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sagte ich. »Herzlichen Glückwunsch, Linus! Wer ist die Mutter?«

      Oh, danke – die Mutter ist ein gelbes Seepferdchen, das ich neulich getroffen habe, meinte Linus, der etwas erschöpft klang. An alle kleinen: Ihr könnt hierbleiben, solange ihr wollt, aber auch gerne rausschwimmen ins Meer, okay?

      Linus, das ist so dermaßen egoistisch von dir!, schimpfte Nox, der Papageifisch, dem gerade zwei der Neugeborenen um den Kopf schwirrten wie Fliegen. Er bewegte eine Flosse und die kleinen wurden weggewirbelt wie von einem schweren Sturm. Wie viele Kinder hast inzwischen? Und das alles nur, weil du nicht bei Verwandlung und Kampfunterricht mitmachen musst, während du schwanger bist!

      Gar nicht wahr, sagte Linus eingeschnappt. Ich brüte einfach gerne. Inzwischen müsste ich zehn Kinder haben. Oder so.

      »Kümmerst du dich überhaupt nicht um sie?«, fragte Shari, auch sie klang skeptisch. »Was ist, wenn einige davon Seawalker sind, die sich irgendwann mal unter Wasser verwandeln und dann in ihrer Menschengestalt ertrinken?«

      »Und könntest du wirklich ertragen, wenn einige der kleinen gefressen werden?«, fragte Chris, unser schlaksiger blonder Surfer, in zweiter Gestalt ein Kalifornischer Seelöwe.

      Na ja, so ist das halt im Meer und ich krieg das doch eh nicht mit, wandte Linus ein und sein Publikum stöhnte auf.

      In mir formte sich ein dicker Knoten Bitterkeit. Eltern, die sich nicht für ihre Kinder interessierten … das kam mir leider sehr bekannt vor.

      »Linus, wenn du dich weiter einfach so fortpflanzt, benimmst du dich wie eine miese Ratte«, sagte Ella, die wie immer perfekt gestylte Python-Wandlerin an unserer Schule, die heute ein himbeerfarbenes bauchfreies Top und einen weißen Minirock trug.

      Ein Ruck ging durch mich hindurch. »Miese Ratte« … früher hätte ich selbst so was garantiert auch gesagt. Aber das war, bevor ich festgestellt hatte, dass mein ehemaliger Mitschüler Rocket ein Ratten-Wandler war. Er konnte zwar gemein sein, aber im Grunde war er schwer in Ordnung. Er hatte mir gegen die Giftmüllgangster und Lydia Lennox geholfen, ohne ihn wäre es mir übel ergangen. Zwar wollte er auf seiner normalen Schule bleiben, aber ich hatte ihm versprochen nachzufragen, ob er bei uns Nachhilfe in Verwandlung und solchen Sachen bekommen konnte.

      »Ratten sind gar nicht so schlimm«, mischte ich mich ein und sah gleichzeitig, wie Toco Ella mit finsterem Gesicht etwas ins Ohr flüsterte. Ellas Augen füllten sich mit kalter Wut. Ah, da hatte wohl jemand von meinem Frühstückskampf erfahren und natürlich hielt sie zu ihren Verwandten.

      Doch nicht Ella war es, die ich gerade ansehen wollte, sondern Shari. Sie hatte mich bemerkt und mir zugenickt, aber eher beiläufig. Mochte sie mich noch oder hatten meine blöden Bemerkungen etwas zwischen uns kaputt gemacht? Keine Ahnung.

      Weil ich das Nachgrübeln nicht aushielt, beschloss ich – auch um mich abzulenken –, unsere Lehrer wegen Rockets Nachhilfe zu fragen. Jasper blieb in der Eingangshalle, aber ich ging hoch in den ersten Stock, wo das Büro unseres Schulleiters Mr Clearwater war.

      Als ich gerade am Sekretariat vorbeiging, holten Ella und ihre Freunde Toco und Barry mich ein. Instinktiv stellte ich mich im Gang mit dem Rücken zur Wand, damit sie mich nicht von hinten attackieren konnten. »Was wollt ihr denn jetzt schon wieder?«

      Die drei rückten näher. »Gerade habe ich gehört, dass du Tocos Cousin Kegor wehgetan hast – du hast es immer noch nicht kapiert, was?«, fauchte Ella. »Jedes Reptil hier an der Schule steht unter dem Schutz meiner Mutter!«

      »Und Jasper steht unter meinem Schutz«, erinnerte ich die drei.

      Der blasse, rothaarige Toco näherte seine Lippen meinem Ohr: »Du bist der letzte Dreck, du stinkst und niemand will dich hier, wann kapierst du das endlich?«

      »Zischt ab, ihr Deppen – und lasst euch mal was Neues einfallen«, gab ich zur Antwort.

      Vielleicht hätte ich das besser nicht sagen sollen. Die drei zogen zwar ab, aber als Toco an mir vorbeiging, teilverwandelte er seine Finger zu Klauen, um sie mir über den Arm zu ziehen.

      Tigerhaie sind schnell, verdammt schnell. In einer raschen Bewegung wich ich zur Seite aus … und prallte gegen Ella, die wohl versucht hatte, mir den Weg abzuschneiden. Erst als Ella aufschrie, merkte ich, dass ich mich ebenfalls teilverwandelt hatte, mein Arm war nicht mehr braun wie sonst, sondern hellgrau.

      »Er hat mich verletzt!« Fassungslos zeigte Ella ihren Kumpanen ihre Körpermitte unter dem bauchfreien Top. Erschrocken sah ich die große, blutende Abschürfung dort. Erst als ich über die Haihaut meines Arms strich, die rau war wie grobes Schmirgelpapier, begriff ich, was passiert war. Wer einen Hai berührt, blutet.

      »Du bist tot, Mann!«, versicherte mir Barry und Toco versuchte, mich mit Blicken zu erledigen. Mehr traute er sich wahrscheinlich nicht direkt vor dem Sekretariat.

      Ella schluchzte nun, ihre Stimme klang hoch und quiekig. »Oh Gott, tut das weh … Mrs Misaki muss das desinfizieren! Schnell! Was ist, wenn das eine Narbe gibt?«

      Drei hasserfüllte Blicke trafen mich. Dann verfrachteten die beiden Jungs ihre Angebetete ins Schulsekretariat zu Mrs Misaki, die auch über das Krankenzimmer und dessen Ausrüstung herrschte.

      Gegen die Wand gelehnt, versuchte ich, meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Das war doch wie verhext – ich hatte Ella nie etwas tun wollen und trotzdem passierte es mir immer wieder, dass ich ihr ganz ohne Absicht wehtat oder sie lächerlich machte! Irgendwie konnte ich verstehen, dass sie mich mehr und mehr hasste.

      Was jetzt? Du bist tot, Mann, klang es mir noch im Ohr und inzwischen wusste ich, wie übel Ellas Mutter Lydia Lennox drauf war … und wie viel Einfluss sie als reiche Anwältin hatte. Nicht nur sie, sondern auch ihre Bodyguards – die Tigerzwillinge – waren der pure Albtraum. Für Lydia Lennox war ich schon seit meiner ersten Zeit an der Schule der Feind ihrer Tochter und damit eine niedere Lebensform, die man unter dem Absatz zerstampfen musste.

      Ich versuchte, die Angst wieder dorthin zurückzustopfen, wo sie hergekommen war. Wenn es so weit war, würde ich mich wehren, so gut ich konnte. Aber jetzt ging es nicht um mich, sondern um Rocket. Ohne weiter zu zögern, klopfte ich beim Büro des Schulleiters und ein »Herein« ertönte.

      Erstaunt blickte ich mich in Jack Clearwaters Büro um, in dem nicht etwa nur unser Schulleiter saß, sondern sämtliche Lehrer versammelt waren. Neugierig musterte ich die gebeugte Frau mit zerknittertem Gesicht und silbrigem Haar in einer Pagenkopffrisur. Das musste Mrs Pelagius sein, unsere Lehrerin für Geschichte und Gewässerkunde – ich hatte sie noch nie in Menschengestalt gesehen, meist schwamm sie als Grüne Meeresschildkröte im Erdgeschoss oder im Meer herum. Wir tauschten ein Lächeln.

      Unser Mathe-, Physik- und Verwandlungslehrer Farryn García blickte mich abwesend an, als hätte er vergessen, wer ich war, und auch Jack Clearwater wirkte irgendwie abgelenkt. Eigenartig war auch, dass der Fernseher lief, doch Mr García schaltete ihn aus, bevor ich mitbekam, welche Sendung sie geschaut hatten.

      »Ja? Was willst du, Tiago?«, fragte mich unser junger Schulleiter.

      »Ich … ich habe gemerkt, dass ein Junge aus meiner alten Klasse in Miami ein Woodwalker ist«, berichtete ich ein bisschen eingeschüchtert.

      »Tatsächlich? Was für einer?«, fragte Mr García.

      »Eine … äh … Ratte.« Ich war nicht sicher, wie das ankommen würde, doch niemand verzog eine Miene. »Er … ich soll fragen, ob es möglich wäre, dass er hier ein bisschen was lernt, über Verwandlung und so … er könnte manchmal am Nachmittag hierher nach Key Largo kommen.«

      »Ich fürchte, das geht im Moment nicht«, sagte Jack Clearwater. Er war ein hochgewachsener junger Mann mit hellblonden Haaren, die mich immer daran erinnerten, dass er in zweiter Gestalt ein Weißkopf-Seeadler war. »Wir haben wegen der vielen neuen Schüler aus den Sümpfen leider keine Zeit für so was.«

      »Zum

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