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die Stifte und schob die Steine zu einem Haufen zusammen. Er sah aus, als wäre er schlechtgelaunt. Was kaum überraschend war. Offenbar hatte er bis vier Uhr morgens Videospiele gespielt, außerdem fühlte er sich selbst ausgeruht bei gesellschaftlichen Anlässen wie diesem nie sehr wohl.

      Zoe ließ sich auf den Stuhl neben ihm sinken und fragte sich, wie sie ihn aus seiner Stimmung herausreißen konnte. Zum Tanzen konnte sie ihn nicht bewegen, obwohl die Band an der Stirnseite des Saales sich als halbwegs brauchbar erwies.

      Sie fühlte sich erschöpft. Während des Abendessens hatte es einige angespannte Momente gegeben. Ginas Cousin, ein lauter, wichtigtuerischer Mann um die fünfzig, hatte beobachtet, wie Angeline »zu rosa« gemurmelt und einen Teller mit Räucherlachs weggeschoben hatte. »Komm schon! Hau rein!«, hatte er zu ihr gesagt. »Niemand mag dürre Mädchen!«

      Die Wirkung war unmittelbar und verheerend gewesen. Angeline war aschfahl geworden, aufgesprungen und aus dem Saal gestürzt. Maeve hatte Zoe mit hilfloser Miene kopfschüttelnd angesehen, und Zoe war Angeline nachgeeilt. Sie hatte sie weinend in einer Kabine der Damentoilette gefunden und zwanzig Minuten gebraucht, um sie zur Rückkehr an den Tisch zu überreden. Bis dahin waren die Vorspeisen abgeräumt und das aufgetischte Beef Wellington fast kalt.

      Während des weiteren Essens hatte es zehn ruhige Minuten gegeben, bis Maeve aufgestanden war, um sich mit der Braut zu unterhalten, stolperte und eine schlanke Frau Mitte vierzig in einem elfenbeinfarbenen Seidenkostüm mit Rotwein bekleckerte. Natürlich hatte es eine Sauerei gegeben, doch das Opfer war trotz Maeves ausgiebiger Entschuldigung boshaft und zickig geblieben, hatte jede Hilfe beim Aufwischen abgelehnt und erklärt, dass ihr Kostüm ruiniert sei und ersetzt werden müsse.

      Schließlich hatte Maeve die Frau laut angefaucht: »Sie haben Wein auf Ihre Kleider bekommen, na und? Deswegen müssen Sie sich nicht benehmen wie ein Arschloch. Sie sind erwachsen und sollten langsam wissen, dass nicht immer alles nach Ihren Wünschen läuft, okay?«

      Zoe hätte ihre Freundin liebend gern abgeklatscht, aber weil der gesamte Tisch des Brautpaars herübergestarrt hatte, musste sie ihre Schadenfreude unterdrücken. Aber sie hatte Ginas Blick aufgefangen und ihr zugezwinkert.

      Victor hatte sich während des gesamten Essens benommen und es sogar geschafft, Ginas anderen Cousin in eine politische Diskussion zu verwickeln, die freundlich geblieben war. Er hatte sich höflich die Reden der anderen angehört, und Zoe war unendlich dankbar gewesen, dass er seinen Jähzorn im Zaum hielt.

      Aber jetzt hatte sie ein flaues Gefühl im Magen. Sie erkannte die Anzeichen. Er versank in schlechter Laune, und meistens konnte nur Zoe ihn wieder herausreißen. Aber selbst sie war nicht immer erfolgreich, und das Bemühen, ihn irgendwie zu bändigen, konnte erschöpfend sein.

      Sie versuchte es mit einem naheliegenden Thema. »Guck dir mal die verdammte Torte an«, sagte sie und stand auf.

      Victor erhob sich nicht mit ihr, deshalb näherte sie sich allein der Kreation in Pink und Weiß und zückte ihr Handy, um ein Foto zu machen. Sie wusste, dass Gina die Torte selbst gemacht hatte. Gott, sie war wirklich gut.

      Sie wartete, dass Victor sich noch zu ihr gesellen würde, aber er blieb sitzen, und es war Felix, der irgendwann an ihrer Seite auftauchte. Der Silberfuchs, wie die anderen Kellnerinnen ihn nannten. Er war ein Stammgast des Cafés, immer elegant gekleidet und der attraktivste Mann über fünfzig, den Zoe kannte. Wie die anderen weiblichen Baristas flirtete auch Zoe gern locker mit ihm und tauschte Komplimente aus; die Galanterie, mit der er darauf einging, war immer ein Höhepunkt des Tages.

      Als sie ihn jetzt sah, in seinem hellgrauen Anzug und der azurblauen Krawatte noch weltmännischer als üblich, musste sie lächeln. »Todschick!«

      »Das wollte ich gerade sagen«, erwiderte er und beugte sich vor, um Zoe flüchtig zu umarmen. »Sie sollten ernsthaft erwägen, dieses Outfit zur Arbeit zu tragen«, fügte er lächelnd hinzu.

      »Ha, es wäre binnen Minuten ruiniert«, entgegnete sie. »Sie haben ja keine Ahnung, wie viele Flecken ein schwarzes T-Shirt verbirgt.« Sie legte eine Hand auf seinen Arm. »Schön, dass Sie hier sind. Ich habe Sie bei der Trauung gar nicht gesehen.«

      »Ich war zu spät«, sagte er mit einem angedeuteten Seufzer. »Meine Mieterin hatte sich ausgesperrt, und dann hat sich herausgestellt, dass sie den Schlüssel in Wahrheit seit Wochen nicht mehr gesehen und die Tür seitdem einfach angelehnt hatte. Ich musste also ein neues Schloss besorgen und anbringen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich überlege, im Fragebogen für meine potenziellen Mieter abzufragen, wie organisiert jemand ist. Und vielleicht um einen Prokrastinationstest.«

      »Oh, ich helfe Ihnen!«, bot Zoe an. »Ich habe neulich eine Dokumentation darüber gesehen, wie man erkennt, ob jemand lügt.«

      »Sie sind engagiert«, sagte er. »Dafür kriegen Sie zehn Prozent von meinem Stück von der Hochzeitstorte.«

      »Hey! Ich will mindestens die Hälfte.«

      »Ich sag Ihnen was, wie wär’s wenn ich Ihnen einen Gin spendiere, und Sie dürfen den ganzen Kuchen behalten?«

      »Wenn Sie sicher sind, dass Sie sich bis zur Bar durchschlagen können«, sagte Zoe und zog eine Augenbraue hoch.

      Felix legte einen Arm um ihre Schulter. »Deswegen müssen Sie mitkommen und mich beschützen.«

      Und dann war auf einmal Victor neben ihnen und sagte leise und unfreundlich: »Verzeihung. Haben Sie sie gefragt, ob Sie sie anfassen dürfen?«

      Felix ließ den Arm sinken und sah Victor erstaunt an.

      »Alles in Ordnung, Victor«, sagte Zoe bemüht locker. »Ich wollte ihm bloß helfen, sich an die Bar vorzukämpfen.«

      Victor machte einen Schritt auf Felix zu. »Sie ist nicht bei der Arbeit. Sie können gehen, sich Ihren Drink holen und sie in Ruhe Spaß haben lassen.«

      »Victor«, sagte Zoe und spürte die Hitze in ihrem Gesicht.

      »Schon okay«, sagte Felix ruhig und nickte Victor zu. »Ich verstehe, dass Sie auf Ihre Freunde aufpassen. An Orten, wo der Alkohol in Strömen fließt, können Menschen verwundbar sein. Besser, man gibt aufeinander acht.«

      Es folgte ein langes angespanntes Schweigen, Victor starrte Felix an. Und Victor konnte wirklich starren. Sie hatte gesehen, wie jüngere, kräftigere Männer vor ihm zurückgewichen waren. Aber Felix wirkte nicht im Geringsten eingeschüchtert.

      Das Blickduell wurde unterbrochen, als die Band auf der anderen Seite des Raumes die Mikrophone testete. Felix lächelte. »Ich steuere die Bar an. Ihr jungen Leute solltet tanzen.«

      Zoe fasste Victors Arm und spürte die angespannten Muskeln in seinem Unterarm, während er Felix nachsah. Sie versuchte zu lachen. »Wir sind junge Leute. Das bedeutet, wir müssen tanzen.«

      »Auf keinen Fall«, sagte Victor, dessen Blick immer noch an Felix’ sich entfernender Gestalt klebte.

      »Im Ernst«, sagte Zoe, »mach dir seinetwegen keine Gedanken. Er ist eine alte Tunte, die gern flirtet, und wäre beschämt, denken zu müssen, dass er sich danebenbenommen hat.«

      »Er ist schwul?«, fragte Victor.

      »Ja, alle Mädchen glauben das«, sagte Zoe überzeugter, als sie war. In Wahrheit hatte sie keine Ahnung von Felix’ sexueller Orientierung, und es war auch vollkommen belanglos. Er war so alt wie ihr Vater, Herrgott noch mal.

      Angelockt von der Musik, strömten zahlreiche Gäste zurück in den Speisesaal. Zoe fragte sich, ob Gina und Michael den Tanz eröffnen würden, doch die Musik, die gespielt wurde, war eher lebhaft. Offensichtlich wollte man die anderen Gäste zum Tanzen animieren.

      »Die Bar leert sich«, sagte Zoe. »Geh und rette Angeline vor dem Lebensphilosophie-Vortrag, und ich besorg uns Jägerbombs.«

      Victor sah sie skeptisch an, setzte sich jedoch in Bewegung, als sie ihm einen Stups gab.

      Lächelnd ließ sie ihn zurück, doch als sie sich einen Weg durch die tanzende Menge bahnte, fühlte sie sich noch erschöpfter

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