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wie auf einem Gletscher. Denn in Tausenden von Eiskristallen blitzte und funkelte die weiße Straße.

      Doktors Nesthäkchen nahm den Weg zur elterlichen Wohnung. Erst mußte sie hören, ob ihre Mutti eine gute Nacht gehabt, und ob es ihr besser ginge.

      Die Vordertreppe wagte sie sich noch immer nicht hinauf, aus Furcht, vom Vater erwischt zu werden. Im Hof war der Hausmeister gerade dabei, Kohlen von einem Handwagen abzuladen. Sein kleiner Pflegesohn, Annemaries besonderer Freund, half ihm dabei.

      »Du, Mäxchen, wo habt ihr denn die Kohlen her?« Annemarie blickte mit so begehrlichen Augen auf die schwarzen Steine, als ob sie aus Schokolade wären.

      »Ha’ mer uns jeholt.«

      »Woher denn, Max?«

      »Det sag’ ick nich – det sag’ ick nich.« Der Junge sprang vor Vergnügen oder vor Kälte von einem Bein auf das andere.

      »Du, Max, ich hab ’nen Bonbon.« Annemarie grabbelte mit erstarrten Fingern in ihrer Tasche herum.

      Jetzt machte der Junge begehrliche Augen.

      »Wo denn? Ach, Se haben ja jar keenen, Se schwindeln mich ja bloß was vor,« rief er ungezogen.

      Wirklich, Annemarie fand den gesuchten Bonbon nicht mehr. Sie mußte ihn sich wohl schon selbst zu Gemüte geführt haben.

      »Mäxchen, ich bringe dir morgen eine ganze Tüte voll mit, wenn du mir sagst, woher ihr die Kohlen habt,« versprach das junge Mädchen.

      Aber statt zu antworten, machte der Bengel ihr eine lange Nase und weg war er, in die Portierwohnung hinein.

      So eine Range! Dem hatte sie einst den schönen Namen Hindenburg beigelegt; für den Schlingel hatte sie sich gemüht und eigenhändig Windeln genäht, als Hans ihn vor Jahren als elternlosen Ostpreußensäugling mit heimgebracht hatte. Undank ist der Welt Lohn!

      Sie mußte sich an den Hausmeister selbst halten. Vielleicht überließ der ihr sogar ein paar Kohlen für die Großmama. Denn Hanne, die auch schon einige Male ausgeholfen, konnte nichts mehr abgeben. Sonst mußte Vaters Sprechzimmer und das Krankenzimmer der Mutter ungeheizt bleiben.

      »Ach, Herr Kulicke,« bat Annemarie, als der Mann sich wieder im Hof zeigte, um eine neue Ladung zu verstauen, »wo bekommt man denn Kohlen?«

      Der Hausmeister war eigentlich als Grobian im Hause verschrien. Aber Doktors Nesthäkchen mit den strahlenden Blauaugen hatte es ihm wie jedem andern angetan. »Na, Fräuleinchen, weil Sie’s sind – von’n Nordhafen habe ich se in aller Herrjottsfrühe heute schon herjekarrt. Was meine Ollsche is, die hätt’ sonst heut’ morjen keen Droppen Kaffee nich kochen können.«

      »Ach, lieber Herr Kulicke, könnten Sie mir nicht ein paar Kohlen abgeben?« bettelte Annemarie. »Meine Großmutter muß heute im Bett bleiben, weil sie kein warmes Zimmer hat.«

      »Wir haben ooch tagelang frieren müssen. Nu können die Reichen ooch mal sehen, wie dis is.«

      Vater hatte recht: Der Kulicke war sicher Spartakist, dachte Annemarie. Trotzdem versuchte sie noch einmal ihr Heil. »Wir würden es Ihnen sehr gut bezahlen, Herr Kulicke, wenn Sie uns auch solch einen Wagen mit Kohlen besorgen würden.«

      »Wenn ihr Kohlen haben wollt, holt se euch jefälligst alleene. Die Reichen denken bloß immer, für ihr Jeld können se allens haben. Nee, is nich! Die Zeiten sind vorbei. Ihr werdet schon nicht frieren, wenn ihr Kohlen schleppen dut wie unsereins. Sollt mal sehen, wie euch denn schwitzt. Hahaha –« Der Mann lachte höhnisch auf.

      »Ich würde ja gern selbst Kohlen holen, aber ich habe doch keinen Wagen,« meinte Doktors Nesthäkchen kleinlaut.

      »Den würd’ ich Ihn’ borjen, weil Se immer jut zu unsern Mäxeken jewesen sind,« lenkte der Mann, als er das betrübte Gesichtchen Annemaries sah, ein. »Aber allein könn’n Se den schweren Wagen nicht ziehen, dazu sind Se man zu spillerig. Was Ihre Herren Brieder sind, die kennen anfassen. Die vornehmen jungen Herren kennen ooch mal sehen, wat Schwielen an den Händen bedeuten.« Damit nahm Kulicke seine Last auf den Rücken.

      Klaus – ja, Klaus mußte mit zum Nordhafen. Der hatte Kräfte. Der mußte für die Großmama Kohlen fahren helfen.

      »Hanne, wie geht’s Mutti heute?« Atemlos stieß Annemarie es hervor, so schnell war sie die zwei Treppen hinausgelaufen.

      »I, unse Frau Doktorn, die is janz mobil. Aber –«

      »Ist Klaus da, Hanne? Rufen Sie ihn doch mal raus.« Annemarie war ganz erfüllt von ihrer Absicht.

      »Ja, da sein tut er schon. Aber rufen kann ich ihn nich. Der Herr Klaus nämlich, den hat’s jestern abend doll jepackt.«

      »War er auf der Kneipe? Hat er wieder mal ’nen Kater?«

      »Nee, aber die Jrippe hat er. Und zwar janz jehörig. Und wenn de hier noch lange rumstehst, Annemiechen, denn kriegt se dir auch bei’n Schlafittchen.« Hanne machte Miene, sie schon wieder auszusperren.

      Aber Nesthäkchen klemmte den Fuß zwischen die Tür. »Einen Augenblick, Hanne, ist Hans vielleicht noch da?«

      »Nee, Annemiechen, der is schon über ’ne Stunde aufs Jericht. Unser Herr Hans is jrade so fleißig wie sein Pappa. Aber nu jeh, Annemiechen, ich hab’ keine Zeit nich. Bei uns is jetzt das reine Lazarett. Drei Patienten hab’ ich zu pflegen. Aber so ’ne Krankenschwester, wie se drüben bei Thielens überall das jroße Wort fiehrt, die kommt mir hier nich rein.«

      »Dann werden Sie bloß nicht auch noch krank, Hanne!«

      »I, wo werd’ ich denn – aber nu jeh’ hübsch bei deine Frau Jroßmama’n, Annemiechen.« Die Tür flog wieder ins Schloß.

      Annemiechen aber ging nicht »bei ihre Frau Jroßmama’n«, sondern in die Hausmeisterloge zu Herrn Kulicke.

      »Was mach’ ich denn nun bloß, Herr Kulicke? Mein Bruder Klaus ist krank, er hat die Grippe. Und mein ältester Bruder ist schon auf dem Gericht. Kann ich denn den Wagen wirklich nicht allein ziehen?«

      »Nee, was nich jeht – jeht nich. Aber’n Kinderwagen von Mäxeken wer’ ich Ihn’ jeben. Da kennen Se jut und jerne ’n Zentner Preßkohlen drin holen.«

      »Ach, lieber Herr Kulicke, ist das nett von Ihnen.« Annemarie drückte dem Hausmeister glückselig die Hand.

      Der ziemlich wackelige Kinderwagen wurde hervorgeholt und Annemarie ließ sich den Weg zum Nordhafen beschreiben. Dann zog sie mit ihrer Equipage los.

      Am Hause von Vera führte der Weg vorüber. Halt – Vera mußte mitkommen. Allein war der Winterausflug in den Norden Berlins ein wenig unbehaglich. Aber mit der Freundin zusammen, das war ganz etwas anderes. Da machte sogar das Frieren Spaß.

      »Fein – daß du kommen zu mich, Annemie,« empfing Vera sie erfreut. »Ich haben gewillt – gewollen dich holen, weil heute wiederr ist warrm bei mich.«

      »Drei Fehler in zwei Sätzen. Vera Burkhard, ich kann Ihnen unmöglich die Reife für Unterprima erteilen.« Annemarie guckte über einen nicht vorhandenen Kneifer hinweg wie ihr Ordinarius.

      »Sie können geben mich sogleich eine Lektion prrivat, Herr Prrofessor,« lachte Vera.

      »Dazu ist heute keine Zeit, Verachen. Ich habe meinen Kinderwagen unten im Hausflur und – – –«

      »Was haben du?« Vera lachte, daß ihr die Tränen in die Augen traten. Nein, war die Annemie ulkig! »Eine Kinderrwagen du haben unten? Für welche Baby sollen es sein, für dirr oder mirr?«

      »Für uns allebeide. Ich beabsichtige wie Cook und Nansen eine Nordpolexpedition zu unternehmen. Dazu wollte ich dich auffordern.«

      »Annemie, gefrrieren wirr haben jetzt zwei lange Wochens. Ich nicht brrauchen mehrr zu rreisen zu Norrdpol,« ging Vera auf den Scherz ein.

      »Schadet nichts. Du mußt mir heute deine Freundschaft beweisen und mitkommen.« Annemaries lustiges Grübchengesicht sah plötzlich

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