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Letzte Erzählungen. William Trevor
Читать онлайн.Название Letzte Erzählungen
Год выпуска 0
isbn 9783455008296
Автор произведения William Trevor
Жанр Современная зарубежная литература
Издательство Readbox publishing GmbH
Sie waren entfernte Verwandte, lebten schon, seit seine Mutter vor zwölf Jahren gestorben war und sein Vater im Winter darauf, zusammen auf dem Gehöft. Ein anderer Verwandter hatte zu dieser Verbindung geraten, da Martina alleinstehend war und nur gelegentlich Arbeit fand. Andernfalls wäre ihr Cousin – denn sie hatten sich darauf geeinigt, dass sie Cousins waren – in ein Heim gebracht worden; und sie selbst hatte nur wenig zu verlieren, wenn sie auf einen Bauernhof käme, dessen Weideland aufgeteilt worden war und gegen jährliche Zahlungen verpachtet wurde und wo man hin und wieder ein weiteres Feld verkaufen konnte. Martinas Cousin, der schon von Geburt an behindert war, hatte für Martina den Vorzug einer vertraglichen Vereinbarung: Irgendwann würde sie erben, was ihm noch geblieben war. Oft vermuteten die Leute, er sei längst gestorben, die Leute in Carragh und die Leute aus der weiteren Umgebung, die den Bauernhof nie besuchten; wenn man mit ihnen redete, konnte man es geradezu spüren. Martina selbst erwähnte ihn nie von selbst, es sei denn, sie wurde auf ihn angesprochen. Es gab einfach nichts zu sagen, weil nichts sich verändert hatte, nichts, wozu sie sich hätte äußern können.
Als sie nach unten kam, war er vor lauter Whiskey eingeschlafen, und er schlief durch, bis ihn um sechs Uhr Geschirrgeklapper und das Brutzeln des Pfannenfrühstücks weckte. Sie wollte, dass er sich an bestimmte Zeiten hielt, und richtete sich auch selbst danach. Den Wecker auf der Anrichte zog sie immer wieder auf; morgens und abends nach dem Radio gestellt, ging er auf die Minute genau. Als Erstes sammelte sie die Eier ein, die in der Nacht gelegt worden waren. Sobald sie den Frühstückstisch gedeckt hatte, holte sie ihren Cousin aus dem hinteren Zimmer in die Küche. Wenn er gefrühstückt und sie das Geschirr gespült hatte, machte sie die beiden Betten. An Tagen, an denen sie nach Carragh fuhr, verließ sie das Haus um Viertel nach zwei; das hatte sie sich so angewöhnt. Normalerweise war er um diese Zeit vor dem Herd eingeschlafen, es sei denn, er hatte einen Streit vom Zaun gebrochen. War das der Fall, konnte es den ganzen Tag so weitergehen.
»Die Polen werden uns lästig fallen.« Weil in der Pfanne Leberscheiben brutzelten, musste sie die Stimme heben. Beim geringsten Geräusch – Geschirrklirren oder Kochgeräusche, das Klappern des Kesseldeckels – behauptete er, sie nicht hören zu können. Doch sie wusste, dass er es konnte.
Auch jetzt sagte er, er könne sie nicht hören, aber sie ignorierte ihn. Er sagte, er wolle noch einen Schluck Whiskey, und auch das ignorierte sie.
»Die werden uns schon nicht lästig fallen«, sagte er, »Jungs wie die.«
Er sagte, sie seien sauber, man brauche sie nur anzuschauen. Er sagte, sie würden ihr Gesellschaft leisten.
»Du bekommst doch kaum mal jemanden zu Gesicht, Martina. Das weiß ich, Mädel. Weiß ich das nicht schon die ganze Zeit?«
Sie schlug das erste Ei in die Fettlache, die sich beim Kippen der Pfanne gebildet hatte. Sie konnte mit einer Hand ein Ei aufschlagen und den Inhalt in die Pfanne geben. Jeder bekam zwei.
»Es braucht einen Anstrich«, sagte er.
Sie ließ den Satz unkommentiert. Sie sagte nicht, dass er das gar nicht wissen könne; wie sollte er, da sie es nicht mehr schaffte, ihn nach draußen auf den Hof zu bringen? Das hatte sie schon seit Jahren nicht mehr geschafft.
»Er tut mir gut«, sagte er. »Der alte Tropfen Whiskey.«
Sie stellte das Radio an, und es erklang Musik aus früheren Zeiten.
»Furchtbares Zeug«, bemerkte er.
Auch diesen Satz ließ Martina unkommentiert. Als die Leberscheiben gebräunt waren, hob sie sie aus der Pfanne und tat sie zusammen mit den Eiern auf die Teller. Sie brachte ihn zum Tisch. Er habe schon genug Whiskey getrunken, sagte sie, als er um mehr bat, und in der Küche wurde kein Wort mehr über das Thema verloren.
Als sie gegessen hatten, brachte sie ihn zu seinem Bett, aber eine Stunde später schrie er, und sie ging zu ihm. Sie dachte, es sei ein Traum, aber er sagte, es seien seine Beine. Sie verabreichte ihm Aspirin und Whiskey, denn wenn er beides bekam, ließen die Schmerzen nach. »Komm ins Bett und wärme mich«, flüsterte er, und sie sagte nein. Sie fragte sich oft, ob die Schmerzen ihn verrückt gemacht hatten, ob sein Gehirn angegriffen war, wie so viele andere Körperteile auch.
»Weshalb haben sie dich Martina genannt?«, fragte er immer noch flüsternd. Der Name eines Mannes, sagte er; weshalb haben sie das getan?
»Ich hab dir davon erzählt.«
»Du hast mir viel erzählt.«
»Jetzt schlaf.«
»Ist die Pacht für das Weideland schon eingegangen?«
»Jetzt schlaf weiter.«
Die Malerarbeiten begannen an einem Dienstag, denn am Montag hatte es unablässig geregnet. Der Dienstag war schön, sonnig, mit einer sanften Brise, die die Farbe trocknen würde. In Carragh liehen die Anstreicher zwei Leitern aus und verbrachten den Tag damit, die Stellen zu spachteln, wo der Putz abgebröckelt war.
Am Vormittag brachte die Frau des Hauses, von der sie annahmen, dass sie die Frau des verkrüppelten Mannes war, Scones und Tee nach draußen, und als sie sie fragte, was für sie – morgens und nachmittags – der beste Zeitpunkt sei, zeigten sie auf die Uhr des älteren Bruders: elf und halb vier. Punkt halb vier brachte sie ihnen Kekse und Tee. Sie blieb eine Weile und unterhielt sich mit ihnen. Sie erklärte ihnen, wo sie in Carragh Dinge für den täglichen Bedarf kaufen könnten, und stellte ihnen Fragen. Ihr Lächeln war müde, aber sie hatte Geduld mit ihnen, wenn sie etwas nicht verstanden. Als sie wieder an die Arbeit gingen, sah sie ihnen zu, und als sie fragten, was sie von ihnen halte, antwortete sie, sie seien so gut wie nur irgendwer. Am Abend hatten sie die Ausbesserung des Putzes abgeschlossen.
Für Mittwoch war Regen vorhergesagt, und tatsächlich fiel am Nachmittag ein starker Regenguss, aus dem Westen herbeigeweht von einem bedrohlichen Sturm. Die Arbeit konnte nicht fortgesetzt werden, und die Anstreicher setzten sich in ihren Lieferwagen und warteten auf besseres Wetter. Zuvor, als sie noch arbeiten konnten, hatten sie im Haus laute Stimmen gehört, ein heftiger Streit, der von Schweigen unterbrochen wurde, bevor er wieder von neuem begann. Der ältere, dessen Englisch besser war, erklärte seinem Bruder, es gehe um Geld und um den Zustand der Ländereien. »Für meine Rente bin ich gut genug«, wiederholte der verkrüppelte Mann beharrlich. »Bin ich nicht nur wegen der paar Kröten hier, die ich einbringe?« Bald drehte sich der ganze erhitzte Wortwechsel um die Rente: Sie werde für Dinge ausgegeben, für die sie nicht ausgegeben werden sollte, dem verkrüppelten Mann bleibe gar nichts für sich. Die Anstreicher verloren das Interesse, aber die Stimmen sprachen immer weiter und waren sogar dann noch zu hören, wenn einer von ihnen den Lieferwagen verließ, um den Himmel zu betrachten.
Am späten Nachmittag gaben sie die Warterei auf und fuhren nach Carragh. Im Farbengeschäft fragten sie, wie lang das schlechte Wetter anhalten werde, und erhielten die Auskunft, dass die Vorhersage für etliche Tage nicht gut sei. Sie brachten die Leitern zurück und zahlten die Leihgebühr nur widerwillig, da sie keinen Gebrauch von ihnen hatten machen können. Es war ein Rückschlag, aber Rückschläge waren sie gewohnt, und als sie sich, abermals im Farbengeschäft, nach Arbeit erkundigten, erfuhren sie, dass ein Bauunternehmer, der im Stich gelassen worden war, für den Umbau einer stillgelegten Mühle – eine nur wenige Meilen entfernte, überdachte Baustelle – Leute einstellte. Schließlich sagte der Vorarbeiter zu, sie auf dem Bau zu beschäftigen.
Regen zeigte Wirkung auf den verkrüppelten Mann. Wenn es regnete, wollte er einfach nicht aufhören zu reden, denn dann war auch sie ans Haus gefesselt,