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Raum und kommt erst draußen, in der frischen Luft, wieder zur Besinnung.

      Raiski begann zu schriftstellern – er schrieb Verse und Prosa, zeigte sie zuerst dem einen, dann dem anderen Kameraden, dann seinem ganzen »Kreise«, und der Kreis entschied, daß er ein Talent sei.

      Da machte sich Boris an einen historischen Roman, schrieb ein paar Kapitel und las sie gleichfalls in seinem Kreise vor. Die Kameraden begannen in ihm ihre »Hoffnung« zu sehen und wurden alsbald seine Trabanten.

      Bei den Repetitionen und Prüfungen hatten Raiski und seine Schar nicht viel Glück, sie traten dann zumeist in die zweite und dritte Reihe und bekamen ihre Plätze auf der vierten Bank.

      Auf der ersten und zweiten Bank saßen die »Musterschüler«, die so friedlich und still in den Vorlesungen zu sitzen pflegten, die alles nachgeschrieben hatten, die stolz, mit ruhigem Gewissen ins Examen gingen und noch stolzer daraus zurückkamen – diese geborenen Magister und Kandidaten.

      Sie pflegten auf den »Kreis« von oben herabzuschauen, hielten Raiski für abgetan, wenn sie ihn einen Romantiker nannten, und hörten seine Verse und seine Prosa gleichgültig oder überhaupt nicht an.

      Sie widmeten sich allen Gegenständen, über die sie Vorlesungen hörten, mit gleichem Eifer und hatten für nichts eine besondere Vorliebe. Auch später, im Dienste, im Leben, wohin man sie auch stellen mag, in welche Lage sie auch kommen mögen, schlagen diese »Musterknaben« stets ihr »recht befriedigend« heraus und schreiten ruhig und gemessen, ohne nach links oder rechts zu sehen, auf ihrem Lebenswege dahin.

      Raiskis Freunde zeigten seine Verse und seine prosaischen Versuche dem einen und anderen der »genialen« Professoren, den »Propheten«, wie sie von ihren Verehrern genannt wurden.

      »Ach, unser Iwan Iwanytsch! Ach, unser Peter Petrowitsch! Unsere genialen Führer, unsere Leuchten!« pflegten die begeisterten Jünglinge unter verzücktem Augenverdrehen von diesen Heroen der Wissenschaft zu schwärmen.

      Einer der »Propheten« besprach Raiskis Verse öffentlich in einer Vorlesung und sagte, daß in ihnen das malerische Element vorherrsche, daß sie zahlreiche schöne Bilder enthielten und musikalischen Wohlklang besäßen, jedoch noch der Tiefe und Kraft ermangelten. Aber – so prophezeite er – das würde mit den Jahren noch kommen, und er beglückwünschte den jungen Autor zu seinem Talent und riet ihm, die Muse »zu hegen und zu pflegen«, das heißt ernsthaft an sich zu arbeiten.

      Raiski war ganz berauscht von dem Lob, er schwankte, als er das Auditorium verließ, und sein »Kreis« feierte das Ereignis durch eine Orgie, die drei volle Tage anhielt.

      Ein anderer »Prophet« las den Anfang seines Romans und lud den jungen Autor zu sich ein. Raiski verließ den Professor mit einem Gefühl, als hätte er ein erquickendes warmes Bad genommen – auch dieser »Prophet« hatte sein Talent anerkannt und ihm einen ganzen Haufen alter Bücher, Chroniken, Urkunden und Verträge mitgegeben.

      »Kommen Sie Ihrem Talent durch ein ernsthaftes Studium zu Hilfe,« hatte er ihm gesagt, »dann haben Sie entschieden eine Zukunft!«

      Raiski machte nun noch »ernsthafter« seine Ausflüge in die Umgegend, vertiefte sich noch mehr in das Anschauen der alten Gebäude, besah, befühlte, beroch die Steine, las die Inschriften auf ihnen, vermochte jedoch nicht zwei Seiten in den Chroniken, die der Professor ihm mitgegeben hatte, zu erfassen und schilderte das russische Leben so, wie er es in seinen poetischen Visionen erblickte. Das Ende vom Liede war, daß er sehr »ernsthaft« ein scherzhaftes Gedicht schrieb, in dem er einen Kameraden besang, der eine Abhandlung über die »Schuldverschreibungen« verfaßt hatte, dabei aber seiner Wirtin Kost und Quartier regelmäßig schuldig blieb.

      Nur mit Mühe und Not quälte er sich von einem Kursus zum anderen hindurch, die Examina machten ihm jedesmal unendliche Schwierigkeiten. Aber sein Ruf als »zukünftiges Talent«, eine Anzahl gelungener Verse, ein paar prosaische Versuche und Skizzen aus der russischen Geschichte halfen ihm schließlich über alle Klippen hinweg.

      »Welche Karriere wollen Sie denn einschlagen?« fragte ihn eines Tages ganz unerwartet der Dekan. »In acht Tagen verlassen Sie die Universität – was wollen Sie denn anfangen?«

      Raiski schwieg.

      »Welchen Beruf wollen Sie ergreifen?« fragte der Dekan abermals.

      »Ich . . . will Künstler werden . . .!« wollte Raiski schon antworten, erinnerte sich jedoch, wie wenig der Vormund und die Großtante von der gleichen Antwort erbaut gewesen waren. So sagte er denn diesmal.

      »Ich . . . will Verse schreiben.«

      »Aber das ist doch kein Beruf, das treibt man doch nur so nebenher!« bemerkte der Dekan.

      »Ich will auch . . . Erzählungen schreiben,« sagte Raiski.

      »Gewiß, auch das ist ganz schön, Sie haben ja Talent. Aber das tut man erst später, wenn das Talent gereift ist. Ich meine . . . welche praktische Karriere haben Sie gewählt?«

      »Zuerst will ich in die Armee eintreten, in die Garde, und dann in den Zivildienst, will Staatsanwalt werden . . . und Gouverneur . . .« antwortete Raiski.

      Der Dekan lächelte.

      »Zunächst also wohl Junker? Nun, das ist doch ein Wort!« sagte er. »Sie und Leontij Koslow sind die beiden einzigen, die sich keine bestimmte Laufbahn erwählt haben.«

      Als man Koslow gefragt hatte, was er werden wolle, hatte er nur geantwortet: »Lehrer irgendwo in der Provinz« – und dabei war er geblieben.

      Dreizehntes Kapitel

      In Petersburg trat Raiski als Junker in ein Garderegiment ein: er ritt begeistert in der Front mit, war ganz Feuer und Flamme, fühlte beim Klange der Regimentsmusik, wie es ihm gleich Ameisen über den Rücken lief, reckte sich, klirrte mit Säbel und Sporen, sobald er einem General begegnete. Und des Abends fuhr er dann in Gesellschaft unternehmender Kameraden mit der Troika in die Umgebung der Stadt, zu irgendeinem lustigen Picknick, oder nahm bei den russischen und ausländischen »Armiden« der Hauptstadt, in jenem Zauberreiche, das »den Glauben an alles Bessere« erstickt, Unterricht in der Kunst des Lebens und Liebens.

      Hier erlosch denn auch in ihm fast gänzlich aller Glaube an Ehre und Redlichkeit, wie an den Menschen überhaupt. Ohne es zu wollen, ja oft wider Willen, lernte er die Geheimnisse dieser »Wunderwelt« kennen, und seine empfängliche Natur sog, begierig wie ein Schwamm, alle auf ihn einstürmenden Eindrücke auf.

      Die Frauen dieser Welt erschienen ihm als ein ganz besonderer Menschenschlag. Wie der Dampf und die Maschine die lebendige Kraft der menschlichen Hand ersetzt haben, so hatte hier der umfangreiche Mechanismus eines scheinbaren Lebens, einer scheinbaren Leidenschaft das natürliche Leben und die natürlichen Leidenschaften ersetzt. Diese Welt kannte keine wahre Neigung, keine Kinder, keine Wiegen, keine Brüder und Schwestern, keine Gatten und Gattinnen, sondern nur Männer und Frauen.

      Unter den Männern gab es solche, die mitten aus ihren Arbeiten und Sorgen heraus, nicht selten unter Verzicht auf die behagliche Wärme, die stillen Sympathien der Familie, sich in diese Welt der jederzeit lauernden Romane und Dramen wie in eine Spielhölle stürzten und in dem Dunst erlogener Gefühle und teuer bezahlter Zärtlichkeiten sich zu berauschen suchten. Andere wurden durch ihr jugendliches Feuer und ihre Unerfahrenheit in dieses Reich erheuchelter Liebe mit all ihren raffinierten Künsten hineingetrieben, wie der Gastronom durch die erlesenen Schüsseln eines Pariser Kochs vom schlichten häuslichen Mahle hinweggelockt wird.

      Alles in diesem Reiche läuft auf Berechnung hinaus: Luxus, Ehrgeiz, Eitelkeit sind die Motive, die dort wirksam sind, nie darf das Herz sprechen, nie werden die Gefühle gefragt. Die Schönen dieses Zauberreiches bringen alles der Berechnung zum Opfer, selbst ihre Leidenschaft, ihr Temperament, wenn die Situation und die Rolle, die sie zu spielen haben, es erfordern.

      Sie sind nicht als Opfer ihrer sozialen Lage anzusehen, wie jene unglücklichen Geschöpfe, die für ein Stück Brot, für das bißchen Kleidung und Obdach sich der tierischen Begierde hingeben. Nein: dort gibt es Priesterinnen der starken, wenn auch künstlich hervorgerufenen Leidenschaften, feine Spielerinnen, die mit dem Leben und der Liebe spielen wie der Kartenspieler mit den Karten.

      Dort

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