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Sie hatten auch kein Interesse weiter für ihn?«

      »Nein . . .«

      »Das wahre, wirkliche Leben, das Glück stand von Angesicht zu Angesicht vor Ihnen – und Sie haben es von sich gestoßen! Warum? Aus welchem Grunde?«

      »Sie wissen doch, Cousin, daß ich verheiratet war, daß ich ein glückliches Leben geführt habe . . .«

      »Mit ihm?« fragte er und warf einen Blick auf das Porträt ihres Gatten.

      »Ja, mit ihm!« sagte sie und sah das Porträt zärtlich an.

      »Und wie wurden Sie denn nun seine Frau?«

      »Sehr einfach. Er war eben aus dem Ausland gekommen, machte bei uns Besuch, erzählte von dem Leben in Paris, sprach von der Königin, von den Prinzessinnen, war einigemal bei uns zum Diner und bat dann durch die Fürstin um meine Hand.«

      »Und als Sie nun einwilligten und zum erstenmal mit ihm allein waren . . . was sagte er da? . . .«

      »Nichts!« sprach sie und lächelte ein wenig erstaunt.

      »Aber er sagte Ihnen doch sicherlich, weshalb er sich um Ihre Hand beworben hätte, was ihn zu Ihnen hingezogen hatte . . . daß es für ihn nichts Schöneres, Herrlicheres auf der ganzen Welt gäbe . . .«

      »Und daß er nicht Worte genug finden könne, um mich zu verherrlichen, daß er jedoch fürchte, sentimental zu werden. . .« fügte sie spöttisch hinzu.

      »Na also – was tat er denn dann?«

      »Dann setzte er sich an den Kartentisch, während ich mich für das Theater anzog: er war nämlich an diesem Abend mit in unserer Loge. Nun, und am nächsten Tage fand dann die feierliche Verlobung statt.«

      »Ein sehr einfacher Verlauf in der Tat,« bemerkte Raiski.

      »Und später, nach der Hochzeit?«

      »Nach der Hochzeit fuhren wir ins Ausland.«

      »Ah, endlich! Sie waren nun nicht mehr in der großen Welt, nicht mehr im Bannkreis der Ahnen! Irgendwohin nach Italien ging’s, in die Schweiz, an den Rhein, in einen stillen Winkel, in dem das Herz zu seinem Rechte kam. . .«

      »Nein, nein, Cousin – wir fuhren nach Paris: mein Mann wurde mit einer Mission dorthin betraut, und er stellte mich bei Hofe vor.«

      »Ich war sehr glücklich,« sagte die Bjelowodowa, und ihr Lächeln wie ihr Blick bestätigten, daß sie mit Genugtuung auf die Vergangenheit zurückblickte: »Ja, Cousin, als ich das erstemal zum Balle in den Tuilerien erschien und in den Kreis geführt wurde, in dem sich der König, die Königin und die Prinzen befanden . . .«

      »Da tönte ein lautes ›Ach!‹ von allen Lippen?« sagte Raiski.

      Sie nickte mit dem Kopfe und seufzte dann, als ob sie bedauerte, daß diese schönen Tage entschwunden waren. »Wir hielten in Paris offenes Haus; dann fuhren wir ins Bad; mein Mann gab Bälle und Banketts, von denen in den Zeitungen berichtet wurde.«

      »Und Sie waren glücklich?«

      »Ja,« sagte sie – »ich war glücklich: ich sah nie eine unzufriedene Miene bei Paul, hörte nie . . .«

      »Ein herzliches, zärtliches Wort, erlebte nie einen Augenblick leidenschaftlicher, inniger Hingabe . . .«

      Sie schüttelte nachdenklich und verneinend den Kopf.

      »Nie wurde mir ein Wunsch, nie auch nur eine Laune versagt . . .« fügte sie hinzu.

      »Hatten Sie denn überhaupt jemals Launen?«

      »O ja: in Wien hatte Paul schon ein Hotel für uns gemietet, und als wir ankamen, gefiel es mir nicht, und . . .«

      »Er mietete mir ein anderes Hotel – wie großmütig!«

      »Welche Aufmerksamkeit, welche Rücksicht und Feinfühligkeit in jedem seiner Worte . . .« sagte sie.

      »Nun, das wäre auch: Sie waren doch eine Pachotina!«

      »Ja, ich war glücklich,« sagte sie in entschiedenem Tone, »und ich werde nie wieder so glücklich sein!«

      »Gott helfe mir – Amen!« fügte er hinzu. »Auch der Kanarienvogel ist in seinem Bauer glücklich, und er singt sogar; aber sein Glück ist eben das Glück des Kanarienvogels, und kein Menschenglück . . . Nein, Cousine, man hat in Ihnen systematisch und auf höchst raffinierte Weise alle Freiheit des Denkens und Fühlens unterdrückt! Sie sind nur eine schöne Gefangene in diesem Serail der großen Welt, Sie müssen innerlich erfrieren in dieser dumpfen Unbewußtheit, in der Sie gehalten werden.«

      »Und ich will diese Unbewußtheit nicht gegen Ihr gefährliches Wissen vertauschen . . .«

      »Ganz wie der Kanarienvogel, der sich an seinen Käfig gewöhnt hat: wenn man ihn öffnet, fliegt er nicht davon, sondern flüchtet sich ängstlich in eine Ecke. Sie gleichen ihm ganz und gar! Erwachen Sie aus Ihrem Schlummer, Cousine, lassen Sie alle Ihre Catherinen laufen, verzichten Sie auf diese Ausfahrten und lernen Sie das andere Leben kennen! Und wenn Ihr Herz nach der Freiheit verlangt, dann fragen Sie nicht, was die Cousine sagt . . .«

      »Sondern was der Cousin sagt, nicht wahr?«

      »Ja, denken Sie an Ihren Cousin Raiski und tauchen Sie getrost unter in dieses Leben voll Leidenschaft, in dieses Ihnen unbekannte Land . . .«

      »Aber warum durchaus die Leidenschaft?« warf sie ein – »liegt denn in ihr das Glück?«

      »Warum gibt es Gewitter in der Natur? . . . Und die Leidenschaft – ist das Gewitter des menschlichen Lebens . . . O, wenn Sie doch einmal solch ein gewaltiges Gewitter kennenlernten!« sagte er ganz hingerissen und versank in Nachdenken.

      »Sehen Sie, Cousin: alle anderen außer Ihnen warnen mich vor der Leidenschaft, und Sie wollen mich mit Gewalt hineinstoßen, damit ich dann mein ganzes Leben lang Reue empfinde . . .«

      »Nein, nicht Reue wird der Leidenschaft folgen: sie wird die Luft rings um Sie reinigen, wird die Miasmen, die Vorurteile in die Flucht jagen und Sie Ihr wahres Leben genießen lehren . . . Sie werden nicht sinken, Sie sind zu klar, zu rein dazu; das Laster kann Ihnen nichts anhaben. Die Leidenschaft wird Sie nicht erniedrigen, sondern im Gegenteil hoch emporheben. Sie werden zwischen Gut und Böse unterscheiden lernen, Sie werden das Glück in vollen Zügen genießen und dann in köstlichem Erinnern leben, das nichts gemein haben wird mit diesem schläfrigen, stillen Hinbrüten, in dem Sie jetzt Ihre Zeit verbringen. Sie werden die Ruhe haben, den Frieden – aber das Bewußtsein des Glücks wird in diesem Frieden pulsieren; Sie werden hundertmal schöner sein als jetzt, werden voll Zärtlichkeit, voll stiller Melancholie sein, die Tiefe Ihres eigenen Herzens wird sich Ihnen erschließen, und die ganze Welt wird Ihnen dann zu Füßen fallen, wie ich es jetzt tue . . .«

      Er wollte in der Tat vor ihr hinknien, aber sie machte eine erschreckte Bewegung, und er hielt inne.

      »Und wenn Sie mir dann begegnen, vielleicht ermattet vor Schmerz und Gram, aber auch reich an Erfahrung und Glück, dann werden Sie sagen, daß Sie nicht umsonst gelebt haben, und werden Ihre Unkenntnis des Lebens nicht als Entschuldigung anführen können! Und dann werden Sie auch dort hinausschauen wollen, auf die Straße, werden in Erfahrung zu bringen suchen, was Ihre Bauern treiben, werden sie ausreichend ernähren, sie belehren, ihre Leiden lindern wollen . . .«

      Sie hörte nachdenklich zu. Zweifel, Bedenken, Erinnerungen huschten über ihr Gesicht.

      »Nicht alle Männer sind so wie Bjelowodow,« fuhr er fort. »Vielleicht finden Sie einen Freund, der seinem Herzen und seiner Zunge nicht so Zwang anzutun weiß, und wenn Sie dann etwa in der sommerlichen Einsamkeit eines finnischen Dorfes die Stimme des Herzens vernommen haben, werden Sie erschrecken vor dieser Welt, in der Sie bis jetzt gelebt haben. Paris und Wien werden verblassen vor jenem Dörfchen. Fort mit dem prince Pierre, dem comte Serge, mit den Tanten, mit diesen Ahnenbildern, diesen Draperien – alles das ist dem Glücke nur hinderlich. Ihre Schweizer und Lakaien, Ihre Pascha und Dascha, Ihre Spazierfahrten werden Ihnen zuwider sein. Es wird Ihnen sein, als sollten Sie ersticken hier in diesem Leben, öde und langweilig wird es Ihnen scheinen ohne den, den Sie lieben, der Sie

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