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      Nur ein Hauch von Liebe

      Barbara Cartland

      Barbara Cartland E-Books Ltd.

      Vorliegende Ausgabe ©2016

      Copyright Cartland Promotions 1982

      Gestaltung M-Y Books

       www.m-ybooks.co.uk

      1820

      “Miss Selincourt, ich habe leider sehr schlechte Nachrichten für Sie.“

      “Wirklich?“

      “Ich versichere Ihnen, ich habe alles menschenmögliche getan und in vielen schlaflosen Nächten überlegt, wie ich Ihnen helfen könnte, aber es ist hoffnungslos.“

      Mr. Lawson, der älteste Partner der Anwaltskanzlei Lawson, Cresey und Houghton, sprach mit sehr ernster Stimme.

      Das Mädchen, das ihm gegenüber am Schreibtisch saß, stieß einen Seufzer aus. Die Augen in dem ovalen Gesicht waren groß und voll Sorge.

      “Steht es denn wirklich so schlecht?“ fragte es.“

      Mr. Lawson nickte. “Ja“, sagte er.

      Der grauhaarige Mann, der an die fünfzig sein mochte, setzte die Brille auf, nahm ein Schriftstück zur Hand und las es noch einmal durch, als hoffte er, etwas zu entdecken, was ihm bisher entgangen war.

      Nach einer Weile legte er das Schriftstück wieder zur Seite.

      “Ich habe Lord Ronald, Ihren Schwager, sehr verehrt, Miss Selincourt“, fuhr er fort. “Wie Sie wissen, war ich seit Jahren mit ihm befreundet.“

      Tamara Selincourt nickte.

      “Ich habe ihn wiederholt gebeten, Vorkehrungen für den Fall seines Ablebens zu treffen, aber er hat mich jedes Mal bloß ausgelacht.“

      “Aber wer denkt schon an den Tod?“ fragte Tamara. “Er war schließlich erst dreiunddreißig Jahre alt und meine Schwester lediglich sechs Monate jünger als er.“

      “Dreiunddreißig“, wiederholte Mr. Lawson. “Sie haben recht, Miss Selincourt. Mit dreiunddreißig Jahren denkt man noch nicht an den Tod.“

      “Außerdem galt das neue Boot als besonders seetüchtig“, sagte Tamara. “Es hat ja auch sehr viel Geld gekostet.“

      “Allerdings“, entgegnete Mr. Lawson. “Und es muß noch bezahlt werden.“

      “Ronald hatte gehofft, mit dem Boot etwas Geld verdienen zu können. Er wollte Fracht aufnehmen und sie von Hafen zu Hafen befördern.“ Tamara stieß ein kleines Lachen aus. “Aber das war natürlich Unsinn – das wissen Sie so gut wie ich. Ronald und meine Schwester haben das Meer geliebt. Wenn sie ins Blaue hinein segeln konnten, war es für sie das höchste Glück.“ Tamara schüttelte verzweifelt den Kopf. “Und was wird jetzt aus den Kindern?“

      “Sie sind meine größte Sorge“, antwortete Mr. Lawson. “Sandor ist schließlich fast zwölf Jahre und müßte bald auf eine Schule geschickt werden.“

      “Er ist ein sehr gescheiter, aufgeweckter Junge“, erklärte Tamara. “Die Kinder sind alle außergewöhnlich intelligent, was einen allerdings nicht wundert, wenn man bedenkt, was für ein hochgebildeter und kluger Mensch mein Vater gewesen ist.“

      “Ich habe schon immer bedauert, daß ich nie das Vergnügen hatte, ihn kennenzulernen“, sagte Mr. Lawson.

      “Er war ein Genie“, berichtete Tamara. “Seine Bücher haben zwar nie sonderlich viel Geld eingebracht, aber es gibt keine Universitätsbibliothek, in der sie nicht vorhanden sind.“

      Mr. Lawson nickte.

      “Sandor hat die Intelligenz seines Großvaters geerbt – davon bin ich überzeugt – und deshalb muß er die entsprechende Erziehung und Ausbildung bekommen. Und dafür steht uns nur ein Weg offen.“

      “Nämlich?“

      Tamara sah den Anwalt fragend an, und dieser mußte wieder einmal denken, daß er selten ein lieblicheres, anmutigeres Mädchen gesehen hatte.

      Es war von einer Schönheit, die man in der Provinz einfach nicht erwartete.

      Sie ist wie eine exotische Orchidee, dachte er und fragte sich, wie viele junge Männer dasselbe denken würden, wenn sie Tamara Selincourt sehen könnten.

      Tamara sah alles andere als Englisch aus.

      Volles, kastanienrotes Haar rahmte das makellose Gesicht ein. Ihre Haut war blaß und durchsichtig, die Augen so dunkel, daß sie fast violett wirkten. Trotz des südländischen Äußeren hatte Tamara Selincourt etwas sehr Junges und Unschuldiges an sich.

      “Wie alt sind Sie eigentlich, Miss Selincourt?“ fragte Mr. Lawson plötzlich.

      Tamara lächelte.

      “Ich denke, das fragt man eine Dame nicht“, sagte sie. “Ich bin neunzehn, also dreizehn Jahre jünger als meine Schwester Maika. Zwischen uns gab es noch einen Bruder, aber er starb als Kind.“

      “Neunzehn“, wiederholte Mr. Lawson. “Verzeihen Sie, aber Sie sind zu jung, um so viel Verantwortung zu übernehmen.“

      “Aber wer soll sich denn sonst um die Kinder kümmern?“ fragte Tamara. “Außerdem hänge ich an ihnen und sie an mir. Ich werde eben arbeiten und Geld verdienen. Ich hatte natürlich gehofft, daß mein Schwager wenigstens so viel hinterlassen hat, daß wir erst einmal eine gewisse Zeit davon leben können und -.“

      “Das ist eben leider nicht der Fall, Miss Selincourt.“

      “Ich habe vierzig Pfund für mein erstes Buch bekommen“, sagte Tamara. “Damals, als es herauskam, hielt ich mich für reich, aber so viel sind vierzig Pfund doch nicht. Ich hoffe, daß mein zweites Buch – es liegt bereits beim Verleger – mehr einbringt.“

      “Wann soll es denn veröffentlicht werden?“

      “In den nächsten Wochen. Einen genauen Termin hat man mir nicht genannt. Irgendwann im Juni, hat man mir gesagt.“

      Mr. Lawson warf einen Blick auf das Schriftstück, das vor ihm lag.

      “Angenommen, Sie bekommen wieder vierzig Pfund oder sogar mehr, das Geld würde für Sie und die Kinder nie ausreichen.“

      “Ist denn gar nichts da?“ fragte Tamara mit dünner Stimme. “Ich meine, kein roter Heller?“

      “Kein roter Heller, Miss Selincourt.“

      Sie sah den Anwalt fassungslos an.

      “Aber – wie ist das denn möglich?“

      “Die Apanage, die Ihr Schwager vierteljährlich erhielt, erlischt natürlich mit seinem Tod. Die letzte Zuwendung, die vor einer knappen Woche eintraf, ist bereits ausgegeben.“

      “Für das Boot?“

      “Ja.

      “Aber das Haus?“

      “Das Haus ist mit hohen Hypotheken belastet. Zum Glück hat sich bereits ein Käufer gefunden.“

      Tamara sah den Anwalt erschreckt an.

      “Aber... ich dachte, wir könnten in dem Haus bleiben.“

      “Das ist leider völlig unmöglich“, antwortete Mr. Lawson. “Das Haus war schon immer zu groß und zu kostspielig für Lord Ronalds Verhältnisse. Ihre Schwester und er hatten sich jedoch derartig in dieses Haus verliebt, daß sie geglaubt hatten, das Unmögliche möglich zu machen.“

      Tamara schwieg.

      Sie wußte nur zu gut, welche Traumtänzer ihre Schwester und ihr Schwager gewesen waren. Sie hatten schon immer auf das Glück gebaut.

      Aber jetzt hatte das Glück sie verlassen. Ein Sturm hatte sie zerschmettert und über alle Unglück gebracht.

      Lord Ronald Grant und seine Frau waren in einem Unwetter umgekommen, das aus heiterem Himmel ausgebrochen war.

      Die Sea Lark war wie eine Nußschale gegen Felsen geschleudert

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