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jetzt.«

      »Ja, ja, einverstanden, ich versichere dir, ich habe nicht übertrieben, was meine Tochter anbelangt«, beeilte sich Wigbert zu sagen und stürzte sein Bier in dem fast vollen Becher in einem Zug hinunter.

      Mühsam und schwankend erhob sich Wigbert von seinem Hocker und verließ, gefolgt von Cuntz, das Wirtshaus. Draußen waren die Gassen matschig. Der Winter hatte in den letzten Wochen die Natur fest im Griff gehabt, doch seit zwei Tagen war Tauwetter eingetreten, das den gefrorenen Untergrund in Schlamm verwandelt hatte. Der Winzer nahm Wigbert mit auf seinen Wagen, ließ die Leinen auf die dunkelbraunen Pferderücken klatschen, und die beiden Tiere zogen geduldig an.

      Als Wigbert und Cuntz die Kate betraten, war Helena gerade dabei, einen Brei aus Weizen zu kochen. Mit kräftigen Bewegungen rührte sie im Topf und gab noch ein paar verschrumpelte Zwiebeln hinzu, damit die Mahlzeit nicht ganz so fade schmeckte.

      »Helena, bring unserem Gast und mir etwas zu trinken«, forderte Wigbert seine Tochter mit schwerer Zunge auf.

      Helena blickte über die Schulter und betrachtete argwöhnisch den Fremden, der neben ihrem Vater stand. Groß gewachsen, breite Schultern, einen stattlichen Bauch vor sich hertragend, hellbraunes Haupthaar und einen etwas dunkleren Bart. Seine Gesichtszüge wirkten hart, und seine braunen Augen musterten Helena kalt. Sie holte zwei Becher und einen Krug mit Dünnbier. Beides stellte sie auf den Tisch, schenkte ein und wollte sich gerade wieder der Feuerstelle zuwenden, als Cuntz sie grob am Handgelenk packte.

      »Nicht so schnell, meine Hübsche.«

      Helena erstarrte und spürte einen Kloß in ihrem Hals.

      »Du hast nicht zu viel versprochen, Wigbert«, wandte sich Cuntz an seinen Gastgeber. »Ein hübsches Mädchen hast du da, und wenn ich mich hier so umsehe, hält sie deine Hütte in Ordnung.«

      Helena warf ihrem Vater einen fragenden Blick zu, doch dieser wich ihr aus.

      »Ich hab’s dir doch gesagt. Dann gilt jetzt unsere Abmachung«, krächzte Wigbert heiser.

      »Was für eine Abmachung, Vater?«, wagte Helena mit klopfendem Herzen zu fragen.

      Doch dieser blieb ihr die Antwort schuldig, senkte den Blick beschämt zu Boden. An seiner statt klärte der Winzer sie grinsend auf und gab ihren Arm frei.

      »Du kommst mit zu mir und arbeitest die Spielschulden deines Vaters ab.«

      Entsetzt riss Helena die Augen auf. »Wie konntest du nur?«, rief sie wütend. »Statt zu arbeiten, versäufst und verspielst du das Wenige, das wir haben! Und das am helllichten Tag. Ich …«

      Eine schallende Ohrfeige Wigberts brachte sie zum Schweigen. Ihre Wange brannte und Tränen stiegen ihr in die Augen, doch Helena drückte sie tapfer zurück. Sie würde sich keine Blöße geben und weinen. Fest presste sie ihre Kiefer zusammen. Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen, als sie seinen Blick erwiderte. Ihr Vater verschacherte sie wie ein Stück Vieh. Das würde sie ihm nie vergeben.

      »Koch den Brei fertig, dann gehst du mit Cuntz.«

      Seine traurigen Augen ließen sie wissen, es tat ihm leid, sie geschlagen zu haben.

      Nur gut, dass Mutter das nicht mehr erleben muss. Bestimmt dreht sie sich im Grabe um, dachte Helena zornig.

      »Du kannst deinen Brei alleine kochen, ich gehe gleich«, schleuderte sie ihm entgegen. »Oder frag Siegfried, vielleicht übernimmt der nun die Hausarbeit.«

      Cuntz Wengerter gefiel das Mädchen immer besser. Von wegen gehorsam. Eine kleine Rebellin war sie. Die Zeit mit Helena auf seinem Wingert versprach spannend zu werden. Er würde ihr ihre Widersetzlichkeit schon austreiben, freute sich der Winzer diebisch.

      »Stimmt genau, Wigbert, jetzt musst du wohl selbst den Brei rühren, es riecht schon ein wenig angebrannt«, feixte er. »Na komm schon, Mädchen, vor uns liegt ein ordentliches Stück Weg.«

      »Mein Name ist Helena«, sagte sie mit fester Stimme.

      Sie nahm den alten Mantel ihrer Mutter, der schon deutlich bessere Tage gesehen hatte, und verließ hoch erhobenen Hauptes die Kate, ohne ihren Vater eines Blickes zu würdigen. Cuntz folgte ihr auf dem Fuß, nicht ohne Wigbert zuzuzwinkern.

      »Steig hinten auf«, forderte der Winzer, hievte sich auf den Kutschbock und nahm die Zügel in die Hand. Der Wagen setzte sich in Bewegung.

      Als Winzer verdiente er gutes Geld und konnte sich Pferde und Wagen leisten. Helena war froh, dass sie nicht zu Fuß gehen musste. Ihre schäbigen alten Schuhe hielten mit viel Glück gerade noch diesen Winter über durch. Vielleicht war es ja ein Wink des Schicksals, dass ihr Vater beim Würfeln verloren hatte.

      Wenn ich mich anstrenge und fleißig bin und mich unentbehrlich mache, dachte sie, behält Cuntz mich vielleicht als Magd. Das wäre besser, als wieder zurück zu Vater zu gehen. Bestimmt sind die Schlafstätten für die Arbeiter auf dem Wingert trockener und wärmer als die in unserer armseligen, zugigen Hütte.

      »Helena! Helena!«

      Sie wandte den Kopf. Siegfried lief hinter dem Wagen her. »Wo fährst du hin? Was hat das zu bedeuten?«, schrie er aufgeregt.

      »Frag Vater! Und pass auf dich auf, Siegfried!«

      Cuntz ließ die Pferde antraben, und der Wagen entfernte sich schnell. Siegfrieds Gestalt, die mit hängenden Armen auf der Straße stand, wurde immer kleiner.

      Die ganze Fahrt über sprach Cuntz kein Wort mit Helena, der es aber gerade recht war. So konnte sie die vorüberziehende Landschaft bestaunen, denn aus Neckargemünd war sie kaum jemals herausgekommen. Der Fahrtwind war eisig, und Helena zog den fadenscheinigen Mantel enger um sich, doch es nutzte wenig. Sie hätte doch noch einen heißen Brei essen sollen. Der Gedanke an das karge Mahl ließ ihren Magen sich schmerzhaft zusammenziehen.

      Cuntz lenkte das Gespann vom Neckar in Richtung Süden, passierte Äcker und Wiesen und durchquerte Mischwälder. Schließlich gelangten sie zu dem Weingut. Der Wingert, die dazugehörigen Ländereien und die Gebäude waren seit Langem im Besitz der Familie Wengerter und Cuntz war nicht an einen Grundherren gebunden, wie manch andere Winzer. Zudem besaß er Allmendrechte, sodass er Weideflächen für eine kleine Viehherde nutzen konnte, um den Eigenbedarf an Fleisch und Milch zu decken. Ebenso räumten ihm die Allmendrechte ein, Holz für den Winter oder zum Bauen zu schlagen.

      Cuntz brachte die Pferde vor einem großen Steinhaus zum Stehen.

      »Wir sind da, steig ab«, sagte er und sprang selbst erstaunlich behände vom Kutschbock.

      Knechte eilten herbei, um die Pferde auszuspannen und den Wagen in eine Scheune zu schieben. Cuntz legte Helena die Hand auf den Rücken und schob sie in Richtung Haus, aus dem gerade eine ältere, rundliche Frau trat. Sie trug ein dunkelgrünes Oberkleid, das über dem Busen geschnürt war, ein längeres braunes Unterkleid lugte unter dem Saum hervor. Die Mitte ihres Leibes zierte eine ebenso braune Schürze, versehen mit Stickereien. Ihre Haare waren unter einer beigen Haube verborgen, die Füße steckten in warmen Stiefeln.

      »Cuntz, was hast du uns denn da nach Hause gebracht?«, fragte sie und wies mit dem Kinn auf Helena.

      »Hab ich beim Spielen gewonnen. Wir brauchen so oder so noch eine Magd, Agnes, und die hier ist umsonst.«

      »Beim Spiel? Ich hoffe, du hast mehr gewonnen als nur ein Kind. Wolltest du nicht die Finger von den Würfeln lassen?«

      Agnes Wengerter, Cuntz’ Schwester, schüttelte nachsichtig den Kopf und musterte das zierliche Mädchen mit hochgezogenen Augenbrauen. Ihre dunklen Augen blickten warm und mitleidig in Helenas blasses Gesicht.

      »Viel zu dünn. Wie heißt du, mein Kind?«

      »Helena, Herrin«, antwortete sie zaghaft.

      »Nun komm erst mal in die Küche, dann bekommst du etwas zu essen. Wie alt bist du?«

      »Zwölf, Herrin.«

      Die Aussicht auf etwas zu essen ließ ihren Magen so laut knurren, dass die Winzerleute

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