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Hanne lachte in sich hinein.

      Ja, das gab freilich eine Überraschung für die Großmama. Ob aber eine sehr freudige, soll dahingestellt bleiben!

      In dem fürchterlichen Radau und in dem Bestreben, den Kleinen zu beruhigen, überhörte Annemarie den Eintritt der Großmama. Die blieb entsetzt mitten im Zimmer stehen. Sie traute ihren Augen nicht.

      Da schrie und meckerte aus Nesthäkchens Puppenwagen, in dem die Puppen sich sonst ganz geräuschlos zu benehmen pflegten, ein lebendiges Etwas. Und Nesthäkchen selbst machte mit ihrer Klingel einen noch lauteren Spektakel. Hans aber stand auf der anderen Seite des Puppenwagens und ließ seine Taschenuhr hin und her schwingen, ohne daß dies irgendwelchen Eindruck auf den kleinen Schreihals machte.

      »Ja, Kinder, was bedeutet denn das – wollt ihr mir das nicht gefälligst erklären?« Es dauerte eine ganze Weile, bis Großmama sich Gehör verschaffen konnte.

      Annemarie hielt sofort im Läuten inne: Hindenburg aber nicht im Brüllen.

      »Liebstes, einziges Großmuttchen, du hast ein Urenkelchen gekriegt!« Nesthäkchen flog auf die Großmama zu und zog sie selig zu dem Puppenwagen.

      »Wa–s?« mehr brachte Großmama nicht heraus.

      »Ist es nicht süß – wenn es man bloß nicht so schreien wollte!«

      Diesen lebhaften Wunsch hegte auch die Großmama. Sie war in den fünf Minuten, in denen sie wieder zu Hause war, schon ganz wüst im Kopf geworden von dem Radau. Und »süß« konnte sie den krebsroten, kleinen Kahlkopf auch beim besten Willen nicht finden. Wie kam denn der überhaupt hierher?

      Großmama wandte sich mit fragenden Augen an Hans. Da kam sie gerade an die richtige Adresse.

      »Ich hab’ ihn mitgebracht, Großmama,« gab Hans ein wenig zaghaft Auskunft, »weil der arme, kleine Kerl kein Unterkommen fand.« Es war ihm nun doch zweifelhaft, wie Großmama sich zu dem kleinen Lärmmacher stellen würde.

      »Und ich hab’ ihn von Hänschen geschenkt bekommen, weil er doch keine Eltern mehr hat, ich will ihn aufziehen! Na, lach’ die Urgroßmama doch mal an, Hindenburg!«

      »Was – wie heißt er?«

      »Hindenburg – so habe ich ihn dem General von Hindenburg zu Ehren genannt«, erklärte das kleine Mädchen stolz.

      Da lachte aber die »Urgroßmama« statt seiner, lachte – lachte – sie konnte sich gar nicht beruhigen.

      »Und der kleine Hindenburg soll bei uns bleiben?«

      »Wenigstens so lange, bis man anderswo Platz für ihn findet, oder bis die Eltern sich melden«, räumte der Obersekundaner zögernd ein.

      »Nee, bis er groß ist – ich geb’ ihn nicht fort. Großmuttchen, du hast doch immer solch Mitleid mit den armen Ostpreußen. Mein kleiner Hindenburg ist auch ein ostpreußischer Flüchtling. Er kennt nicht mal seine Eltern – nicht wahr, er darf doch bei uns bleiben?« so bettelte Nesthäkchen, während Hindenburg plötzlich seine Kommandostimme dämpfte. Als ob er ahnte, daß jetzt über sein Schicksal entschieden würde.

      Großmama ließ sich auf den erstbesten Stuhl fallen. Sie war einfach erschlagen von den Aussichten, die sich vor ihr eröffneten. Da hatte sie noch gar nicht genug mit der Beaufsichtigung des wilden Klaus und des übermütigen Nesthäkchens. Ein schreiendes Wickelkind – das fehlte ihr nur noch gerade.

      Währenddessen berichtete Hans ihr die Lebensgeschichte des kleinen Eindringlings, wenigstens so weit sie ihm selbst bekannt war.

      Großmamas weiches Herz konnte sich dem traurigen Schicksal dieses unschuldigen Würmchens, das der Krieg aus der Eltern Obhut gerissen, nicht verschließen. Sie nahm es hoch und ließ es nach Großmütterart tanzen. Da verzog Hindenburg das Gesicht zu einem schmerzlichen Lächeln.

      Nesthäkchen aber glaubte, jetzt gewonnenes Spiel zu haben, da Großmama so nett mit »ihrem« Kleinen tat.

      »Nicht wahr, Großmuttchen, wir behalten ihn? Ich werde Windeln für ihn nähen und Hemdchen – – –«

      »Und wer soll die Windeln waschen, Herzchen?«

      »Das tut Hanne sicher gern – nicht wahr, Hanne?« wandte sich das kleine Mädchen bittend an die den Abendbrottisch deckende Köchin.

      »Ih – fällt mir ja nicht im Traume ein! Die wasch dir nur jefälligst selbst, wenn du dir ein Wickelkind ins Haus nimmst«, lachte Hanne. Aber Nesthäkchen merkte, daß sie nur Spaß machte.

      Großmama hatte nun genug Zärtlichkeit an den neuen »Urenkel« verschwendet. Sie legte ihn wieder in den Wagen zurück.

      Das aber nahm Hindenburg gewaltig krumm. Er schrie wie am Spieß und lutschte dabei an allen Fingern zu gleicher Zeit.

      »Das Kind hat ja schrecklichen Hunger«, nicht umsonst hatte Großmama drei Kinder und sechs Enkelkinder gehabt. Sie wußte sofort, was dem Kleinen fehlte.

      »Aber der hat ja schon fünf ganze Puppentassen Milch getrunken«, ließ sich die kleine Pflegemutter vernehmen.

      »Fünf ganze Puppentassen – na, dann hat das Baby recht, wenn es schreit«, lachte Großmama.

      »Bitte schön, Baby ist ein englisches Wort, wir Deutsche sagen Wickelkind«, nun mußte Großmama doch tatsächlich wegen ihres neuen Urenkels fünf Pfennige in die Fremdwortkasse zahlen.

      »Springe doch mal in das Glasgeschäft nebenan, dort gibt’s Saugflaschen, und bringe auch gleich einen Gummipfropfen mit, Annemie«, ordnete Großmama an.

      Nesthäkchen lief, was es konnte.

      Als es zurückkehrte, traf es die vom Spaziergang heimkehrende Freundin Margot.

      »Sieh mal, was ich hier habe, Margot«, Annemarie schwenkte übermütig ihr Fläschchen.

      »Nanu, trinkst du noch aus der Flasche?« lachte Margot.

      »Nee, aber ich hab’ ein Wickelkind geschenkt bekommen, einen niedlichen kleinen Jungen, Hindenburg heißt er – –«

      »Na ja, eine Puppe – – –«

      »Nee, eine lebendige Puppe – eine ganz lebendige – –«

      »Jawoll, Schwindel!« machte Margot ungläubig, und das konnte man ihr schließlich nicht verdenken.

      »Bitte sehr, komm mit rein und sieh dir meinen kleinen Hindenburg an!« Annemarie zog die Freundin mit sich.

      Schon draußen vernahm Margot die melodische Stimme von Annemaries Wickelkind. Wahr-und wahrhaftig, da lag im Puppenwagen eine lebendige Puppe.

      »Ist das wirklich deins oder ist es bloß zu Besuch da?« Margot wurde nicht klug aus der Sache.

      »Nee, Hänschen hat es mir geschenkt, weil es seine Eltern verloren hat, nun werde ich es erziehen«, sagte Nesthäkchen großartig.

      Margot verabschiedete sich in sprachloser Bewunderung.

      Inzwischen hatte Hanne etwas Milch angewärmt und brachte das Fläschchen.

      »Ich will es ihm geben, ja, Großmama, bitte, laß mich, sonst weiß es ja gar nicht, daß ich seine Pflegemutter bin«, bat Annemarie.

      Großmama nickte lächelnd und gab Annemarie das Kind richtig in den Arm. Erwartungsvoll setzte sie Hindenburg das Fläschchen an den Mund, den dieser noch viel erwartungsvoller aufsperrte.

      Der verhungerte Säugling begann auch sogleich zu ziehen – einmal – noch einmal – dann stieß er das Fläschchen wütend fort und schrie zur Abwechslung wieder. Soviel Mühe Nesthäkchen sich auch gab, ihm den Gummipfropfen wieder in den Mund zu stopfen, Hindenburg wehrte sich energisch.

      »Großmuttchen – ach, liebes Großmuttchen, komm doch bloß mal schnell«, rief die kleine Mutter angstvoll in das Nebenzimmer. »Das Kind ist bestimmt krank, es will nicht trinken – wenn Vater doch bloß nicht im Felde wäre!«

      Großmama

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