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in festen Verbänden leben.« (Ed. Meyer, Über die Anfänge des Staates und sein Verhältnis zu den Geschlechtsverbänden und zum Volkstum. 1907.)

      2. Formen der Familie

       Inhaltsverzeichnis

      Die Perioden der Wildheit und der Barbarei hatten ihre eigenartigen geschlechtlichen und gesellschaftlichen Beziehungen, die sich von denen der späteren Zeit sehr erheblich unterscheiden.

      Bachofen und Morgan haben in gründlichen Untersuchungen diesen Beziehungen nachgespürt. Bachofen, indem er die Schriften der Alten aufs eingehendste studierte, um hinter das Wesen von Erscheinungen zu kommen, die uns vollkommen fremdartig in Mythologie, Sage und historischen Mitteilungen gegenübertreten und doch so manche Anklänge an Erscheinungen und Vorkommnisse späterer Zeiten, ja bis in unsere Tage enthalten. Morgan, indem er jahrzehntelang unter den im Staate New York ansässigen Irokesen zubrachte und dabei Wahrnehmungen machte, durch die er ganz neue und ungeahnte Einblicke in die Lebens-, Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen der genannten Indianerstämme gewann, auf Grund welcher auch anderwärts gemachte Beobachtungen ihre richtige Beleuchtung und Klarstellung erhielten.

      Bachofen und Morgan entdeckten jeder auf seine Weise, daß die Beziehungen der Geschlechter bei den Völkerschaften in der Urzeit menschheitlicher Entwicklung wesentlich andere waren, als sie in historisch bekannter Zeit und bei den modernen Kulturvölkern vorhanden sind. Insbesondere entdeckte Morgan durch seinen langjährigen Aufenthalt unter den Irokesen Nordamerikas und auf Grund der vergleichenden Studien, zu denen er durch das dort Beobachtete angeregt wurde, daß alle in der Kultur noch erheblich rückständigen Völkerschaften Familien- und Verwandtschaftssysteme besitzen, die von dem unseren grundverschieden sind, aber einst ähnlich bei allen Völkerschaften auf den frühesten Kulturstufen in Geltung gewesen sein müssen.

      Morgan fand, daß zu der Zeit, in der er unter den Irokesen lebte, eine beiderseits leicht lösliche Einzelehe bestand, die er als »Paarungsfamilie« bezeichnet. Er fand aber auch, daß die Bezeichnungen für den Verwandtschaftsgrad, wie Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Bruder, Schwester, obgleich für deren Anwendung nach unserer Meinung kein Zweifel bestehen kann, doch auf ganz andere Beziehungen angewandt wurden. Der Irokese nennt nicht nur seine eigenen Kinder seine Söhne und Töchter, sondern auch die aller seiner Brüder, und deren Kinder nennen ihn Vater. Umgekehrt nennt die Irokesin nicht bloß ihre Söhne und Töchter ihre Kinder, sondern auch die aller ihrer Schwestern, und wiederum nennen die Kinder der letzteren sie Mutter. Dagegen nennt sie die Kinder ihrer Brüder Neffen und Nichten, und diese nennen sie Tante. Die Kinder von Brüdern nennen sich Brüder und Schwestern und ebenso die Kinder von Schwestern. Dagegen nennen sich die Kinder einer Frau und ihres Bruders gegenseitig Vettern und Cousinen. Es tritt also das Seltsame ein, daß die Verwandtschaftsbezeichnung sich nicht wie bei uns nach dem Grade der Verwandtschaft richtet, sondern nach dem Geschlecht des Verwandten.

      Dieses System der Verwandtschaft steht in voller Geltung nicht nur bei allen amerikanischen Indianern, sowie bei den Ureinwohnern Indiens, den drawidischen Stämmen in Dekhan und den Gaurastämmen in Hindostan, sondern es müssen nach den vorgenommenen Untersuchungen, die seit Bachofen stattgefunden haben, ähnliche Zustände in der Urzeit überall bestanden haben. Werden erst einmal an der Hand dieser Feststellungen überall die Untersuchungen über die Geschlechts- und Familienbeziehungen noch lebender wilder oder barbarischer Völkerschaften aufgenommen, so wird sich zeigen, daß, was Bachofen bei zahlreichen Völkerschaften der alten Welt, Morgan bei den Irokesen, Cunow unter den Australnegern und andere bei anderen Völkerschaften fanden, soziale und geschlechtliche Formationen es sind, welche die Grundlage der Entwicklung für alle Völker der Erde bildeten.

      Bei den Untersuchungen Morgans treten noch andere interessante Tatsachen hervor. Steht die Paarungsfamilie der Irokesen mit den von ihnen gebrauchten Verwandtschaftsbezeichnungen in unlöslichem Widerspruch, so stellte sich dagegen heraus, daß noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts auf den Sandwichinseln (Hawaii) eine Familienbildung vorhanden war, die tatsächlich dem Verwandtschaftssystem entsprach, das bei den Irokesen nur dem Namen nach noch bestand. Aber das Verwandtschaftssystem, das in Hawaii in Geltung war, entsprach wiederum nicht der dort tatsächlich bestehenden Familienform, sondern wies auf eine ältere, noch ursprünglichere, aber nicht mehr vorhandene Familienform hin. Dort galten alle Geschwisterkinder ohne Ausnahme als Brüder und Schwestern, sie galten als solche nicht nur für die gemeinsamen Kinder ihrer Mütter und deren Schwestern, oder ihres Vaters und dessen Brüder, sondern für alle Geschwister ihrer Eltern ohne Unterschied.

      Das hawaiische Verwandtschaftssystem entsprach also einer Entwicklungsstufe, die noch tiefer stand als die tatsächlich bestehende Familienform. Es stellte sich das Eigentümliche heraus, daß in Hawaii wie bei den Indianern Nordamerikas zwei verschiedene Verwandtschaftssysteme in Übung waren, die dem tatsächlichen Zustand nicht mehr entsprachen, sondern durch eine höhere Form überholt wurden. Morgan äußert sich darüber also: »Die Familie ist das aktive Element; sie ist nie stationär, sondern schreitet vor von einer niedrigeren zu einer höheren Form, in dem Maße, wie die Gesellschaft von niederer zu höherer Stufe sich entwickelt. Die Verwandtschaftssysteme dagegen sind passiv; nur in langen Zwischenräumen registrieren sie die Fortschritte, die die Familie im Laufe der Zeit gemacht hat, und erfahren nur dann radikale Änderung, wenn die Familie sich radikal verändert hat.«

      Die noch heute allgemein maßgebende Auffassung, die von Vertretern des Bestehenden hartnäckig als wahr und unumstößlich verfochten wird, die jetzt bestehende Familienform habe von uralter Zeit an bestanden und müsse, solle die gesamte Kultur nicht gefährdet werden, für immer fortbestehen, stellt sich also nach diesen Entdeckungen der Forscher als durchaus falsch und unhaltbar heraus. Das Studium der Urgeschichte läßt keinen Zweifel mehr, daß auf den untersten Entwicklungsstufen der Menschheit das Verhältnis der Geschlechter von dem der späteren Zeit ein gänzlich verschiedenes ist und Zustände sich herausbildeten, die, mit den Augen unserer Zeit betrachtet, als eine Ungeheuerlichkeit und als der Pfuhl der Sittenlosigkeit erscheinen. Doch wie jede soziale Entwicklungsstufe der Menschheit ihre eigenen Produktionsbedingungen, so hat auch jede ihren Moralkodex, der nur das Spiegelbild ihres Sozialzustandes ist. Sittlich ist, was Sitte ist, und Sitte ist wieder nur, was dem innersten Wesen, das heißt den sozialen Bedürfnissen einer bestimmten Periode entspricht.

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