimmer hockt, für diese „Heldentat“ gelobt werden will. „Gratuliere, das war sehr fortschrittlich. Auch in Rottlingen gibt es noch eine Menge alter Plumpsklos.“

      Willi hat mir alles vorgeführt. Im sogenannten „Neubau“ befindet sich der große, helle Verkaufsraum der Bäckerei, der das ganze Parterre einnimmt. Im Garten angebaut, die imposante, moderne Ötkersche Backstube mit vier Gehilfen-Wohnräumen darüber.

      Im Neubau in der ersten Etage residiert Willis energischer Bruder Gerhard. In meinen Augen ein ‛Lackaffe’, zwölf Jahre älter, mit seiner sympathischen Frau Anne.

      Ich hab Willis Bruder im Sommer kennen gelernt. Da kam er im offenen flotten MG-Roadster mit weißen Glacéhandschuhen am Lenkrad auf den Hof geknattert und behauptete eben auf der Chaussee nach Rottlingen 150 km/h gefahren zu sein.

      Soweit mir bekannt ist, hat dieser britische Wagen eine Höchstgeschwindigkeit von 130 Sachen.

      Bruder Gerhard ist seit drei Jahren der Chef der traditionellen Bäckerei, weil die Zuckerkrankheit des Vaters diesem längeres Stehen unmöglich macht. Durch den langjährigen Diabetes bedingt, quälen ihn Durchblutungsstörungen und ein großes Unterschenkel-Geschwür. Das Bein sollte schon mehrfach abgenommen werden, aber der Alte will lieber die

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