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Maria Rilke

      Das Stunden-Buch

      Books

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      [email protected]

      2017 OK Publishing

      ISBN 978-80-272-1011-4

      enthaltend die drei Bücher

      Vom mönchischen Leben

      Von der Pilgerschaft

      Von der Armut und vom Tode

      *

      Gelegt in die Hände von Lou

      Erstes Buch:

      Das Buch vom mönchischen Leben

(1899)

      Da neigt sich die Stunde und rührt mich an

      mit klarem, metallenem Schlag:

      mir zittern die Sinne. Ich fühle: ich kann –

      und ich fasse den plastischen Tag.

      Nichts war noch vollendet, eh ich es erschaut,

      ein jedes Werden stand still.

      Meine Blicke sind reif, und wie eine Braut

      kommt jedem das Ding, das er will.

      Nichts ist mir zu klein und ich lieb es trotzdem

      und mal es auf Goldgrund und groß,

      und halte es hoch, und ich weiß nicht wem

      löst es die Seele los…

      Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,

      die sich über die Dinge ziehn.

      Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,

      aber versuchen will ich ihn.

      Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,

      und ich kreise jahrtausendelang;

      und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm

      oder ein großer Gesang.

      Ich habe viele Brüder in Sutanen

      im Süden, wo in Klöstern Lorbeer steht.

      Ich weiß, wie menschlich sie Madonnen planen,

      und träume oft von jungen Tizianen,

      durch die der Gott in Gluten geht.

      Doch wie ich mich auch in mich selber neige:

      Mein Gott ist dunkel und wie ein Gewebe

      von hundert Wurzeln, welche schweigsam trinken.

      Nur, daß ich mich aus seiner Wärme hebe,

      mehr weiß ich nicht, weil alle meine Zweige

      tief unten ruhn und nur im Winde winken.

      Wir dürfen dich nicht eigenmächtig malen,

      du Dämmernde, aus der der Morgen stieg.

      Wir holen aus den alten Farbenschalen

      die gleichen Striche und die gleichen Strahlen,

      mit denen dich der Heilige verschwieg.

      Wir bauen Bilder vor dir auf wie Wände;

      so daß schon tausend Mauern um dich stehn.

      Denn dich verhüllen unsre frommen Hände,

      sooft dich unsre Herzen offen sehn.

      Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden,

      in welchen meine Sinne sich vertiefen;

      in ihnen hab ich, wie in alten Briefen,

      mein täglich Leben schon gelebt gefunden

      und wie Legende weit und überwunden.

      Aus ihnen kommt mir Wissen, daß ich Raum

      zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.

      Und manchmal bin ich wie der Baum,

      der, reif und rauschend, über einem Grabe

      den Traum erfüllt, den der vergangne Knabe

      (um den sich seine warmen Wurzeln drängen)

      verlor in Traurigkeiten und Gesängen.

      Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manchesmal

      in langer Nacht mit hartem Klopfen störe, so

      ists, weil ich dich selten atmen höre

      und weiß: Du bist allein im Saal.

      Und wenn du etwas brauchst, ist keiner da,

      um deinem Tasten einen Trank zu reichen:

      Ich horche immer. Gib ein kleines Zeichen.

      Ich bin ganz nah.

      Nur eine schmale Wand ist zwischen uns,

      durch Zufall; denn es könnte sein:

      ein Rufen deines oder meines Munds –

      und sie bricht ein

      ganz ohne Lärm und Laut.

      Aus deinen Bildern ist sie aufgebaut.

      Und deine Bilder stehn vor dir wie Namen.

      Und wenn einmal das Licht in mir entbrennt,

      mit welchem meine Tiefe dich erkennt,

      vergeudet sichs als Glanz auf ihren Rahmen.

      Und meine Sinne, welche schnell erlahmen,

      sind ohne Heimat und von dir getrennt.

      Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.

      Wenn das Zufällige und Ungefähre

      verstummte und das nachbarliche Lachen,

      wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,

      mich nicht so sehr verhinderte am Wachen –:

      Dann könnte ich in einem tausendfachen

      Gedanken bis an deinen Rand dich denken

      und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),

      um dich an alles Leben zu verschenken

      wie einen Dank.

      Ich lebe grad, da das Jahrhundert geht.

      Man fühlt den Wind von einem großen Blatt,

      das Gott und du und ich beschrieben hat

      und das sich hoch in fremden Händen dreht.

      Man fühlt den Glanz von einer neuen Seite,

      auf der noch Alles werden kann.

      Die stillen Kräfte prüfen ihre Breite

      und sehn einander dunkel an.

      Ich lese es heraus aus deinem Wort,

      aus der Geschichte der Gebärden,

      mit welchen deine Hände um das Werden

      sich rundeten, begrenzend, warm und weise.

      Du sagtest leben laut und sterben leise

      und wiederholtest immer wieder: Sein.

      Doch vor dem ersten Tode kam der Mord.

      Da ging ein Riß durch deine reifen Kreise

      und ging ein Schrein

      und riß die Stimmen fort,

      die eben erst sich sammelten

      um dich zu sagen,

      um dich zu tragen

      alles Abgrunds Brücke –

      Und

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