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bitter. »Aber kurz darauf ging die Welt unter. Du willst doch nicht behaupten, dass du danach einfach so weitermachen konntest?«

      »Ich habe meinen Zivildienst beendet und eine Ausbildung begonnen. Später habe ich meinen Meister gemacht und leite jetzt einen eigenen kleinen Betrieb. Zurzeit bilde ich sogar zwei Lehrlinge aus. Und du?«

      »Ich bin Lehrerin.«

      »Das wolltest du damals schon.«

      »Und ich habe mich durchgesetzt. Mein Vater war gegen meine Berufswahl.«

      »Du hattest in den Nonnen starke Fürsprecherinnen.«

      Die drei Frauen, hinter denen Katinka unauffällig Posten bezogen hatte, wanderten geschlossen zur Sektbar. Katinka stand mit einem Mal für Anja und Tobias sichtbar da. Sie zog die Schlüssel aus der Hosentasche und ging auf Anja zu.

      »Ich habe unsere Zimmer identifiziert. Mit Hilfe von Herrn Gebsen.«

      »Ach?« Anja guckte erstaunt.

      »Hier, Ihr Schlüssel. Zimmer 202.«

      »Danke.« Anja nahm ihn. »Mir knurrt allmählich der Magen.«

      »Das Büffet wird gerade aufgebaut, danach soll eine Hausführung stattfinden. Schließen wir uns an?«, fragte Katinka.

      »Warum nicht, ich würde mitgehen, immerhin ist es lange her.« Anja sah versonnen an der Fassade hoch.

      »Also«, nickte Tobias, »ich besorge mir einen Snack. Man sieht sich.«

      »Oh Mann«, stöhnte Anja, als er außer Hörweite war.

      »Was war mit Kirsten?«, erkundigte Katinka sich.

      Alle Farbe wich aus Anjas Gesicht. »Kirsten?« Anja starrte auf den Schlüssel in ihrer Hand. »Welche Zimmernummer, sagten Sie?«

      »202. Im zweiten Stock mit Blick auf den Hof.«

      »Im zweiten Stock?« Jetzt sah Anja wirklich krank aus.

      »Gibt es damit ein Problem?«

      »Sagen Sie, liegen noch immer dieses Gemeinschaftsbad und die WCs am Ende des Ganges?«

      »Besichtigt habe ich sie nicht. Im Zimmer war jedenfalls keine Nasszelle.«

      »Mein Gott.« Anja wandte sich. »Ich glaube …«

      »Frau Riedeisen«, sagte Katinka. »Wovor haben Sie Angst?«

      »Lassen Sie uns was essen«, lenkte Anja ab.

      *

      10.

      Schwester Romana lud zur Hausführung, als fordere sie Freiwillige auf, in einen Boxring zu treten. Resolut in die Hände klatschend rief sie: »Die Hausführung fängt in fünf Minuten an. Bitte sammelt euch am Eingang!« Ihre Stimme trug weit über den Hof.

      Katinka stellte ihren Teller weg. Sie hatte sich eine Portion Reissalat genommen und trank rasch ein paar Schlucke Limonade hinterher. Mit Anja war nicht mehr zu reden. Sie hatte sich in eine Unterhaltung mit Gitta Krone geflüchtet und Katinka nicht einbezogen. Irgendein sehr spezielles Problem hat sie, dachte Katinka, während sie unweit der beiden Frauen stehen blieb und unaufmerksam den Ausführungen von Gitta Krone lauschte. Unter Pädagogik verstand die Erzieherin anscheinend, Menschen die korrekte, also ihre, Sicht auf das Leben und alles weitere beizubringen, und sie beschwerte sich bitterlich, dass ihre selbstlosen Bemühungen bis heute nicht anerkannt wurden.

      »Es wird immer schlimmer, Anja, das können Sie mir glauben. Heutzutage bewältigen Sie den pädagogischen Alltag nicht ohne eine Nahkampfausbildung. Ich bin so froh, dass Manfred und ich endlich aus allem raus sind. Internatsarbeit ist eine Stressbelastung wie in einem Flughafentower.«

      Katinka verdrehte die Augen, während sie ihre Klientin antippte. »Anja? Wir wäre es mit der Hausführung? Ich glaube, Herr Gebsen möchte sich auch anschließen.« Sie wies mit dem Kinn auf den Mann in seiner Motorradkluft, der sich bereits am Eingang aufgestellt hatte. Mit seinen fast zwei Metern überragte er alle anderen.

      »Ich komme gleich.« Demonstrativ wandte Anja sich wieder Gitta Krone zu.

      Katinka schloss sich den Leuten an der Eingangstür an. Eine Menschentraube wartete auf Schwester Romana, die die paar Stufen zum Haus hochstieg und alle aufforderte, nah beieinander zu bleiben. Freudiges Gelächter erklang.

      »Ihnen müssen die Räumlichkeiten ja vertraut sein«, sagte Katinka zu Tobias Gebsen, an dessen Seite sie sich wie selbstverständlich eingefunden hatte.

      »Das stimmt.« Er grinste Katinka an. »Warum siezen Sie eigentlich Ihre Freundin?«

      »Wir kennen uns noch nicht so lang. Waren Sie denn früher mit Anja befreundet? Oder hatte man nur miteinander zu tun, weil man zufällig am selben Ort arbeitete?«

      »Nein, wir unternahmen recht viel zu Beginn des Schuljahres. Abends mal flott nach Mellrichstadt runter, Disko. Ab November wurde das leider schwierig wegen des Wetters. Es schneit wie verrückt hier.«

      Die Gruppe folgte Schwester Romana einen Gang hinunter.

      »Unseren ehemaligen Schülern muss ich wohl nichts über die Musikübungsräume sagen, nicht wahr?«, dröhnte die Schwester. Katinka lugte in eine Kammer, gerade groß genug für ein Klavier und zwei Hocker.

      »Wenn die Anfänger Unterricht hatten, mied man die Ecke gern«, lachte Gebsen. »Manchmal hat einer geübt, ganz der brave Klavierschüler, und sein Kumpel konnte im selben Zimmer unbeobachtet den Moonwalk nach Michael Jackson üben. Der war anno dazumal total in.«

      »Hat Sie das nicht gestört? An so einem entlegenen Ort festzusitzen?«

      »Eigentlich nicht. Ich stamme aus der Gegend. Raues Wetter macht mir nichts aus. Zudem war der Hausmeister sehr nett zu mir und ein wahres Bastelgenie. Ich habe mich schon immer für Technik interessiert. Was ich bei ihm alles gelernt habe …«

      »Also hat sich der Zivildienst gelohnt.«

      Gebsen nickte. »Schauen Sie, Romana öffnet gerade die Tür zum Speisesaal. Lange Tische mit Stühlen, kein Bild an der Wand, drei tote Fliegen auf dem Fenstersims. So war das damals.«

      Katinka lachte. Gebsens lockere Art tat ihr gut, vor allem nach Anjas Geheimnistuerei. »Konnte einem auf den Appetit schlagen, schätze ich.«

      »Der Geräuschpegel hier drin war so hoch, dass Gehörschutz eine gute Investition gewesen wäre. Allerdings nur bis zu dem Moment, in dem das Essen auf den Tisch kam.«

      Katinka ließ den Blick schweifen. Ein ganzes Schülerleben so zu verbringen, eingetaktet in die Abläufe eines Tages – man musste dafür geboren sein.

      Aus Anlass der Geburtstagsfeier hatte man aus den langen Tafeln Sechsertische gemacht. Einige Frauen wirbelten durch den Saal, dekorierten, deckten die Tische. Die Atmosphäre knisterte, Vorfreude lag in der Luft.

      »Anja meinte, es hätte sogar ein Schwimmbad gegeben.«

      »Als ich hier Zivi war, ja. Später hat man das zugeschüttet. Zu pflegeintensiv, zu teuer.«

      »Ich nehme an, Sie waren so etwas wie ein Kleeblatt?«

      »Was?«

      »Sie, Anja und Kirsten?«

      »Wenn Sie so wollen … Wir haben uns gleich gut verstanden. Später hat sich Anja in Martin verguckt und ich mich in Kirsten.«

      »Wirklich?«

      »Ja, aber wir waren letztlich zu unterschiedlich. Ich kam aus einer Familie mit vier Geschwistern und den Großeltern, die bei uns lebten, war also an Umtrieb und Chaos gewöhnt. Kirsten hatte nur ihre Mutter und sehnte sich oft nach Ruhe. Die Mutter arbeitete an einem Theater. Kirsten kannte viele Schauspieler und andere kreative Leute. Ich war es gewohnt, mit praktisch denkenden Menschen zu tun zu haben. Am Anfang zogen wir einander an. Die viel beschworenen Gegensätze. Dann wurde es schnell schwierig. Die Erwartungen waren zu unterschiedlich. Zudem waren wir noch

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