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Der rosa Wolkenbruch. Dorothea Böhmer
Читать онлайн.Название Der rosa Wolkenbruch
Год выпуска 0
isbn 9783749732678
Автор произведения Dorothea Böhmer
Жанр Биографии и Мемуары
Издательство Readbox publishing GmbH
***
Doris redete und redete.
Für ihre Mutter und Hedwig war Julie nicht erwachsen. Beide nahmen sie nicht ernst, konnten das auch nicht tun, sonst hätten sie sich mit sich selber und ihren eigenen Anschauungen auseinandersetzen müssen.
Seit Beginn ihres Studiums hatte sich Julie langsam, aber konsequent, von der Familie gelöst. Einfach war es nicht. Immer wieder rief die Mutter an, um versteckte Vorhaltungen zu machen: Wie gut man sie im Haushalt brauchen könnte. Und Hedwig bezeichnete Julie als skrupellos, weil sie nicht nach Hause fuhr. Verständlich, Hedwig konnte Arbeiten nicht mehr auf Julie abwälzen und musste selbst anpacken. Sogar Arnold nannte Julie eine Egoistin; er fuhr jedes Wochenende von der Domstadt, in der er studierte heim, um zu helfen. Julie blieb nicht nur bei ihrer Skrupellosigkeit, sondern baute sie aus. Zuerst fuhr sie nur alle vier Wochen nach Hause mit der Begründung, sie hätte viel zu lernen, dann alle sechs Wochen, dann alle acht und schließlich nur noch zu Feiertagen wie Ostern, Weihnachten und runden Geburtstagen. Jetzt, nach den harten Worten ihrer Mutter, hatte sie überhaupt keine Lust mehr, heim zu fahren.
***
Doris erzählte, dass eine Schulfreundin, die im Kirchenchor sang, bald heiraten würde.
Julie fragte sich, warum ihre Eltern sie als schwarzes Schaf bezeichnet hatten. Wahrscheinlich wegen ihrer rebellischen Fragen. Bestimmte Dinge durften nicht angezweifelt werden, die katholische Religion zum Beispiel und alles was mit Obrigkeit zu tun hatte. Worte des Pfarrers am Sonntag galten als unumstößliche Wahrheit. Wahrheit war einer der Lieblingsbegriffe von Julies Mutter und ein Kampfbegriff für Julie. Welche Wahrheit, wessen Wahrheit?
„Bevor du jemanden kritisierst, leiste erst das, was diese Person geschafft hat.“ So lautete die übliche Antwort des Vaters, sollte Julie der Meinung des Pfarrers ihre eigene entgegensetzten. Gingen dem Vater die Argumente aus, schrie er „Glaube heißt, nichts wissen“, zum Beispiel wenn Julie verkündete, dass sie die Jungfräulichkeit Marias für ein Ammenmärchen hielt. Im biblischen Urtext stand nämlich junge Frau, nicht Jungfrau. Das wusste sie von einem Theologiestudenten, der im Wohnheim lebte. Von der Mutter wurde Julie, sobald sie unbequeme Gedanken äußerte, zu irgendeiner Arbeit abkommandiert, z. B. Rechnungen sortieren im Büro, das ging zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Die Art und Weise wie die Familie lebte, galt bei den Eltern als richtig, davon abweichendes Verhalten falsch oder zumindest suspekt.
Julie seufzte. Sie hatte die Gehirnwäsche und den Kleinstadtmief gründlich satt. Deshalb hatte sie sich die Großstadt als Studienort gewählt. Welche Mühe es machte, den Schein der heilen Welt zu wahren. Julie und den Geschwistern war von klein auf eingeschärft worden, Dinge, die am Familientisch besprochen wurden, nicht nach außen zu tragen. Jeder Funken Lebenslust wurde durch Arbeit und antrainiertes Pflichtgefühl im Keim erstickt. Festgeklebt in einem Spinnennetz und eingesponnen wie eine Mücke, so kam sich Julie zu Hause vor.
Über ihren Vater war sich Julie nicht im Klaren. Zweifellos spielte er den Patriarchen, eine Position von ihrer Mutter nicht nur gestützt und gefördert, sondern geschaffen. „Der Mann ist der Kopf, die Frau ist der Hals der ihn lenkt.“ Wie oft hatte die Mutter Julies undiplomatischen Umgang mit Männern gerügt. Aber Julie hatte ihren eigenen Kopf und weiß Gott keine Zeit, einen zweiten zu lenken. Noch dazu wenn der dazu unfähig war. Im elterlichen Betrieb hatte die Mutter die Fäden in der Hand und wickelte den Vater um den Finger, wie er es gerne hatte. Gleichzeitig nahm sie ihm dadurch viel Arbeit ab, die sie sich selbst aufbürdete. Ihre Mutter arbeitete mindestens dreimal so viel wie ihr Vater, dessen war sich Julie sicher.
***
Die abgedunkelte Bar, das Stimmengewirr und die plätschernden Sätze von Doris entspannten Julie. Doris hatte ihre geistige Abwesenheit nicht bemerkt. Julie zwang sich jetzt, ihr zuzuhören.
„Ich werde heiraten und Kinder haben. Natürlich will ich meinen Lebensstandard halten. Bis ich Kinder habe, werde ich als Lehrerin arbeiten. Ich habe mir schließlich das Studium ausgesucht, weil ich in keinem anderen Beruf so viel Freizeit und Ferien habe. Er ist bestens mit Familie zu vereinbaren.“
Familie war das Stichwort. Julie ahnte, was folgen würde. Und es folgte.
„Du hast das alles weggeworfen. Wann hast du dich von Arthur getrennt? Vor vier Monaten? Ich verstehe dich einfach nicht. Er ist aus bestem Haus, studiert Jura, ist gutaussehend, zielstrebig und wollte sich mit dir verloben.“
Doris sprach wie Julies Mutter. Als Julie der darlegte, dass sie sich von Arthur getrennt hatte, weil sie nicht zusammen passten und sie ihn nicht mehr liebe, hatte ihre Mutter gesagt: „Darauf kommt es überhaupt nicht an. Wichtig ist, dass der Mann die Frau liebt, der Rest entwickelt sich schon.“
Julie wusste, dass es sinnlos war, sie antwortete Doris trotzdem:
„Ja genau. Er wollte sich verloben, um mich in einen Käfig zu setzen. Wie oft soll ich es dir noch erklären? Ich habe mich an seiner Seite nicht frei gefühlt. Statussymbole waren ihm wichtig, vom silbernen Kugelschreiber bis zu Designer-Klamotten.“
„Und was, bitte schön, ist schlecht an einem silbernen Stift und Markenkleidung?“
„Nichts, ganz im Gegenteil. Ich bin die erste, die sich über einen silbernen Kuli freut. Aber ich definiere mich nicht darüber. Das war es, was mich genervt hat. Nimm solchen Männern ihre teuren Spielzeuge weg, was bleibt dann noch? Nichts. Und seine Zukunftspläne für uns: Übernahme der Kanzlei seines Vaters im besten Viertel der Stadt, ein Haus am Stadtrand, Kinder. Ich hätte repräsentieren dürfen. Wundervoll. Pünktlich um 17.00 Uhr den Feierabend-Aperitif kredenzen, Häppchen mit Partygürkchen und bunten Paprikastreifen garnieren, Gäste unterhalten. Natürlich hätte ich auch berufstätig sein können, sollte ich Zeit dafür finden.“
Julie war verärgert über die Naivität von Doris, und Doris war sauer, dass Julie trotz ihrer vorlauten Art bei Männern gut ankam. Sie hätte Arthur sofort genommen. Irgendwann würde es Julie einsehen, dass eine Familie das Schönste auf der Welt war. Julie hatte ihrer Meinung nach extreme Ansichten, weshalb es sinnlos war, mit ihr über Beziehungen zu sprechen.
Doris und sie hatten zu unterschiedliche Vorstellungen von Beziehungen und vom Leben überhaupt. Julie hatte keine Lust, weiter über dieses Thema zu reden.
2
Mit vibrierenden Scheiben flitzte der kleine grüne Fiat über die Autobahn. Harry steuerte auf die Stadt zu, in der Christian Betriebswirtschaft studierte und versuchte Christian zu überreden, mit ihm weiter zu fahren in die Großstadt.
„Du brauchst die Vorlesungen morgen sowieso nicht. Wir gehen heute in die Kellerbar im Studentenwohnheim und morgen siehst du dir die große Kunstausstellung an. Schlafen kannst du bei mir im Zimmer.“
Harry hatte keinerlei Interesse an Kunst, wusste aber, dass er Christian damit locken konnte. Er hatte Lust, heute mit seinem Freund zu trinken. Christian zu überzeugen, war nicht schwer, denn er mochte sein Studienfach nicht. Erst hatte er auf Drängen seiner Eltern eine Lehre zum Bankkaufmann absolviert, dann ein entsprechendes Studium angehängt, das ihn genau so wenig interessierte wie die Lehre. Er spielte sehr gut Klavier und hätte am liebsten Musik studiert, für seine Eltern kam das nicht in Frage. Die Großstadt mit ihren Konzertsälen und Bühnen war für Christian seine Traumwelt, weshalb er nur kurz überlegte.
„Warum nicht, morgen sind keine wichtigen Veranstaltungen an der Uni, es reicht, wenn ich am Abend mit dem Zug zurückfahre.“
Leere Bierflaschen kegelten unter Christians Sitz nach vorne, als Harry das Gaspedal durchtrat und an der Ausfahrt „Zentrum“ vorbeifuhr.
„Christian, ist noch ein Bier auf dem Rücksitz?“
„Du solltest beim Autofahren nicht trinken.“
Christian öffnete die letzte Flasche mit dem Taschenmesser und reichte sie Harry.
„Ich weiß.“