Скачать книгу

noch einmal entschuldigte, mit einem Mal völlig vergessen zu haben. Dann zuckte er plötzlich zusammen. »Was haben Sie gesagt?«

      »Ich sagte, es tut mir leid, dass ich Ihnen so einen Schreck eingejagt habe, aber dieser junge Mann hat mich beinahe angefahren. Im Übrigen bin ich Gregor Cornelius. Ich werde die nächsten vier Wochen im Haus von Lukas und Sandra Albrecht wohnen.«

      »Von dem da drin kann ja auch nix Gescheites kommen«, murmelte der Mann geistesabwesend. Doch dann schien er sich zu besinnen, denn nach einer kurzen Pause streckte er seine kräftige Hand aus: »Hartmann, Wolfgang Hartmann. Mir gehört der Hof rechts neben den Albrechts.« Der andere Nachbar also.

      »Darf ich Sie zur Entschuldigung vielleicht zu etwas einladen?«, fragte Cornelius. »Ich bin ohnehin auf dem Weg in den Gasthof, weil dort der Schlüssel für mich hinterlegt ist.«

      In diesem Augenblick hörte Cornelius Schritte hinter sich. Er wandte sich um und sah, dass der junge Mann langsam auf sie zukam. Die Katze, die den ganzen Tumult zuvor mit Gelassenheit beobachtet hatte, war aufgesprungen und lief jetzt dicht neben ihm. Er lächelte Cornelius freundlich an und streckte ihm sofort seine Hand entgegen.

      »Tut mir leid, dass ich Sie so erschreckt hab. Aber ich hab überhaupt nicht damit gerechnet, dass jemand in unserer Einfahrt steht. Alexander Eichinger, aber bitte sagen Sie Sascha zu mir.«

      Cornelius war wahrlich kein Experte auf diesem Gebiet, dennoch erkannte selbst er, dass er gerade einem sehr attraktiven Exemplar seiner Spezies gegenüberstand … groß gewachsen, breitschultrig, braun gebrannt und mit der eher seltenen Kombination aus dunklen Haaren und tiefblauen Augen. Er besaß dieses gewisse Charisma, das nicht viele Menschen hatten, das andere aber sofort in seinen Bann zog und zu faszinieren wusste. Cornelius musste zugeben, dass es auch ihm nicht schwer fiel, dem jungen Mann zu verzeihen. Er stellte sich erneut vor und erklärte Sascha, was ihn nach Neukirchen und in die Einfahrt der Eichingers verschlagen hatte.

      »Und dann hätte ich beinahe Herrn Hartmann zu einem Unfall genötigt«, schloss er seine Erklärungen ab und deutete auf Wolfgang Hartmann, der die ganze Zeit schweigend daneben gestanden hatte. Dessen Blick hatte sich erneut verdüstert und strahlte zudem plötzlich eine Kälte aus, die Cornelius fast erschreckte.

      Für einen kurzen Moment schien auch Sascha Eichinger etwas aus dem Gleichgewicht zu geraten. Sein Lächeln war verschwunden und er vermied es, Wolfgang Hartmann direkt anzusehen oder etwas zu ihm zu sagen. Den Blick abwechselnd auf Cornelius und auf den Boden gerichtet, schwieg er einige Sekunden. Doch dann hatte er sich wieder im Griff.

      »Tut mir wirklich leid, dass ich Sie so erschreckt hab. Ich würde Sie gerne auf ein Bier zu uns einladen«, sagte er dann mit einem Blick auf den Bauernhof, »aber wir müssen heute noch aufs Feld. Kommen Sie doch morgen Nachmittag auf den Fußballplatz hinter der Kirche. Wir spielen um drei gegen die Jungs aus Ebersbach und danach gibt’s Freibier für alle.« Er grinste und zwinkerte Cornelius zu. »Hab nämlich vor Kurzem eine Wette verloren.«

      Cornelius nahm die Einladung gerne an. Fußball und Freibier – was für eine gute Entscheidung, nach Neukirchen zu kommen! Schuldbewusst musste er kurz an Ramona denken, die davon wenig begeistert wäre.

      Erst nachdem Sascha sich von ihm verabschiedet hatte, fiel Cornelius auf, dass Wolfgang Hartmann die ganze Zeit kein Wort gesagt hatte. Auch jetzt blickte er dem jungen Mann nur finster hinterher, ehe er etwas murmelte, das wie »Hauptsache, du hast deinen Spaß!« klang, aber Cornelius war sich nicht sicher, ob er richtig gehört hatte.

      »Netter junger Mann, wenn auch ein bisschen ungestüm«, sagte er deshalb vorsichtig, doch Hartmann blieb eine Antwort darauf erspart, denn in diesem Augenblick wurde hinter ihnen laut gehupt.

      Ein Traktor war die Hauptstraße entlanggefahren, konnte jetzt jedoch nicht mehr weiter, da Hartmanns Auto immer noch quer auf der Straße stand. An dem weißblauen Band, das an einem der Außenspiegel angebracht war, erkannte Cornelius, dass es derselbe Traktor war, der bei seiner Anreise in Neukirchen vor ihm hergefahren war und den Mist verloren hatte. Seinen Anhänger samt Inhalt hatte er mittlerweile offenbar irgendwo abgestellt.

      »Was blockierst denn du mit deinem Auto die ganze Straße?«, rief der Fahrer, ein etwa fünfzigjähriger Mann in schmutzigem Overall und mit einem nicht sehr viel saubereren Gesicht, aus der Fahrerkabine.

      »Reg dich wieder ab, ich fahr ja schon weg«, brummte Hartmann. »Das ist übrigens der Leitner Wirt. Aber zum Glück kümmert sich hauptsächlich seine Frau um den Gasthof«, sagte er dann zu Cornelius.

      Der Leitner Wirt hatte mittlerweile den Motor abgeschaltet und beugte sich neugierig aus dem Fenster. Das Objekt seiner Begierde war ganz eindeutig Cornelius, und dieser erlöste ihn von seinen Höllenqualen, indem er sich – zum dritten Mal an diesem Tag – vorstellte. Doch jetzt genügte bereits die Erwähnung seines Namens und Leitner wusste – zweifellos durch seine Frau – sofort, um wen es sich handelte. Dies tat er auch lauthals kund.

      »Dann sind Sie der Professor aus München, der bei den Albrechts im Haus wohnt!«, rief er triumphierend. »Meine Anna hat mir schon von Ihnen erzählt.«

      »Professor?«, fragte Wolfgang Hartmann verwundert. »Sind Sie etwa Arzt?« Aus seiner Stimme war plötzlich Interesse zu hören.

      »Nein, nein«, wiegelte Cornelius schnell ab. »Ich hatte bis vor Kurzem einen Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte an der Universität in München, aber jetzt bin ich emeritiert … also im Ruhestand«, fügte er hinzu, bereute diese oberlehrerhafte Erklärung aber sofort.

      »Aha.« Hartmanns Begeisterung hielt sich denn auch sichtbar in Grenzen. Cornelius konnte seine Gedanken förmlich lesen. Sein Einstand bei ihm war wahrlich nicht besonders gelungen. Zuerst zwang er ihn beinahe zu einem Zusammenstoß mit einem Toilettenhäuschen und jetzt gab er auch noch den neunmalklugen Wissenschaftler vor ihm ab.

      »Waren Sie schon bei meiner Anna, Herr Professor, um sich den Schlüssel zu holen?«, rief der Leitner Wirt. »Unser Gasthaus ist rund um die Uhr geöffnet, müssen Sie wissen. Dort können Sie jederzeit vorbeikommen.«

      »Ja, weil deine Anna rund um die Uhr am Arbeiten und Schuften ist«, brummte Wolfgang Hartmann. »Danke für die Einladung, Herr Professor. Vielleicht ein anderes Mal, aber jetzt muss ich noch was erledigen. Auf Wiedersehn«, sagte er dann und ging, ohne den Wirt noch weiter zu beachten, zu seinem Wagen.

      Leitner hatte den Motor seines Traktors mittlerweile wieder angelassen. »Wollen Sie mit mir mitfahren, Herr Professor?«

      Cornelius lehnte dankend ab. Bis er in das Führerhaus dieses Traktors geklettert wäre, würde er zu Fuß zehnmal am Gasthaus angekommen sein.

      »Ich sag dann meiner Anna Bescheid, dass Sie unterwegs sind. Unser Gasthaus ist gleich da vorn auf der rechten Seite, gegenüber der Kirche. Ich bin übrigens Johann Leitner, Landwirt und Eigentümer des Gasthauses Leitner.«

      Ich weiß, dachte Cornelius. »Vielen Dank für die detaillierte Wegbeschreibung, Herr Leitner. Ich denke, ich werde Ihr Gasthaus jetzt nicht mehr verfehlen.« Dieses Mal bereute er seinen oberlehrerhaften Ton nicht.

      Johann Leitner sah ihn irritiert an. Dann nickte er Cornelius kurz zu und setzte seinen schweren Traktor wieder in Bewegung. Als er langsam die Hauptstraße Richtung Gasthaus entlangfuhr, hinterließen die Räder eine deutliche Dreckspur auf dem Asphalt.

       Kapitel 4

      Schon beim Betreten des Gasthauses wusste Cornelius, warum Wolfgang Hartmann von Glück gesprochen hatte, als er Anna Leitner erwähnte. Die Gaststube war gemütlich und mit viel Liebe zum Detail eingerichtet. Auf jedem Tisch stand eine kleine Vase mit selbst gepflückten Blumen, die rot-weiß karierten Vorhänge passten genau zu den Lampenschirmen und die alten Werkzeuge an den holzvertäfelten Wänden waren so sorgfältig poliert, dass sich die Nachmittagssonne darin spiegelte. Für einen kurzen Augenblick sah er sich und Tabea im Gasthof Leitner zu Mittag essen, doch er verwarf diesen Plan sofort wieder. Er konnte sich den deplatzierten Kommentar seines verwöhnten und naserümpfenden Nachwuchses beim Anblick der Gaststube lebhaft vorstellen und wollte diesen sowohl

Скачать книгу