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      Judith Arendt

      Helle und der falsche Prophet

      Der dritte Fall für Kommissarin Helle Jespers

      Ein Dänemark-Krimi

      Atlantik

      I.

      He’ll wrap you in his arms

      Tell you that you’ve been a good boy

      He’ll rekindle all the dreams

      It took you a lifetime to destroy

      He’ll reach deep into the hole

      Heal your shrinking soul

      But there won’t be a single thing that you can do

      He’s a god, he’s a man

      He’s a ghost, he’s a guru

      They’re whispering his name through this disappearing land

      But hidden in his coat

      Is a red right hand

      Nick Cave, Red right hand

      Aalborg

      »Es ist für dich.«

      Schon an ihrer Stimme hörte er, dass etwas nicht stimmte.

      Er ging durch den Flur und sah den Rücken seiner Frau in der geöffneten Tür. Die Schultern hochgezogen, rückzugsbereit. Marit drehte sich auch nicht um, als sie ihn hinter sich hörte.

      Willem stoppte. Hielt den Atem an. Er wusste, wer draußen vor der Tür stand. Konnte das wirklich sein? Ein Schauer lief seine Wirbelsäule hinab. Zu gern hätte er sich gesagt, dass es nur Einbildung war. Die alten bösen Geister, die ihn nicht losließen.

      Aber.

      Er konnte ihn spüren, noch bevor er ihn sah.

      Seine Aura.

      Das Böse.

      Er ging zu seiner Frau, legte seine Hand auf ihren Rücken und nickte Marit zum Zeichen, dass sie sich zurückziehen konnte, zu. Er würde jetzt hier übernehmen. Zögernd wich Marit zurück, aber als sie merkte, dass er ihr mit seinem Körper den Blick versperrte und sich vor dem Fremden aufbaute, ließ sie ihn allein.

      »Was willst du?«

      Die Augen zwei Kohlestücke. Die langen Haare waren weiß geworden, er hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Der Bart war ordentlich gestutzt, die Klamotten unauffällig. Das Wilde war verschwunden, auf den ersten Blick. Aber Willem ließ sich nicht täuschen, auch nicht nach zwanzig Jahren. Es war alles noch da. Das Wilde und das Böse. Das Magnetische und, ja, auch das Unwiderstehliche.

      Er war die Flamme, so nannten sie ihn.

      Willem spürte, wie seine Handflächen feucht wurden. Vor ihm stand sein Albtraum, stand der, der ihn nicht schlafen ließ, seit damals. Es kam nicht mehr so häufig vor, aber ab und an schreckte er nachts aus dem Schlaf hoch, nicht immer schreiend, aber jedes Mal schweißgebadet. Wie hatte er sich gewünscht, dass diese Zeit ein für alle Mal aus seinem Leben verschwinden würde, aber es hatte nicht funktioniert und nun kamen sie ihn holen.

      »Was willst du?«, wiederholte er, nachdem der Mann vor ihm ihn nur ansah, ruhig, gelassen.

      Dieser ließ sich Zeit mit der Antwort. »Wir treffen uns an der Bushaltestelle.«

      Damit drehte sich der Mann um und ging ruhig über die Straße. Willem folgte ihm mit den Augen, seine Knie wurden weich. Ihm zu begegnen war unmöglich, er konnte ihn nicht ansehen, sich nicht neben ihn setzen, nicht nach all dem, was er ihm angetan hatte.

      Aber er wusste, würde er dem Befehl – und nichts anderes war es – nicht Folge leisten, würde alles nur noch schlimmer werden.

      »Wer war das?«

      Marit sah ihn an, in ihrem Blick lag Besorgnis. Zu Recht, dachte er.

      »Ein Informant. Ich treffe ihn gleich an der Bushaltestelle.«

      »Woher weiß er, wo du wohnst?«

      Willem zog sie an sich, aber seine Frau blieb steif. »Keine Ahnung. Vielleicht hat er mich zufällig gesehen.«

      »Er ist seltsam.« Marit schob sich von ihm weg und sah ihm ins Gesicht. »Ich möchte nicht, dass solche Typen wissen, wo du wohnst, Will. Das ist nicht gut.«

      »Es kommt nicht wieder vor. Versprochen.« Er gab ihr einen Kuss. »Ich rede mit ihm, jetzt gleich.«

      Marit nickte. »Mir gefällt das nicht. Die Kinder …«

      »Schon gut! Ich sorge dafür, dass er nicht noch mal auftaucht.« Er schnappte sich ein Stück Gurke vom Schneidebrett und gab sich unbekümmert. »Der Typ ist harmlos«, schob er hinterher, und Marit lächelte.

      »Okay. Tut mir leid. Ich bin ein bisschen zu empfindlich.« Instinktiv legte sie eine Hand auf ihren Bauch.

      Willem lächelte auch, küsste sie und sah zu, dass er aus dem Haus kam. Er musste es hinter sich bringen, was immer es auch war. Von wegen harmlos. Der Mann war alles andere als das. Er war die Flamme. Aber er war auch das Schwert und die Peitsche. Die sieben Plagen und das Beil. Er war Richter, Henker und Waffe in einer Person.

      Der Mann saß auf der Bank an der Haltestelle. Aufrecht, die Hände gefaltet, in sich ruhend. Als Willem neben ihm Platz nahm, aufgewühlt, kam keine Regung von dem Mann neben ihm. Nichts. Der Mann hatte gewusst, dass er kommen würde, er war nicht verwundert, er nahm es für selbstverständlich. Aber er wäre nicht zu ihm, Willem, gekommen, wenn es nicht wichtig wäre, das war ihm völlig klar. Um die Flamme aus ihrem Königreich zu locken, bedurfte es eines außerordentlichen Vorkommnisses. Die Flamme kam nicht so ohne weiteres. In seiner Zeit im Königreich hatte Willem es niemals erlebt, dass er sich selbst bemüht hätte. Er hatte für alles seine Diener und Boten.

      Es musste also etwas Besonderes sein.

      Oder die Zeiten hatten sich geändert, dachte Willem. Auch tausendjährige Reiche hat man schon fallen sehen.

      Er schwieg. Die Flamme sollte reden.

      Der griff stattdessen in die Innentasche seiner Jacke und reichte Willem ein Bild. Ein junger Mann, Anfang zwanzig, nicht älter. Die Haare lang, brav gescheitelt. Er sah aus wie irgendjemand, nichts an seinem Gesicht wäre Willem im Gedächtnis geblieben, hätte er nicht die frische rote Wunde, die sich quer über seine Wange zog.

      Sie taten es also noch immer.

      Willem konnte nicht anders, als auf die Wunde zu starren, eine Wunde, die verheilen würde, aber während er auf die Wunde des Jungen blickte, schmerzten die Narben auf seiner Seele.

      »Was hat er getan?«, fragte er, und noch während die Worte aus seinem Mund fielen, wusste er, dass er keine Antwort bekommen würde.

      Der Mann stand auf, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

      »Finde ihn.«

      »Warum ich?«

      Jetzt drehte sich die Flamme um und lächelte. Sah ihm direkt in die Augen, in die Seele, in sein verwundetes Ich und lächelte.

      »Weil du schon damals ein besonders pflichtbewusster Soldat warst.«

      Damit ließ er ihn stehen. Drehte sich um und ging.

      Willem blieb auf der Bank an der Bushaltestelle sitzen, unfähig, sich zu bewegen.

      Die alte Angst war zurückgekommen. Eine zwanzig Jahre alte Angst. Mit niemandem konnte er darüber sprechen. Nicht einmal mit Marit, denn sie kannte den Willem DANACH. Sie wusste nichts von dem DAVOR.

      Er konnte es also nicht erzählen, aber dennoch wagte er es nicht, den Befehl zu ignorieren. Sehet nun, dass ich’s allein bin, und ist kein Gott neben mir! Ich kann töten und lebendig machen, ich kann schlagen und kann heilen, und

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