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und für den Fall, sollte er auf der Reise sterben, diesem die Vormundschaft für seine Kinder übertragen. Außerdem hatte Otto stellvertretend während Ludwigs Abwesenheit die Regierungsgeschäfte mit den kurfürstlichen Räten übernommen. Auf Otto war Verlass.

      Das Augenlicht des Kurfürsten wurde zusehends schlechter, und das Lesen, das er so liebte, immer schwieriger.

      »Ich vermache meine kostbaren Bücher und Handschriften der Universität«, eröffnete Ludwig seiner Frau, »damit das Wissen all jener Gelehrten, die sie geschrieben haben, künftig den Studenten frei zur Verfügung steht und nicht verloren geht.«

      Er nahm einen Schluck Wein aus dem silbernen Pokal und bedeutete einem Diener, ihm ein weiteres Stück Fasan auf den Teller zu legen. Matilde nickte zustimmend und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. »Meister Jorg wünscht, dass du dir die Fortschritte am Langhaus der Heiliggeistkirche ansiehst.«

      Ludwig nickte versonnen.

      »Ich hoffe, ich erlebe die Fertigstellung noch, es geht mir manches Mal nicht schnell genug voran«, seufzte er. Dann wandte er sich an seine Ratgeber, die mit an der hohen Tafel saßen. »Sigismund will neue Truppen aufstellen …«

      »Vater, Vater«, platzte plötzlich seine Tochter Mechthild, die bald ihren neunten Geburtstag feiern würde, aufgeregt mitten in die Unterhaltung. »Ich kann Verse von Petrarca aufsagen. Wollt Ihr sie hören?«

      Eigentlich hätte Ludwig seiner Ältesten eine Rüge erteilen sollen, konnte aber ob ihrer kindlichen Freude ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Außerdem war er stolz auf sie. Es erfüllte ihn mit Freude, dass sie, genauso sehr wie er, die Liebe zu Büchern teilte. Erst neulich hatte sie ihn zum Lachen gebracht, als er sie mit zur Universität genommen hatte, und Mechthild ein wunderbar verziertes Buch ehrfürchtig berührt und an ihm geschnuppert hatte, den Geruch der alten Seiten tief einatmend. Auf ihren Gesichtszügen hatte ein seliges Lächeln gelegen.

      ›Nichts riecht so gut wie Papier und Pergament‹, waren ihre Worte gewesen.

      »Dann lass uns teilhaben an deinem neu erlernten Wissen.«

      Mechthild gab fünf Verse zum Besten, genoss den höfischen Applaus.

      »Sehr gut, mein Kind«, lobte Ludwig. »Doch nun denke ich, ist es an der Zeit, zu Bett zu gehen. Jedenfalls für dich«, fügte er hinzu und strich ihr sanft über die Wange.

      Nur selten zeigte Ludwig seine Zuneigung zu seiner Tochter so offen. Sie war ein außerordentlich kluges Geschöpf, und bereits jetzt erkannte man, dass sie auch zu einer bildschönen Frau heranwachsen würde. Graf Ludwig von Württemberg konnte sich glücklich schätzen, in einigen Jahren Mechthild als seine Frau heimzuführen. Die Verlobung zwischen dem sieben Jahre älteren Ludwig war bereits acht Monate nach Mechthilds Geburt arrangiert worden. Der Kurfürst konnte nur hoffen, dass Mechthild und ihr zukünftiger Gemahl auch miteinander glücklich wurden. Manch vereinbarte Ehe glich mehr einer Heimsuchung und verursachte den Eheleuten nichts als Kummer.

      »Der Kaiser plant eine Steuer, um neue Truppen ausheben zu können«, nahm Ludwig den Faden wieder auf, nachdem die Kinderfrau Mechthild an der Hand genommen und aus der Halle gebracht hatte.

      »Er wird schon Hussitenpfennig genannt«, warf einer seiner Ratgeber ein.

      »Die Hussiten werden nie Ruhe geben, fürchte ich. Seit der Häretiker Jan Hus in Konstanz verbrannt wurde, folgt ein Kreuzzug dem nächsten.«

      »Und dieser verdammte, verzeiht, Euer Durchlaucht …«, unterbrach sich der Rat selbst, doch der Kurfürst winkte ab. »Prediger Prokop wird mit jedem Sieg über die Kaiserheere stärker. In Böhmen steht bald kein Stein mehr auf dem anderen.«

      Kurfürst Ludwig seufzte. Er würde seinem Bruder, Pfalzgraf Johann, dessen Land an Böhmen grenzte, weiterhin beistehen müssen. Lieber wäre ihm, er könnte das Geld, das Kriege verschlangen, dafür nutzen, um noch mehr Bücher und Handschriften für seine Bibliothek zu erwerben.

      Wigbert saß derweil betrunken in einem Wirtshaus in Neckargemünd, dabei war es noch nicht einmal Mittag. Seit Margrets Tod hatte er sich mehr und mehr in den Suff geflüchtet, die Anzahl der Münzen in der kleinen Truhe war dramatisch zusammengeschrumpft. Nur ab und an fand er Arbeit als Tagelöhner, was im Winter ohnehin schwer war. Zudem sprach es sich langsam herum, dass Wigbert mehr trank, als ihm guttat, sodass die Handwerker lieber jemand anderen für Handlangerdienste einstellten. Nie hätte Wigbert für möglich gehalten, wie sehr ihm seine Frau fehlte.

      Helena hielt das Haus zwar in Ordnung, flickte Kleidung, buk Brot, doch sie war kein Ersatz für seine geliebte Margret. Vor allem schlich sie sich, wann immer es ging, zu den Ställen eines Großbauern, der vier Pferde sein eigen nannte. Helena war verrückt nach den Tieren, liebte ihre Sanftheit und die Ruhe, die sie ausstrahlten. Wie oft hatte Wigbert seiner Tochter schon zu Margrets Lebzeiten verboten, dorthin zu gehen, aber sie hörte nicht. Zudem war sie versessen darauf, Lesen und Schreiben zu lernen. Und wenn sie sich nicht zu den Pferden davonmachte, verschwand sie zur Pfarrschule. Dort hatte sie einen Jungen gefunden, der ihr die Buchstaben beibrachte. Manches Mal hatte Wigbert seine Tochter vorgefunden, wie sie selbstvergessen mit den Fingern Buchstaben in den Schmutz malte. Ohrfeigen hielten sie nicht davon ab, sich immer wieder aus dem Staub zu machen. Und Margret hatte stets zu ihr gehalten.

      Wigbert vermisste die Gespräche mit seiner Frau. Margret war sein Fels in der Brandung gewesen, wenn es Schwierigkeiten gegeben oder das Geld hinten und vorne nicht gereicht hatte. Sie war eine starke Frau gewesen, viel stärker als er, und Helena wurde ihr, was das anbelangte, immer ähnlicher.

      Jemand knuffte ihn in die Seite und riss ihn aus seinen wehmütigen Gedanken.

      »Wigbert, du bist dran«, forderte ihn sein Tischnachbar auf.

      Wigbert griff nach dem ledernen Würfelbecher, schüttelte ihn und stülpte ihn auf den rohen Holztisch, lüftete ihn. Nur eine Zwei und eine Drei. Das reichte bei Weitem nicht, um die beiden Fünfen, die gerade gewürfelt worden waren, zu übertrumpfen. Verloren. Schon wieder.

      »Tja, Wigbert, sieht schlecht für dich aus, ich fürchte, du musst mich bezahlen«, feixte Cuntz. Der Winzer schien das Glück gepachtet zu haben, hatte kaum eine Würfelrunde verloren, und das Häufchen gewonnener Münzen vor ihm wuchs stetig.

      »Wie viel?«

      »Drei Gulden.«

      Großer Gott, das konnte er niemals bezahlen. Für drei Gulden musste er zwei Monate arbeiten. Mit einem Schlag war er nüchtern.

      »So viel habe ich nicht«, antwortete Wigbert heiser.

      Cuntz’ Gesicht nahm einen harten Zug an.

      »Dann gib mir, was du hast, und den Rest zahlst du mir bis Ende Jänner.«

      »Aber wovon soll ich dann leben? Jetzt ist keine Erntezeit, kaum einer braucht einen Tagelöhner. Ich komme so schon schlecht über die Runden. Das kann ich nicht, meine Kinder …«, rief Wigbert entsetzt.

      »Nicht meine Angelegenheit. Du hast Geld zum Würfelspiel, dann kann es so schlimm nicht sein«, erwiderte Cuntz Wengerter unversöhnlich.

      »Er hat recht, Wigbert«, pflichtete einer der Mitspieler dem Winzer bei.

      Fieberhaft dachte Wigbert über einen Ausweg nach. Dann kam ihm ein rettender Gedanke. »Meine Tochter Helena könnte die Schulden bei dir auf dem Weinberg abarbeiten oder im Haus. Bald ist Mariä Lichtmess, da kannst du sicher ein paar Hände mehr gebrauchen. Sie ist fleißig, geschickt und nicht dumm. Ich würde sie dir überlassen, bis die Schulden abgetragen sind.«

      »Ist sie hübsch?«

      Wigbert pries Helenas Vorzüge in den höchsten Tönen. »Feingliedrig und anmutig wie ein Reh ist sie, und trotzdem kann sie zupacken. Ihr Haar hat eine besondere Farbe, dunkelrot, wie das Herbstlaub, und ihre grünen Augen funkeln wie Edelsteine. Und sittsam ist sie, wie es sich für ein anständiges Mädchen gehört. Ein wahrer Engel, gottesfürchtig und gehorsam.«

      »Schon gut, Wigbert, bevor du mir noch weismachst, sie ist die Jungfrau Maria, schau ich sie mir lieber selbst an. Und

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