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Freude auf das Kind, seelisch auf dem Nullpunkt. Wenn man nur wüßte, wie ihr zu helfen ist. Wie geht es Ihrem Enkelchen Nikki?« lenkte Dr. Laurin ab.

      »Prächtig. Meine beiden sind glücklich. Na, Sie ja auch.«

      Er war es, mit seiner Frau Antonia, den Zwillingen Konstantin und Kaja, Kevin und der kleinen Kyra. Für ihn war seine Familie Ausgleich für alle Probleme, die er Tag für Tag in seiner Praxis hatte. Maren Hellbrog war ein großes Problem für ihn. Er gehörte nicht zu denen, die alles abschütteln konnten, und er wußte, daß Maren seelisch am Ende war.

      Als Maren an diesem Morgen aufstand, fand sie ein Chaos vor. Verzweiflung packte sie, als Martha die Hände über dem Kopf zusammenschlug und stöhnte, daß dies zuviel sei.

      »Mich wundert, daß das Haus noch steht und daß Sie sich das bieten lassen…« Sie sprach nicht weiter, denn Maren schluchzte auf.

      »Ist ja schon gut«, murmelte Martha. »Aber wenn Sie meine Meinung hören wollen, ich würde ihn vor die Tür setzen.«

      Ein paar Minuten stand Maren wie erstarrt da, dann ging sie in das Zimmer ihres Mannes. Er schlief, aber diesmal konnte sie sich nicht mehr beherrschen.

      »Steh auf!« schrie sie.

      »Scher dich zum Teufel!« stieß er hervor.

      »Scher du dich zum Teufel«, gab sie im gleichen Ton zurück.

      Das hatte er nun doch nicht erwartet. Er richtete sich auf und starrte sie an.

      »Wie redest du mit mir?« fragte er konsterniert. »Entschuldige, ich bin noch gar nicht richtig wach.«

      »Dann wird es Zeit. Ich kann Martha nicht zumuten, daß sie die Arbeit allein macht, und ich fahre jetzt in die Stadt.«

      Nun war er ganz und gar aus dem Konzept gebracht. »Wieso?«

      »Das ist meine Angelegenheit. Du lebst dein Leben, ich meines.« Bevor er sich von diesem Schrecken erholt hatte, denn das war wirklich einer für ihn, fiel die Tür hinter ihr ins Schloß.

      »Na, das war eine Wohltat«, sagte Martha, denn sie hatte jedes Wort verstanden. »Nun beruhigen Sie sich mal wieder.«

      Maren zitterte am ganzen Körper. Als sie gehen wollte, erschien Bodo in der Halle.

      »Wohin willst du?« fragte er. »Mach doch keine Dummheiten, Maren. Es sieht wirklich übel aus. Es tut mir leid. Ich habe wohl die Kontrolle verloren.«

      Er widerte sie an mit diesen verquollenen Augen, dem aufgedunsenen Gesicht und dieser kläglichen Haltung. Sie würdigte ihn keines Blickes und ging wortlos.

      Woher sie den Mut nahm, wußte sie selbst nicht. Weil ihr jetzt alles gleichgültig war, fuhr sie auch mit ihrem eigenen Wagen. Als sie dann aber eine Kreuzung fast bei Rot überfahren hätte, kam sie zu sich. Nein, das gönnte sie ihm nicht, daß er auf diese Weise von ihr befreit wurde. Aber in ihr war ein Grauen, als sie sich bewußt wurde, wie willkommen ihm das wohl wäre. Fast hätte sie vergessen, was sie sich vorgenommen hatte, aber diesmal schüttelte sie die quälenden Gedanken ab und fuhr zu dem Konzertsaal.

      ›Ausverkauft‹ stand über dem Plakat.

      Ich muß eine Karte bekommen, dachte Maren. Ich muß ihn sehen und ihn spielen hören. Sie konnte sich diesen Zwang nicht erklären.

      Eine Kasse war geöffnet. Maren nahm allen Mut zusammen und sagte zu der Kassiererin: »Ich möchte eine Karte. Gleich, was sie kostet.«

      »Tut mir leid, wenn Sie nicht vorbestellt haben, kann ich Ihnen keine geben.«

      Maren stieg das Blut ins Gesicht. Bei jeder anderen Gelegenheit wäre sie sofort gegangen, aber jetzt konnte sie es nicht. Sie merkte nicht, daß ein paar Herren dicht hinter ihr standen. Sie sagte: »Mein Name ist Hellbrog. Vielleicht haben Sie doch noch eine Karte.«

      Der Frau blieb der Mund offenstehen. Sie starrte Maren irritiert an, und dann ertönte hinter Maren eine Stimme: »Sagen Sie das noch mal. Ihr Name ist Hellbrog?«

      Die Männerstimme klang kühl. Maren fuhr herum und sah in das Gesicht, das sie gestern in der Zeitung und heute auf dem Plakat gesehen hatte.

      Aber was war das in Wirklichkeit für ein Gesicht! Es sah fast verwegen aus mit den zwei Narben auf der rechten Wange und am Kinn. Das ziemlich lange und sehr volle Haar war schwarz und von grauen Fäden durchzogen, seine Augen dagegen von einem durchsichtigen Grau, wachsam, klug und durchdringend zugleich.

      »Ich bin Bodos Frau«, hörte sich Maren sagen, ohne recht zu wissen, ob sie es auch laut gesagt oder nur gedacht hatte.

      Götz Hellbrog drehte sich zu seinen Begleitern um. »Entschuldigt mich«, sagte er, dann griff er nach Marens Arm und zog sie mit sich. Widerstandslos folgte sie ihm.

      »Das kann nicht wahr sein«, sagte Götz, als sie auf der Straße standen. »Warum wollen Sie mein Konzert besuchen?«

      »Ich weiß nicht«, flüsterte Maren. »Ich wollte Sie einmal sehen.«

      »Um das schwarze Schaf kennenzulernen?« fragte er sarkastisch.

      Ihr Herz hämmerte wild. Ihr Mund war trocken, und heiser klang ihre Stimme, als sie sagte: »Ich glaube nicht, daß Sie das schwarze Schaf sind.«

      »Ich glaube, wir sollten uns näher kennenlernen«, sagte Götz nach einer gedankenvollen Pause. »Wenn Sie so versessen darauf sind, bekommen Sie eine Karte. Gehen wir jetzt einen Happen essen. Ich habe Hunger.«

      Er war ein seltsamer Mann. Er redete, wie ihm der Schnabel gewachsen war, und er machte keine Konzessionen an gesellschaftliche Formen. Er war ein Mensch im besten Sinne des Wortes. So begriff sie ihn in diesen ersten Minuten.

      »Eigentlich dürfte ich ja wohl du sagen«, bemerkte er, als sie über die Straße gingen. »Oder ist man Bodo blindlings ergeben?«

      Maren sah zu ihm empor. »Sehe ich so aus?« fragte sie.

      Seine Erwiderung war typisch für ihn. »Mädchen, du mußt ein Brett vor dem Kopf gehabt haben, als du ihn geheiratet hast. Du hattest wohl ein ansehnliches Bankkonto?«

      »Das habe ich noch«, entgegnete Maren mit einem leisen Aufbegehren.

      »Na, das möchte ich bezweifeln«, erklärte Götz. Er blieb stehen, drehte sie zu sich um und betrachtete sie forschend. »Glücklich bist du nicht, Maren«, stellte er fest.

      Es war ein hübsches Lokal, in das er sie führte. Er nahm ihr den Mantel ab, und seine Augen verdunkelten sich, als sein Blick über Maren hinglitt. Er nahm ihre Hand und küßte sie. »Es tut mir sehr leid, Maren, daß ich nicht sanfter war«, sagte er leise. »Ich bin halt ein rauher Bursche, aber ich habe nicht gleich bemerkt, daß du ein Kind erwartest.«

      Wie wenig er ein rauher Bursche war, bewies diese Bemerkung. Maren fühlte sich plötzlich eingehüllt in eine unbekannte Zärtlichkeit und Fürsorge.

      »Nein, ich bin nicht glücklich«, sagte sie leise, »und ich freue mich auch nicht auf das Kind.«

      Er drückte sie sanft in einen Sessel und gab eine Bestellung auf.

      »Du hast Pech gehabt, Mädchen, aber damit stehst du nicht allein auf der Welt.«

      »Hast du auch Pech gehabt, Götz?« fragte Maren verhalten.

      »Ich? Nein, ich habe meine Musik. Mit der bin ich verheiratet, und sie enttäuscht mich nicht. Ich bin ein komischer Knabe, Maren. Nun essen wir aber erstmal«, fuhr er fort.

      Ihr Gesicht hatte jetzt Farbe bekommen, und in ihre schönen dunklen Augen kam Glanz, als er lächelte. Es war ein verhaltenes, scheues Lächeln.

      Es gab keine Ähnlichkeit zwischen ihm und Bodo und keinen Weg, der sie zueinander führen würde. Das wußte Maren schon in diesem Augenblick ganz genau, aber sie wußte auch, daß sie einen Freund gefunden hatte.

      Er war völlig ungezwungen.

      »Wie alt bist du?« fragte er.

      »Zweiundzwanzig.«

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