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teilte ihr Frühstücksbrot getreulich mit dem armen vierfüßigen Gefangenen. Dankbar leckte Puck ihr die Händchen.

      Plötzlich erschien Margot, die Annemarie gerade meiden wollte, schüchtern in dem dämmerigen Gang.

      »Ich habe eine Flasche Milch mit«, sagte die verfeindete Freundin verlegen, »wenn du vielleicht für Puck etwas davon haben willst.« Das kleine Mädchen hatte augenscheinlich den Wunsch, ihre ängstliche Abneigung gegen das Hündchen wieder gutzumachen.

      Da quoll die mühsam zurückgehaltene Liebe auch in Klein-Annemaries Herzchen empor. Sie schlang die Arme um die Freundin, küßte sie ungestüm und bat dabei: »Habe mich wieder lieb!«

      Ach, wie gern tat das Margot. Auch ihr hatte ja die vierundzwanzigstündige Feindschaft mit Annemarie das Herz abgedrückt. Neben Puck standen die Wiederversöhnten, liebevoll umschlungen, während das Hündchen sich seine Milch schmecken ließ.

      Diesen Mittag zogen Annemarie und Margot nicht hüben und drüben heimwärts. Arm in Arm sprangen sie mit seligen Gesichtern dahin. Ihnen voran der wieder glücklich der Gefangenschaft entronnene Puck. Freudig klang sein Bellen durch die Straßen Berlins.

      »Weißt du, Margot«, flüsterte Annemarie der Freundin beim Abschied ins Ohr, »es war doch fein, daß der liebe Gott heute Puck mit in die Schule geschickt hat. Sonst wären wir beide am Ende nie mehr gut geworden!«

      8. Kapitel

       Wer kommt Erste?

       Inhaltsverzeichnis

      Es war gar nicht so leicht für die kleinen Abcschützen, ruhig und emsig in der Klasse über den Büchern zu sitzen, während goldene Frühlingssonne vom Himmel lachte. Viel lieber hätten die munteren Beinchen mit den zum Klassenfenster übermütig hereinflimmernden Sonnenstrahlen um die Wette getanzt. Aber jetzt hieß es fein still gesessen, so schwer es auch manchem kleinen Wildfang wurde.

      Fräulein Hering sorgte dafür, daß die Stunden den Kindern keine Last, sondern eine Freude waren. Da wurde trotz allen ernsthaften Lernens so fröhlich gescherzt, da wurden nette Gedichte gelernt und lustige Liedchen gesungen, daß keines von den Kleinen bei der Arbeit allzusehr ermüdete.

      Bis zu den großen Buchstaben waren die Schlauköpfchen inzwischen schon vorgedrungen. Annemarie stand und buchstabierte, wo sie nur einen beschriebenen Fetzen Papier fand. Ja, sie sprach auch zu Hause meist lautierend und buchstabierend und wurde von den größeren Brüdern deshalb oft ausgelacht.

      Seit sie nun noch gar die Bekanntschaft der gedruckten Buchstaben gemacht hatte, war es Fräulein beinahe unmöglich, mit Klein-Annemarie auf der Straße zu gehen. Vor jedem Ladenschild blieb sie stehen und übte ihre Lesekunst, es war jedesmal ein Wunder, daß sie noch zurzeit in der Schule anlangte.

      Eines Tages wollte das kleine Mädchen durchaus nicht in die Hardenbergstraße einbiegen, durch die ihr Schulweg führte.

      »Nein, Fräulein, ach bitte nein, ich graule mich so, wir wollen doch lieber die andere Straße lang gehen«, bettelte sie flehentlich und zog Fräulein an der Hand zurück.

      »Aber Annemie, bist du denn nicht gescheit?« lachte diese. »Wir gehen doch jetzt seit Wochen täglich durch die Hardenbergstraße, wovor fürchtest du dich denn plötzlich am hellen Tage?«

      »Ich will’s nicht sagen«, flüsterte Annemarie verlegen mit einem Blick auf die neugierig lauschende Freundin. »Margot grault sich sonst auch so doll. Bitte, liebes Fräulein, geh’ doch hier lang mit uns.« Die Kleine zog mit allen Kräften in eine seitwärts abzweigende Straße hinein.

      »Nein, Annemie,« Fräulein schüttelte den Kopf, »wenn du so dumm bist und nicht sagen willst, was du in der Hardenbergstraße fürchtest, gehen wir ruhig dort lang. Es ist auch ein Umweg durch die andere Straße, wir kommen nicht mehr zur Zeit.«

      Es half nichts, Annemarie mußte mit in die gefürchtete Hardenbergstraße einbiegen. Die schaute mit ihren schönen Häusern, den blühenden Vorgärten und den lustig entlang bimmelnden elektrischen Bahnen so frühlingsmäßig freudig drein, daß weder Fräulein noch Margot hier irgend etwas Schreckhaftes wahrnehmen konnten.

      Und doch umklammerte Nesthäkchen angstvoll Fräuleins Rechte, ja, sie kroch fast in die Falten ihres Kleides, um sich möglichst unsichtbar zu machen.

      »Da – da –«, flüsterte sie aufgeregt und wies scheu auf einen höchst appetitlich aussehenden Schlächterladen an der Ecke.

      »Ja, was denn, siehst du Gespenster, Annemiechen, was ist denn da so Fürchterliches? Frische Blut-und Leberwurst gibt’s heute, aber davor kannst du doch unmöglich Angst haben.«

      »Das Schild«, stieß das kleine Mädchen zitternd hervor und hielt sich die Augen zu.

      »Rind-und Schweineschlächterei von Karl Piependeckel«, las Fräulein. Sie konnte beim besten Willen daran nichts Schauriges entdecken.

      »Schnell, komm schnell vorbei, Fräulein«, bestürmte sie Annemarie in höchster Aufregung.

      Aber Fräulein blieb ruhig stehen. Sie mußte der Sache aus den Grund gehen und hören, was das törichte Kind in Furcht setzte. Auch Margot sah ganz erstaunt auf die sonst so kecke Freundin.

      »Jetzt sagst du mir, was dich an dem Schild ängstigt«, verlangte Fräulein in so bestimmtem Ton, daß Klein-Annemarie die Händchen von den Augen zog.

      »Da –«, sagte sie noch einmal, und buchstabierend las Nesthäkchen voll Grausen: »Kind-und Schweineschlächterei.«

      Hellauf lachte Fräulein, und auch Margot stimmte in ihr Lachen ein. Ganz betroffen sah das verängstigte Kind die heiteren Mienen der beiden.

      »Aber Annemie, du bist doch dümmer als dumm, der erste Buchstabe ist doch ein großes R und kein K«. Fräulein lachte immer noch. »Rind-und Schweineschlächterei und nicht Kind-und Schweineschlächterei heißt das; du hast wohl Angst gehabt, hier werden kleine Kinder geschlachtet und als Sonntagsbraten verkauft, du kleines Dummerchen?«

      »Ja«, gab Nesthäkchen zu und atmete erleichtert auf.

      Aber als Margot sie jetzt neckte: »Die Annemie hat geglaubt, der Schlächter macht eine Wurst aus ihr!« da war es ihr doch recht peinlich, daß sie ausgelacht wurde.

      Besonders, weil auch daheim etwas von Nesthäkchens merkwürdiger Lesekunst verlautete. Wo sich die Kleine blicken ließ, wurde sie damit aufgezogen.

      Sogar Vater, der sein Nesthäkchen doch sonst ein wenig verzog, gab ihr belustigt das Rätsel auf, wodurch sich ein Kind von einem Rind unterscheide.

      Und als die Kleine alle möglichen Unterschiede herausfand, hieß die Auflösung: Durch den Anfangsbuchstaben.

      Mit den Brüdern mochte Klein-Annemarie gar nicht mehr auf die Straße gehen. Hans machte sie auf jeden Schlächterladen aufmerksam, und Klaus, der Strick, nahm aus Ulk schreiend Reißaus, sobald sie sich einem Fleischgeschäft näherten.

      Sogar die gute Hanne hatte mit der Kleinen ihren Spaß. Annemarie pflegte ihr stets, wenn sie aus der Schule kam, einen Besuch in der Küche abzustatten und dabei gleichzeitig nachzuforschen, was es wohl zu Mittag Gutes gab. Als Nesthäkchen wieder einmal Fräulein Topfgucker war und wissen wollte, was Hanne gekocht habe, antwortete diese ernsthaft: »Heut’ gibt’s Kinderbrust mit Bouillonkartoffeln.« Und dabei kam doch nachher Rinderbrust aus den Tisch.

      Das Gute an Annemaries lustigem Irrtum war, daß sich die Kleine in der Lesestunde jetzt noch viel mehr Mühe gab als vorher. Sie hatte sich zu sehr geschämt, so was durfte ihr nicht wieder passieren.

      Auch in den anderen Stunden konnte Fräulein Hering mit Annemarie Braun zufrieden sein. Keine rechnete so flott wie sie. Längst hätte Annemarie wohl ihre Freundin Margot Thielen überflügelt, denn sie wurden beim Rechnen herauf-und heruntergesetzt, wenn nicht leider auch beim Schreiben die Plätze nach den Nummern eingenommen wurden.

      Doktor Brauns

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