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sind Sie?", fragte mich Errol Flynn. Seinem Blick fehlte dabei allerdings jeglicher Schmalz. Er war nur müde, misstrauisch und etwas genervt.

      "Ich wohne hier", sagte ich und hatte mich schon halb an ihm vorbeigedrückt.

      "Hat der Kommissar schon ihre Personalien?", fragte Errol, während sein rotnasiger Kollege verstohlen in der Nase bohrte und offensichtlich glaubte, dass das niemand mitbekomme.

      "Er kann sie an meinem Türschild abschreiben, wenn er Lust hat!"

      "Ha, ha." Errol Flynn verstand keinen Spaß. Vielleicht lag es daran, dass ich keine Piraten-Lady mit offenem Dekolleté war. Bei mir war nur der erste Hemdknopf offen. Errol wollte noch etwas sagen und hatte auch schon gehörig Luft dafür geholt, aber sein Partner kam ihm zuvor und meinte: "Lass ihn, Heinz!"

      Ich war draußen und arbeitete mich zielstrebig durch den kleinen Pulk von Schaulustigen, die auf dem Bürgersteig herumstanden und eine Art Halbkreis dabei bildeten.

      Sie stierten auf die beiden Schutzpolizisten wie Lourdes-Pilger auf das heilende Wasser und erwarteten offenbar jede Sekunde, dass etwas geschah. Wenn schon kein Wunder, dann wenigstens etwas, das man nicht alle Tage sah. Und wenn man schon nichts sah, dann hörte man ja vielleicht etwas.

      Ich hatte mich gerade bis zum Bordstein durchgekämpft und wollte über die Straße, da fiel mein Blick auf einen jungen Mann mit verfilzten, fast schulterlangen Haaren, wie ich sie selbst vor einer halben Ewigkeit mal getragen hatte. In seinem handgestrickten Pullover, seinen Turnschuhen und den schmuddeligen Jeans sah er modisch so MEGAout aus, dass er vermutlich schon wieder ein Vorläufer des allerneuesten Trends war.

      Trotz seines dicken Pullovers schien der arme Kerl zu frieren. Seine Augen flackerten unruhig, und er drehte sich ständig nach allen Seiten um wie ein Dieb, der den Mundgeruch des Kaufhausdetektivs zu riechen glaubte.

      Plötzlich schrumpfte der Kerl ein Stück zusammen, und ich bemerkte, dass er bislang auf Zehenspitzen gestanden hatte.

      Mit seinem hohlwangigen Gesicht, den dunkelbraunen Augen, deren Blick ständig umherirrte, und den abstehenden Ohren, die sich durch seine Haarpracht hindurchstahlen, wirkte er auf mich wie ein ausgezehrtes, gehetztes Nagetier. Ein Hase, der auf einem Kohlfeld sitzt und genau weiß, dass er dort eigentlich nicht sein dürfte ...

      "Heh, Sie! Wissen Sie, was hier eigentlich los ist?", trällerte eine energische Stimme, die entweder einer Marktfrau oder einer Lehrerin gehören musste. Eine unscheinbare, grauhaarige, recht hagere Endfünfzigerin hatte sich an den hasenartigen jungen Mann gewandt.

      Also doch: eine Lehrerin!

      Der junge Mann zuckte zusammen. Vielleicht kannte er diesen Tonfall noch aus der Schule und war immer noch darauf konditioniert. Jedenfalls stand er starr und steif da, und sein Gesicht hatte den letzten Rest von Farbe verloren.

      Seine Stimme war ein heiseres Krächzen, wie ich es in meinen Romanen immer Leuten andichte, die schon mit anderthalb Beinen im Grab stehen.

      "Was?"

      "Heißt der Tote nicht Lammers oder Lamus?", fragte die Lehrerin, und ich dachte: Das hat sich ja schnell herumgesprochen.

      "Jürgen Lammers?", vergewisserte sich der Filzlockige, was entweder bedeutete, dass er ihn kannte, oder dass er ein besserer Lauscher war.

      Die Lehrerin runzelte die Stirn. "Wohnen Sie denn nicht hier?"

      "Ich?"

      "Mit wem rede ich denn? Die Polizisten sagen ja nichts! Aber es muss wohl jemand umgebracht worden sein! Sie standen doch noch näher am Polizeifunk. Ich dachte, Sie hätten etwas mehr mitgekriegt als ich!"

      Er sah sie mit offenem Mund an. Aus seinen Augen sprach dabei eine Mischung aus Entsetzen und namenloser Angst.

      "Was?", krächzte er.

      "Haben Sie gesehen, ob die Leiche schon rausgetragen wurde?"

      Er rang nach Luft und wich vor der Lehrerin zurück. Dabei rempelte er einen älteren Mann hart an, der nur verständnislos mit dem Kopf schütteln konnte.

      Die Lehrerin fragte: "Was ist denn los? Ist Ihnen nicht gut?"

      Er schluckte. "Nein ..." flüsterte er und schüttelte wie von Sinnen den Kopf.

      Was dann folgte, war eine Art heilloser Flucht. Kopfschüttelnd rannte er los, strauchelte dabei und stolperte dann über die Straße. Ein Wagen wich ihm aus, ein zweiter bremste. Dass er bis zum Mittelstreifen kam, war wie ein Wunder. Dort warf er einen gehetzten Blick zurück und nutzte anschließend die nächste Gelegenheit, um die andere Seite zu erreichen.

      Wenig später war er in einer Seitenstraße verschwunden, und die Blicke der Schaulustigen hafteten bis zum letzten Moment an seinen Fersen.

      "Was war denn mit dem?", fragte der ältere Mann.

      "Ich weiß es nicht", murmelte die Lehrerin.

      "Ein Irrer!"

      "Wahrscheinlich einer aus der Anstalt. Die haben wohl mal wieder Ausgang!"

      5

      Ich schaffte schließlich auch noch die Überquerung des reißenden Verkehrsstroms, wenn auch nicht so schnell wie der filzlockige junge Mann, der so fluchtartig verschwunden war.

      Aber im Gegensatz zu ihm hatte ich nicht den geringsten Hang zum Selbstmord.

      Ich fragte mich, weswegen er so plötzlich getürmt war. Es war eine Flucht gewesen, das stand für mich fest. Er hatte aus irgendeinem Grund eine Höllenangst bekommen, ein furchtbares Panikgefühl, das ihn dazu veranlasst hatte, blindlings davonzulaufen.

      Ein Spinner. Das war aber nur eine Möglichkeit.

      Ich betrat die Bäckerei gerade in dem Augenblick, als die Verkäuferin hinter dem Tresen hervorgekommen war, um die Ladentür abzuschließen.

      "Ich wollte gerade ..."

      "Drei belegte Brötchen!", brachte ich heraus und schenkte ihr das charmanteste Lächeln, das ich nach diesem Tag noch zustande bringen konnte.

      Ich wusste, dass es bei ihr in der Regel ganz gut wirkte.

      Als sie anhielt und die Arme in die Hüften stützte und dabei das Grübchen auf ihrer linken Wange erschien, wusste ich, dass ich heute doch noch satt werden würde.

      "Hören Sie mal, wenn jetzt jeder ..."

      "Bin ich denn jeder?"

      "Na, jedenfalls ..."

      "... wollen Sie sicher nicht eine Hungerkatastrophe auf Ihr Gewissen nehmen, oder? Morgen sind Ihre Sachen doch sowieso schlecht, und Sie werden sie wegwerfen!"

      Letzteres war ihr vermutlich völlig egal, weil sie nicht die Besitzerin des Ladens war, aber ich hatte das Gefühl, dass ich irgendetwas sagen musste, um sie restlos zu überzeugen. Und solange ich irgendetwas sagte, hatte sie wenigstens keine Gelegenheit, nein zu sagen.

      Sie seufzte. "Also gut."

      Sie ging an mir vorbei und schloss die Ladentür. Einen Augenblick schaute sie hinüber zu dem Theater, das sich auf der anderen Seite abspielte. Inzwischen war noch ein Wagen hinzugekommen und versuchte verzweifelt, sich in eine Parklücke zu quetschen. Vielleicht die Spurensicherung, dachte ich.

      "Was ist denn da bei Ihnen los?", fragte sie mich.

      Ich sagte es ihr. Sie würde es morgen sowieso in der Zeitung lesen.

      "Haben Sie den Mann gut gekannt?"

      "Nein. Und Sie?"

      "Einmal die Woche hat er ein Weißbrot gekauft. Und Sahnetorte. Darauf stand er."

      "Hm." Ich hörte nur halb hin, während sie munter weitererzählte und mir drei belegte Brötchen machte.

      "Er stank oft morgens schon nach Bier."

      "So,

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