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reden anfange, weiß ich nie ein Ende zu finden.«

      Ein Zug in dem sonst unergründlichen Wesen dieses jungen Menschen war also deutlich ausgesprochen; er betete seinen Zwillingsbruder an.

      Es würde auch mir klar gewesen sein, daß Herr Nugent Dubourg es verdiene, angebetet zu werden, wenn ich mich damit hätte aussöhnen können, daß er seinen Bruder an einem Orte wie Dimchurch sich selbst überlassen hatte. Ich mußte mich des großen Dienstes erinnern, welchen er seinem Bruder bei dem Criminalproceß geleistet hatte, um es über mich zu gewinnen, ihm die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, mein Urtheil über ihn bis zu einer persönlichen Bekanntschaft zu suspendiren.

      Nachdem ich diesen Art der Großmuth vollbracht hatte, nahm ich die erste sich darbietende Gelegenheit wahr, um die Unterhaltung auf einen andern Gegenstand zu leiten. Ich kenne nichts Langweiligeres, als die Mittheilung über die Tugenden einer abwesenden und uns unbekannten Person. »Ist es wahr« fragte ich, »daß Sie Browndown auf sechs Monate gemiethet haben? Wollen Sie sich wirklich in Dimchurch niederlassen?«

      »Ja,« antwortete er, »wenn Sie mein Geheimniß bewahren wollen. Die Leute hier wissen nichts von mir. Sagen Sie ihnen, bitte, nicht, wer ich bin! Sie würden mich von hier forttreiben, wenn Sie es thäten.«

      »Ich muß aber doch Fräulein Finch sagen, wer Sie sind,« erwiderte ich.

      »Nein, nein, nein!« rief er eifrig aus. »Ich kann den Gedanken, daß sie darum wissen sollte, nicht ertragen. Ich bin so entsetzlich beschimpft worden. Was würde sie von mir denken?«

      Es folgte ein neuer Erguß seiner entzückten Bewunderung Lucilla’s, untermischt mit erneuten Bitten, seine Geschichte vor Jedermann geheim zu halten. Ich verlor die Geduld bei seinem gänzlichen Mangels an Charakterstärke und gesundem Menschenverstand.

      »Mein lieber Oscar; ich möchte Sie wohl ohrfeigen,« sagte ich, »Sie befinden sich in Betreff dieser Angelegenheit in einem nichtswürdig krankhaften Gemüthszustande. Haben Sie nichts Anderes zu denken? Haben Sie keinen Beruf? Müssen Sie nicht für Ihren Unterhalt arbeiten?«

      Ich sprach, wie man sieht, in ziemlich starken Ausdrücken, denen ich noch durch einen entsprechenden Ton und eben solche Manieren den gehörigen Nachdruck verlieh. Herr Oscar Dubourg sah mich mit der verwirrten Miene eines Menschen an, dessen Geist sich plötzlich eine Fülle neuer Ideen gewaltsam aufdrängt. Er gab bescheiden die für ihn demüthigende Wahrheit zu. Seit seinen Kinderjahren hatte er immer nur die Hände in die Tasche zu stecken gebraucht, um jederzeit Geld zu finden, ohne daß er jemals nöthig gehabt hätte, es vorher zu verdienen. Sein Vater war ein beliebt er Porträtmaler gewesen und hatte eine Dame, deren Portrait er gemalt, eine Erbin geheirathet. Oscar und Nugent fanden sich beim Tode ihrer Eltern in der verabscheuungswürdigen Lage unabhängiger Gentleman. Die Würde der Arbeit war etwas diesen unglücklich verwöhnten jungen Leuten Unbekanntes.

      »Ich verachte einen reichen Müßiggänger,« sagte sich zu Oscar in in meiner republikanischen Strenge. »Sie bedürfen des veredelnden Einflusses der Arbeit, um einen Mann aus sich zu machen. Kein Mensch hat ein Recht, müßig zu gehen, Keiner ein Recht, reich zu sein. Sie würden sich in einem weniger krankhaften Gemüthszustande befinden, mein junger Mann, wenn Sie Ihr Brot und Ihren Käse verdienen müßten, bevor Sie es essen.«

      Er starrte mich mit kläglicher Miene an. Die edlen Gesinnungen, welche ich von meinem verstorbenen Gatten überkommen hatte, brachten Herrn Oscar Dubourg völlig außer Fassung. »Seien Sie mir nicht böse,« sagte er in seiner unschuldigen Weise. »Meinen Käse würde ich auch nicht essen können, wenn ich ihn mir verdiente, ich kann keinen Käse vertragen. Ueberdies beschäftige ich mich so gut ich kann.« Er nahm seine kleines goldene Vase von dem hinter ihm stehenden Tische und erzählte mir, was ich ihn schon Lucilla hatte erzählen hören, als ich am Fenster horchte. »Sie würden mich diesen Morgen bei der Arbeit gefunden haben,« fuhr er fort, »wenn nicht die dummen Menschen, die mir meine Metallplatten schicken, ein Versehen gemacht hätten. Die Legierung sowohl des Goldes wie des Silbers ist diese Mal ganz Verkehrt. Ich muß die Platten wieder zurückschicken und einschmelzen lassen, bevor ich irgend etwas damit anfangen kann. Sie liegen schon alle bereit, um heute, wenn der Fracht wagen kommt, wieder abgeschickt zu werden. Wenn es hier Bedürftige giebt, die Geld brauchen, so werde ich ihnen mit dem größten Vergnügen etwas von dem meinigen abgeben. Es ist nicht meine Schuld, daß mein Vater meine Mutter heirathete. Und was kann ich dafür, daß er Jedem von uns, meinem Bruder und mir eine jährliche Einnahme von zweitausend Pfund hinter lassen hat?«

      Zweitausend Pfund! Und der berühmte Pratolungo hatte nie vor seiner Verbindung mit mir gewußt, was es heißt, fünf Pfund zu seiner Verfügung haben. Ich blickte nach der Zimmerdecke empor. In meiner gerechten Entrüstung vergaß ich Lucilla und ihre Neugier in Betreff Oscar’s – vergaß ich Oscar und seine Angst, daß Lucilla entdecken möchte, wer er sei. Ich öffnete meine Lippen, um zu reden. Im nächsten Augenblicke würde ich meine Donnerkeile gegen das ganze infame System der modernen Gesellschaft geschleudert haben, wenn ich nicht durch die merkwürdigste und unerwartetste Unterbrechung, die jemals einer Frau die Lippen geschlossen hat, zum Schweigen gebracht worden wäre.

       Zehntes Kapitel.

      Erstes Auftreten von Jicks

      Plötzlich trat durch die offene Thüre des Zimmers leise und ruhig ein pausbäckiges kleines Mädchen, das nicht mehr als höchstens drei Jahre alt sein konnte. trug weder Hut noch Mütze aus dem Kopfe. Ein schmutziges Kinderkleid bedeckte die ganze kleine Gestalt vom Kinn bis zu den Füßen. Diese merkwürdige Erscheinung schritt mit einer zerlumpten und sehr unrespectabel aussehenden Puppe, welche sie mit ihrem einen Arm fest umschlungen hielt, bis in die Mitte des Zimmers vor; sah zuerst Oscar und dann mich starr an, trat dann an meine Knie heran, legte mir die unrespectable Puppe auf den Schooß, deutete aus einen neben mir leer stehenden Stuhl und nahm die Rechte der Gastfreundschaft mit den Worten in Anspruch:

      »Ich will sitzen.«

      Wie war es unter diesen Umständen noch möglich, das infame System der modernen Gesellschaft anzugreifen? Jetzt konnte ich nichts thun, als Jicks küssen.

      »Kennen Sie das Kind?« fragte ich, während ich dasselbe auf den Stuhl hob.

      Oscar lachte laut auf. Gleich mir sah er diese mysteriöse junge Dame jetzt zum ersten Male; gleich mir fragte er sich, was der merkwürdige Spitzname, unter welchem sie sich eingeführt hatte, wohl zu bedeuten haben könne. Wir sahen das Kind an; es hielt seine Beine, welche in ein Paar kleine bestäubte durch löcherte Stiefeln ausliefen, ausgestreckt gerade vor sich hin, erhob seine dunkeln runden, von einem Wetterdach ungekämmter Flachshaare überschatteten Augen, sah uns wieder ernst an und nahm unsere Gastfreundschaft zum zweiten Male mit den Worten in Anspruch: »Jicks will etwas zu trinken haben.«

      Während Osrar in die Küche lief, um etwas Milch zu holen, gelang es mir, ausfindig zu machen, wer »Jicks« sei. Etwas, ich kann nicht genau sagen was, in der Art, wie das Kind mit seiner Puppe in das Zimmer hineingeschlendert war, erinnerte mich an die lymphatische Dame im Pfarrhause, wie sie mit dem Baby in der einen und dem Roman in der andern Hand vor und rückwärts schlenderte.

      Ich nahm mir die Freiheit, Jicks’ Kleid etwas genauer zu untersuchen und entdeckte in der einen Ecke desselben das Zeichen »Selina Finch.« Neben mir saß also, wie ich vermuthet hatte, ein Mitglied der zahlreichen Familie Frau Finch’s, das, wie mir schien, reichlich jung war, um ganz allein ohne Kopfbedeckung die Umgegend von Dimchurch zu durch streifen. Oscar kam mit einem Becher Milch zurück Das Kind bestand darauf; den Becher selbst in die Hände zu nehmen, leerte denselben ohne abzusetzen bis aus den letzten Zug, holte tief Athem, sah mich mit einem weißen Schnurrbart auf der Oberlippe an und kündigte das Ende seines Besuchs mit den Worten an: »Jicks will wieder hinunter.«

      Ich half unserer kleinen Freundin vom Stuhl hinunter. Sie nahm ihre Puppe und blieb einen Augenblick in Gedanken versunken stehen. Was hatte sie jetzt vor? Darüber sollten wir nicht lange in Ungewißheit bleiben. Plötzlich legte sie ihre heiße, fette, kleine Hand in die meinige und versuchte es, mich mit sich zum Zimmer hinaus zu ziehen.

      »Was willst Du?« fragte ich.

      Jicks antwortete in einem unübersetzbar zusammen gesetzten Wort: »Mann Hott, hott.«

      Ich

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