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Stoffe.

      Der erste Bierpolizist

      Rund einen Monat nach Verkündung der Statuta thaberna erhielt der dicke Matthias eine Vorladung auf die Runneburg. Festlich gewandet für alle Fälle, schleppte er sich wieder einmal den steilen Weg zur Burg hinauf. Die Sonne brannte, zum Teufel, war das unbequem und heiß in seinem festlichen Wams aus grünem und braunem Samt. Zur Feier des Tages hatte er sogar einen Hut mit einer langen Fasanenfeder dran auf seinen Kopf gestülpt.

      Keuchend hielt er am Haupttor inne, richtete sein Gewand und meldete sich förmlich beim Torwächter an. Er musste ausnahmsweise nicht lange warten. Friedrich begrüßte ihn und kam gleich zur Sache:

      »Matthias, du hast gute Arbeit geleistet, um dem Bierbrauerschuft Dietrich auf die Schliche zu kommen. Ich möchte aber verhindern, dass dies noch einmal vorkommt, was er uns angetan hat.«

      Er schlug Matthias anerkennend auf die linke Schulter.

      »Daher ernenne ich dich hiermit zum offiziellen ›Fürstlichen Bierpolizisten‹, dem ersten dieser Art im ganzen thüringischen Lande.«

      Matthias stockte der Atem. Er war zwar sonst nicht auf den Mund gefallen, wusste aber nicht, was er hiervon halten sollte.

      Erst als Friedrich ergänzte: »Und dein Lohn soll das Zweifache sein von dem, was du bislang als Büttel erhalten hast«, grinste er voller Freude, und sein Bauch hüpfte übermütig mit.

      »Du sollst alle Bierbrauer im Lande regelmäßig überprüfen, auf dass sie ihr Bier nicht vernachlässigen«, fuhr Friedrich fort. »Du wirst die Einhaltungen unserer Statuta thaberna einfordern und damit das Leben und die Gesundheit meiner Untertanen fördern. Streng wollen wir sein, jede Verfehlung und Nichtbefolgung unerbittlich ahnden, und du darfst dich durch keine Entschuldigung versöhnen lassen. Gleichzeitig musst du unbestechlich die Brauherren beobachten, denn gute Beobachtung bringt auch mir sicheres Geld in meine Steuerkasse, sodass du dein Auskommen damit schon allein sicherst.«

      Matthias machte sich schon zum Gehen bereit, da ergriff Fürstin Anna noch das Wort. Und, wie das Sprichwort sagt, gibt es keine Rose ohne Dornen. Denn der erste Auftrag, den Anna erteilte, war nicht nach Matthias’ Geschmack.

      »Ich möchte, dass du sogleich nach Nordhausen gehst und Dietrich endgültig das Handwerk legst, zum Wohle aller, auch der Nordhäuser Bürger.«

      Die Adelsgeschlechter

      25 Jahre später: Unfriede, Unzufriedenheit und politisches Chaos

      Unfriede, Unzufriedenheit und politisches Chaos: Mit diesen wenigen Worten lässt sich die Situation im Mitteleuropa der Zeit zwischen 1450 und 1500 umschreiben.

      Je nach Blickwinkel wird sie heutzutage als Zeit des Umbruchs, der Auflösung oder der Vielfalt gesehen.

      In jedem Fall verabschiedete sich das Mittelalter aus der europäischen Geschichte mit den größten gesellschaftlichen Umwälzungen seit dem Ende des Römischen Reiches und der Völkerwanderung.

      Staat und Kirche waren über jegliches vernünftige Maß hinaus marode und korrupt geworden. Politische Berater und Unterhändler verwendeten ihre meiste Energie darauf, nur noch die Bestechungssummen, welche zur Erlangung ihrer Ziele bei Ständeversammlungen, Reichstagen oder Konklaven notwendig waren, zu berechnen. Richtige Politik wurde fast nicht mehr gemacht, Intrigen und Korruption hatten die Mittel der Diplomatie ersetzt.

      Schlimmste Höhepunkte der vorherrschenden Unfähigkeit und Dekadenz waren der Habsburgerkaiser Maximilian I., sein Cousin Siegmund ›der Münzreiche‹ sowie der legendäre Borgiapapst Alexander VI.

      Obwohl Maximilian I. als ›letzter Ritter‹ und als Wegbereiter des habsburgischen Weltreiches in die Geschichte eingegangen ist, war er in finanziellen Dingen derart unfähig, dass man ihm heute nicht einmal eine Portokasse anvertrauen würde. Gleiches gilt für Siegmund, der als Regent von Tirol sogar trotz reicher Edelmetallminen ungeheure Schulden anhäufte.

      Nur das Finanzgenie eines Jakob Fugger konnte sowohl Habsburg mit großzügigen Krediten im Tausch für weit reichende Privilegien wie auch die Kirche, die mit Fugger einen schwunghaften Reliquien- und Ablasshandel betrieb, über die Halbjahrtausendwende retten.

      Der Klang der Reformation, die von Fugger nur aufgehalten, nicht jedoch abgewendet werden konnte, war dafür umso lauter.

      Die Bevölkerung, die in den 200 Jahren zuvor durch Hungersnöte und Pestepidemien arg dezimiert worden war, hätte sich jetzt von diesen Schrecken erholen können, doch war dies nunmehr aus anderen Gründen nicht möglich: Durch den Niedergang des Rittertums und der höfischen Kultur hatten Raubrittertum, Wegelagerei und Fehde(un)wesen ein Ausmaß erreicht, welches die einfache Landbevölkerung in Angst und Schrecken versetzte. Landflucht war die logische Folge. In den Städten hatte die Kirche immer weniger Macht, und so schlug die Unzufriedenheit der Gläubigen auch gerne einmal in Unfrömmigkeit um.

      Die Einnahme des als uneinnehmbar geltenden Konstantinopel im Jahre 1453 durch die Türken schürte nicht nur die Unsicherheit, sondern blockierte auch jahrhundertealte Handelswege zum Orient und den allseits begehrten Gewürzen. Doch anstatt gemeinsam gegen die drohende Gefahr anzugehen, verzettelten sich Habsburger, Ungarn und der Apostolische Stuhl in ebenso unergiebigen wie sinnlosen Machtkämpfen und Kriegen.

      Auch das zerstückelte Heilige Römische Reich Deutscher Nation, bestehend zum einen Teil aus Hunderten kleiner Landesfürsten, von denen manche ihr ganzes Reich vom Turm ihrer Burg aus überschauen konnten, zum anderen aus etablierten Mächten mit straffer Verwaltung, wie Bayern, Württemberg, Sachsen, Brandenburg oder den geistlichen Kurfürstentümern Köln, Mainz und Trier, litt unter der ständigen Vermischung von Staat und Kirche.

      Die Keime von Reformation und Revolution, für die späteren Bauernkriege sowie den noch späteren Dreißigjährigen Krieg wurden in diesen Jahren gelegt.

      Und während in Norditalien Architektur und Kunst in einem Rausch aus Farben und Formen förmlich explodierten, wurden weite Teile Deutschlands immer noch von der simplen Geometrie des Fachwerkbaus beherrscht. Ein größerer Kontrast zur kühnen Domkuppel von Florenz war kaum vorstellbar.

      Dennoch, gefördert durch die Erfindungen des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, Entdeckungen der großen Seefahrernationen und neue Erfindungen von Menschen vom Schlage eines Leonardo da Vinci, trieben Aufklärung, Renaissance und Reformation auch in Deutschland bereits zarte Blüten.

      So also sah es in Mitteleuropa aus, als unsere Geschichte ihren Fortgang nahm.

      DIE ERBEN DES BIERZAUBERERS

      Georg

      Das Beginenhaus in der Hollensammlung, in unmittelbarer Nähe der Reutlinger Marienkirche, stand schon seit beinahe 100 Jahren. Immer mehr Frauen suchten Zuflucht in der halb laienhaften, halb religiösen Gemeinschaft, zu der Männer nicht zugelassen waren. Die Beginen gehörten keinem Orden an und führten kein klösterliches Leben. Die Erfüllung, die sie suchten, beschrieben sie selbst als den ›mittleren Weg‹. Ihre Vorbilder waren Frauen wie die Heilige Johanna von Orleans, die ein heiliges Leben geführt hatte, ohne je einem Orden angehört zu haben. Zwar hatten sie Regeln, die denen eines Ordens ähnelten, wer aber mit den Grundregeln der Bescheidenheit, Keuschheit und des Fleißes nicht zurande kam, konnte jederzeit ohne Folgen wieder austreten.

      Als die 25-jährige Begine Gerlinde am 23. April 1458 vor die Tür trat und dort ein abgelegtes Bündel Mensch fand, das nach Kräften schrie und strampelte, war sie nicht überrascht. Es kam häufiger vor, dass junge Mütter ihre meist unehelich geborenen Kinder vor einem Beginenhaus ablegten. Die Waisenkinder wurden dort einige Jahre erzogen und durchgefüttert, bis sie alt genug waren, um irgendwo arbeiten zu können. Dies geschah, wenn die Findelkinder Glück hatten; wenn

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